Sie wussten schon immer, dass mit dem Wasser etwas nicht stimmte. In Komletinci, einem Dorf im Osten Kroatiens einen Steinwurf von der serbischen Grenze entfernt, sprudelt es mit einem Hauch Ammoniak aus der Leitung. Die Farbe variiert zwischen Blassgelb und Rotbraun. Es schmeckt nach Rost. Seit 28 Jahren – seit der Errichtung einer lokalen Anlage zur Versorgung von Haushalten mit aufbereitetem Grundwasser – halten sich die Dorfbewohner die Nase zu und trinken es. Dies änderte sich jedoch 2014, nachdem ein IT-Ingenieur namens Mirko Matijašević auf der Webseite des regionalen öffentlichen Wasserversorgers in der nahegelegenen Stadt Vinkovci auf eine Analyse von Wasserproben gestoßen war.

Das Glas mit klarem Tafelwasser unterscheidet sich deutlich vom gelben Leitungswasser aus der serbischen Stadt Kikinda. Foto: Nenad Mihajlović
Foto: Nenad Mihajlović

Die Untersuchungsergebnisse zeigten, dass der Arsengehalt den gesetzlich zulässigen Grenzwert um das 13-Fache überschritten hatte. Matijašević (55) hatte damals keine Ahnung, dass laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO Arsen im Grundwasser nachweislich krebserregend ist. Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen, die über viele Jahre hinweg Arsen ausgesetzt sind, ein größeres Risiko haben, an Haut-, Lungen- und Harnwegskrebs zu erkranken.

Teurer Preis für vergiftetes Wasser

Er hatte jedoch genug Krimis gelesen, um zu wissen, dass Arsen ein Gift ist. "Ich denke, der Grund, warum die lokale Regierung nicht über diese Analyse spricht, hat mit Geld zu tun, da dieses untrinkbare Wasser nicht um diesen teuren Preis verkauft werden sollte", schrieb er in seinem Blog über tägliche Geschehnisse in Komletinci, einem Ort, in dem schon ein Tamburizza-Konzert für Schlagzeilen sorgt.

Er lud einen Screenshot der Analyse hoch und klickte auf "Veröffentlichen". Die Reaktionen auf seinen Blog-Eintrag waren anfangs eher ablehnend. "Im Wasserwerk von Vinkovci bringt die Regierungspartei – die HDZ – ihre Leute unter, weshalb jeder negative Artikel als Angriff auf sie empfunden wird", erzählte er. "Und wenn du die Regierungspartei angreifst, dann giltst du nicht als guter Bürger." Matijaševićs Entdeckung ließ manche Menschen jedoch nachdenklich werden.

Über dem Dreifachen des Normalwerts

Mirjam Bešlić, eine 28-jährige Mutter zweier Kinder, nahm die 280 Kilometer lange Reise nach Zagreb auf sich, um eine zwölf Zentimeter lange Haarprobe am Institut für medizinische Forschung und Arbeitsmedizin testen zu lassen. Den Tests zufolge lag die Arsenkonzentration bei ihr über dem Dreifachen des Normalwerts erwachsener Frauen.

Jelena Terzin aus der serbischen Stadt Kikinda füllt ihr Glas mit gelblichem Wasser. Foto: Nenad Mihajlović
Foto: Nenad Mihajlović

Als die lokalen Behörden das Wasser in Komletinci vergangenen April endlich als für den Trinkwassergebrauch ungeeignet erklärten, nachdem lokale Medien die Geschichte aufgegriffen hatten, schlug die Angst in Wut um. "Ich würde alle ehemaligen Geschäftsführer des Wasserwerks und alle Bürgermeister belangen", meinte Ivan Miljak (60), ein pensionierter Kellner, der sich mit anderen Dorfbewohnern anstellte, um seine Plastikflaschen bei einem von der Gemeinde in der Nähe des Hauptplatzes aufgestellten Wassertank aufzufüllen. "Sie alle wussten davon und hielten die Informationen unter Verschluss, da sie nur auf ihre eigenen Interessen bedacht waren. Ich meine, wir sollten die nächsten 28 Jahre keine Wasserrechnung zahlen müssen. Das ganze Dorf sollte eine Klage wegen Gesundheitsschädigung einreichen."

