Das Figurenpaar stammt von einem unbekannten Künstler des Bari-Volkes.

Foto: KHM-Museumsverband, Weltmuseum Wien

Wien – Ist vom Südsudan die Rede, tauchen vor dem inneren Auge sofort die üblich gewordenen afrikanischen Schreckensbilder auf: Menschen auf der Flucht, Krieg, Hunger, Dürre. 2011 erlangte das Land die Unabhängigkeit vom Sudan, seit 2013 wütet in diesem neuen Staat ein Bürgerkrieg um Öl und Land. Trotz seines Ölreichtums ist der Südsudan deshalb zu einem der ärmsten Länder der Welt geworden.

Auch die weitgehend vergessene historische Verbindung Österreichs zu diesem Land im östlichen Zentralafrika hat letztlich mit dessen begehrten Bodenschätzen zu tun. Durch die diplomatischen Beziehungen zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich, das im 19. Jahrhundert Ägypten und den Sudan kontrollierte, gelangten auch etliche Österreicher in diese Region. Denn Mehmed Ali Pascha, ein osmanischer Feldmarschall deutscher Abstammung, wandte sich in den 1830er-Jahren hochoffiziell an Österreich-Ungarn, um Bergbauexperten für die Ausbeutung der Bodenschätze in den kürzlich okkupierten Gebieten anzuwerben.

Seine Mission war offensichtlich erfolgreich, und einige Jahre später richtete Kaiser Franz Joseph ein österreichisches Konsulat in Khartum ein. Die dort stationierten Konsuln waren sehr oft leidenschaftliche Sammler. So brachte allein Josef Natterer, der das Konsulat von 1857 bis 1862 leitete, über 500 ethnografische Objekte aus dem damaligen Abessinien und der oberen Nil-Region mit nach Österreich. Er übergab sie dem Naturhistorischen Museum in Wien und legte damit den Grundstein für die beachtliche Südsudan-Sammlung, die heute im Weltmuseum verwahrt wird.

Honorarkonsul und Zoologe als fleißige Sammler

Auch der Afrikareisende und letzte österreichische Honorarkonsul Martin Ludwig Hansal, der bei der Eroberung Khartums durch die antikolonialen Mahdi-Truppen 1885 umkam, vermachte dem Museum mehr als 250 im Südsudan zusammengetragene Objekte.

Die allermeisten Stücke im Wiener Depot aber stammen vom jungen Zoologen Ernst Marno, der im Alter von 22 Jahren zu Studienzwecken in den Sudan ging und als einer der ersten Europäer in den 1870er-Jahren in die Region zwischen Weißem und Blauem Nil vordringen konnte. Er hinterließ der ethnografischen Abteilung seine afrikanische Sammlung mit mehr als 800 Gegenständen.

Spannende Zeugnisse der südsudanesischen Kultur des 19. Jahrhunderts in österreichischem Museumsbesitz sind auch die Fotografien des Afrikaforschers Richard Buchta, der von seinen Reisen nicht nur ethnografische Objekte mitbrachte, sondern auch umfangreiche Fotodokumentationen der verschiedenen Regionen und ihrer Bewohner.

Eine der schillerndsten Persönlichkeiten unter den österreichischen Südsudan-Reisenden war Freiherr Rudolf Carl von Slatin alias Slatin Pascha. Der Offizier, Forschungsreisende und ägyptische Gouverneur im Türkisch-Ägyptischen Sudan vermachte dem Museum zwar nur einige Speere und Pfeile, hinterließ der Öffentlichkeit aber eine spannende Autobiografie (Feuer und Schwert im Sudan, Verlag der Pioniere 2016). Darin berichtete er unter anderem über seine zwölfjährige Gefangenschaft bei den Mahdi und seine abenteuerliche Flucht aus der Sklaverei im Jahr 1895.

Weg zu nationaler Identität

Die dem Museum von Diplomaten, Abenteurern, Forschungsreisenden und Missionaren der Habsburgermonarchie überlassenen Sammlungen sind ein bis heute weitgehend unerforschter und der Öffentlichkeit unbekannter Schatz. Aber das soll sich in absehbarer Zeit ändern. Denn seit 2017 nimmt das Weltmuseum Wien gemeinsam mit zahlreichen anderen europäischen Museen und Universitäten an einem Programm zur Sichtung und Erforschung südsudanesischer Museumssammlungen teil.

Ziel dieses internationalen Netzwerks ist es, Kuratoren europäischer Institutionen, die südsudanesische Sammlungen betreuen, sowie Wissenschafter und Interessenvertreter des südsudanesischen Erbes erstmals an einen Tisch zu bringen und gemeinsam zu überlegen, wie man die verstreuten Kulturschätze für den schwierigen Prozess der Staatsbildung nutzen kann. Finanziert wird das engagierte Unterfangen vom britischen Forschungsfonds Arts and Humanities Research Council (AHRC) und dem British Institute In Eastern Africa.

"Die gemeinsame Arbeit an den Sammlungen soll dem Südsudan dabei helfen, über sein reiches kulturelles Erbe leichter zu einer nationalen Identität zu finden", so Nadja Haumberger, die die Südsudan-Sammlung am Wiener Weltmuseum betreut. Ermöglichen doch die in ganz Europa verstreuten Objekte Einblicke in eine Vergangenheit dieser Region, die noch nicht ausschließlich von Gewalt und ethnischen Konflikten geprägt war.

Gemeinsam mit Kollegen arbeitet Nadja Haumberger zurzeit an der Digitalisierung und Kontextualisierung des in Depots gelagerten österreichischen Südsudan-Materials. Über 2000 Objekte für deren Online-Präsentation mit genauen und möglichst umfangreichen Informationen und Erklärungen zu versehen ist eine zeitintensive und fachlich anspruchsvolle Grundlagenarbeit. Bis man der gesamten österreichischen Südsudan-Sammlung einen digitalen Besuch abstatten kann, wird es also noch etwas dauern – Teile davon sind aber schon jetzt zu sehen. (Doris Griesser, 7.4.2018)