Keine Erklärung vom Bürgermeister

Vergangenen Mai trat Josip Šarić, von 1997 bis 2007 Vorstandsmitglied des lokalen Wasserversorgungsunternehmens, seine vierte Amtszeit als Bürgermeister der Gemeinde Otok an, zu der auch Komletinci gehört. Sein Büro antwortete nicht auf Fragen per E-Mail, wie lange die Gemeinde von der erhöhten Arsenkonzentration gewusst habe und was getan werde, um das Wasser zu säubern. Auch vom lokalen Wasserversorgungsunternehmen wollte niemand eine Erklärung abgeben.

Jasminka Popov aus Kikinda trinkt aus einer öffentlichen "Ökoleitung", aus der sauberes Wasser fließt. Foto: Nenad Mihajlović
Foto: Nenad Mihajlović

Komletinci ist aber nur eine von vielen Gemeinden, in denen Wasser, das mit einer über dem zulässigen Grenzwert liegenden Menge an Arsen verseucht ist, aus den Leitungen strömt. 923.000 Menschen des großen Flachlands, das sich über den Osten Kroatiens, den Norden Serbiens und den Süden Ungarns erstreckt, sind dem krebserregenden Wasser aus den öffentlichen Netzen ausgesetzt. In Westrumänien könnten weitere tausende Menschen, die Wasser aus ihren eigenen Brunnen beziehen, ebenso gefährdet sein.

Größtes Problem in der Vojvodina

Alle vier Länder schreiben den Höchstwert für Arsen mit zehn Mikrogramm pro Liter (µg/l) fest. Dies entspricht dem von der WHO empfohlenen Grenzwert laut EU-Recht, der auch von vielen Nicht-EU-Ländern, darunter Serbien, übernommen wurde. Serbiens autonome Provinz Vojvodina hat bei weitem das größte Problem. Hier sind mehr als 630.000 Menschen auf krebserregendes Leitungswasser angewiesen. Ungefähr 173.000 Menschen in Kroatien und 100.000 in Ungarn sind Arsenkonzentrationen ausgesetzt, die über dem Grenzwert liegen.

Vor fünf Millionen Jahren bedeckte ein Flachmeer das Pannonische Becken, das sich über Teile des heutigen Kroatien, Serbien, Ungarn und Rumänien erstreckt. Nachdem das Meer ausgetrocknet war, blieben Ablagerungen von mehreren Kilometern Dicke zurück. Die Erschließung des Trinkwassers erfolgt heute mittels Tiefbohrungen in dieses Sediment, das infolge der Zersetzung von Mineralien und Erzen reich an anorganischem Arsen ist. Im Gegensatz zu organischem Arsen zeigen Forschungsergebnisse, dass die anorganische Form im Laufe der Zeit durch Akkumulation im Körper tödliche Folgen haben kann.

Blasen-, Nieren-, Leber- und Lungenkrebs

Über Jahrzehnte hinweg weltweit durchgeführte Studien konnten einen Zusammenhang zwischen dem Konsum arsenhaltigenm Trinkwassers und dem Auftreten von Blasen-, Nieren-, Leber- und Lungenkrebs nachweisen. Toxikologen zufolge werde auch das Herz-Kreislauf-System geschädigt. Eine in Ungarn, Rumänien und der Slowakei im Rahmen des EU-Programms "Abschätzung von Gesundheitsrisiken durch Arsen und molekulare Epidemiologie" unter der Leitung der Londoner Hochschule für Hygiene und Tropenmedizin durchgeführte Studie aus dem Jahr 2012 fand konkrete Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen einer langfristigen geringen Aufnahme von Arsen über das Trinkwasser und der häufigsten Form von Hautkrebserkrankungen, dem Basalzellkarzinom.

Ein Bewohner von Komletinci füllt Plastikwasserflaschen an einem Wassertank nahe dem Hauptplatz. Foto: Aleksandar Latas
Foto: Aleksandar Latas

In lokalen Medien in Ungarn wurde seither berichtet, dass jährlich 300 Todesfälle im Land auf eine Langzeitbelastung durch arsenverseuchtes Trinkwasser zurückzuführen sind. In Serbien konnte der Autor mithilfe von Daten, die unter Berufung auf die Informationsfreiheit aus 41 Anfragen an lokale Wasserwerke und Ämter für öffentliche Gesundheit gewonnen wurden, in der Provinz Vojvodina Arsenwerte von mehr als 10 µg/l abbilden. Die Untersuchung ergab, dass sich 95 Städte, Ortschaften und Dörfer in der Vojvodina in der Gefahrenzone befinden.

Notwendige Technologie nicht vorhanden

Sie alle werden von Wasserwerken versorgt, die nicht über die nötige Technologie verfügen, Arsen aus dem Grundwasser zu filtern. Die 77.000 Einwohner zählende Stadt Zrenjanin zählt zu den schlimmsten Hotspots. Vergangenes Jahr erreichten die Arsenwerte dort bis zu 194 µg/l. Die Wassersicherheitsbehörde der Provinz Vojvodina beantwortete keine Fragen in Bezug darauf, welche Behörden das Trinken von Leitungswasser verboten beziehungsweise nicht verboten haben. Die alarmierendsten Ergebnisse stammten aus der Stadt Novi Bečej im Zentrum der Vojvodina, wo 13.100 Menschen auf Wasser angewiesen sind, das einen Arsengehalt von bis zu 273 µg/l aufweist.

Obwohl dies mehr als dem 27-Fachen des zulässigen Grenzwerts entspricht, wurde von offizieller Seite kein Trinkverbot für Leitungswasser ausgesprochen. "Das Wasser wurde vor zehn Jahren zu 'technischem Wasser' erklärt", sagte Bürgermeister Sasa Maksimović, was bedeutet, dass es nur für den industriellen Gebrauch geeignet ist. Doch nur wenige Einwohner wissen, dass es gefährlich ist, das Wasser zu trinken, und auch die Webseite des lokalen Wasserversorgers Komunalac enthält keinen Hinweis auf irgendwelche Risiken. Auf Nachfragen reagierte Komunalac nicht.

30 Euro für abgefülltes Wasser

Nemanja Vasković, Eigentümer einer Bar und eines Restaurants am Ufer der Theiß in Novi Bečej, kauft abgefülltes Wasser für sich und seine Familie, aber nur weil ihn die gelbe Farbe und der abstoßende Geruch des Leitungswassers anekeln. "Ich weiß nicht, wie viel Arsen es enthält, aber ich weiß, dass dieses Wasser nicht in Ordnung ist", so Vasković. Er gebe schätzungsweise mindestens 30 Euro im Monat für abgefülltes Wasser aus. Der durchschnittliche Nettomonatslohn in Novi Bečej betrug laut dem serbischen Statistikamt im vergangenen Jahr circa 283 Euro. "Ich schätze, dass sich 75 Prozent der Menschen in Novi Bečej kein abgefülltes Wasser leisten können", meinte Vasković.

Bozo Dalmacija, Inhaber des Lehrstuhls für chemische Technologie und Umweltschutz an der Universität Novi Sad, sieht eine Möglichkeit, das Wasserproblem in der Vojvodina zu lösen, darin, in jeder Gemeinde "Mikrosysteme" kleiner Kläranlagen zu errichten. "Das würde bis zu 700 Millionen Euro für die gesamte Vojvodina kosten", meinte er. "Wir können bei den EU-Verhandlungen über Kapitel 27 den Fokus auf die Wasserprobleme legen und uns um EU-Fördermittel bewerben. Serbien ist EU-Beitrittskandidat, und Kapitel 27 befasst sich im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen mit Themen der Umwelt." Das Land hat bereits Zugriff auf EU-Heranführungsmittel, wobei 160 Millionen Euro für die Bekämpfung von Umweltproblemen bis 2020 bereitgestellt wurden.

Kroatien hat bis 2019 Zeit

Kroatien, das jüngste Mitglied der Europäischen Union, hat bis 2019 Zeit, die EU-Vorschriften bezüglich eines Arsengrenzwerts von 10 µg/l zu erfüllen. Doch das Land hat noch einen langen Weg vor sich. Aus den Daten des kroatischen Instituts für öffentliche Gesundheit geht hervor, dass 173.000 Menschen in 13 Ortschaften und Dörfern im Westen des Landes 2016 auf Wasservorräte angewiesen waren, deren Messwerte über dem gesetzlich zulässigen Grenzwert lagen. Zu den Arsen-Hotspots zählten die Ortschaften Ðakovo (28.000 Einwohner), Garešnica (11.600 Einwohner) und Čepin (11.300 Einwohner). Für den Zeitraum von 2007 bis 2020 wurden Kroatien laut einem Sprecher der Europäischen Kommission 225 Millionen Euro an EU-Zuschüssen für Trinkwasserprojekte zugesprochen. Trotz dieser Beihilfen sind die Gemeinden gemäß den Angaben des Instituts für öffentliche Gesundheit nicht in der Lage, die regelmäßige Instandhaltung der Wasserversorgung, geschweige denn den Bau neuer Kläranlagen zu finanzieren. (Miloš Stanić aus Novi Bečej, 12.4.2018)