Wenige Menschen bestimmen über die Zukunft für die Gesundheit von vielen.

Foto: iStock

Wissenschafter Thomas Czypionka, Ulrike Mursch-Edlmayr (Apothekerkammer-Präsidentin), Alexander Biach (Vorsitzender des Hauptverbandes), Beate Hartinger-Klein (Gesundheitsministerin), Thomas Szekeres (Ärztekammer-Präsident) und Alexander Herzog (stv. Obmann der SVA) diskutieren.

Foto: Regine Hendrich

Der sechste Stock im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger bietet vor allem eines: Weitblick. Dieser ist auch notwendig, um die Zukunft des österreichischen Gesundheitssystems zu gestalten. Passend zum Weltgesundheitstag am 7. April wurde dort kürzlich im STANDARD-Talk über das Thema "Zukunft Patient" gesprochen. Moderiert von Petra Stuiber, Chefin vom Dienst, erörterten Ärzte- und Apothekerkammer, Sozialversicherung, Gesundheitsministerium und Wissenschaft ihre zukünftigen Ziele und Visionen coram publico.

Eines ist klar: Wer das Gesundheitssystem verändern will, muss die einzelnen Stakeholder an einen Tisch bringen, denn in kaum einem Bereich treffen so viele unterschiedliche Interessen aufeinander. Das machte Gesundheits-, Sozial- und Arbeitsministerin Beate Hartinger-Klein gleich zu Beginn der Veranstaltung klar. Noch aus ihrer Zeit als Generaldirektorin im Hauptverband weiß sie zu erzählen: "Es wurde immer viel mit den Interessenvertretern diskutiert, ob dabei die Patienten im Mittelpunkt gestanden sind, wage ich allerdings zu bezweifeln. Es ging oft um Macht." Derzeit sei die Stimmung aber gut, man habe erkannt, dass die Zukunft nur gemeinsam gestaltet werden könne.

Alexander Biach, Vorsitzender des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, verwies darauf, dass es bereits einige Neuerungen gibt, die derzeit auf Schiene gebracht werden: E-Medikation, E-Impfpass, E-Zuweisung, E-Überweisung. Danach sollen das E-Rezept und Elga, der Vollbetrieb der elektronischen Gesundheitsakte, folgen.

Smartphone als Assistent

Für die Bevölkerung bedeutet das: In Zukunft werden Smartphone und Computer zu ihren digitalen Gesundheitsassistenten. "Wer etwa eine Bewilligung für eine Computertomografie (CT) oder eine Magnetresonanztomografie (MRT) braucht, kontaktiert seinen Hausarzt, wenige Minuten später hat er das Dokument auf seinem Handy", skizzierte Biach eine mögliche Anwendung. Das Ziel: effiziente, sichere und bequeme Lösungen für die Patienten.

Damit lasse sich auch in der Verwaltung sinnvoll sparen, wie Alexander Herzog, stellvertretender Obmann der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, betonte. "Wir digitalisieren derzeit die internen und externen Prozesse für unsere 800.000 Kunden." Alles soll digital werden: Erstanmeldung, das Einreichen von Wahlarztrechnungen, Anträgen, Bewilligungen und das Ausfüllen von Formularen. "Der Kontakt mit uns soll so einfach sein wie eine Flugbuchung", lautet das erklärte Ziel. "Wir sind die am schnellsten wachsende Sozialversicherung Österreichs mit jährlich 60.000 Neuanmeldungen. Durch die komplette Digitalisierung bis zum Jahr 2020 wollen wir es schaffen, dass unsere Kosten trotzdem nicht steigen", so Herzog.

Ein Mehr an digitaler Information und Technik bedeute aber noch lange nicht eine Zunahme an Wissen, gab Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der österreichischen Apothekerkammer, zu bedenken. "Wir dürfen uns nicht nur vom technisch Machbaren treiben lassen. Anwendungen sollten benutzerfreundlich und praktikabel in den Alltag integrierbar sein." Damit das gelingt, müssen Ärzteschaft, Apotheker, Sozialversicherungsträger und Politik an einem Strang ziehen. Das sei letztendlich bei der E-Medikation nach großem Ringen gelungen, die derzeit österreichweit umgesetzt wird. "Apotheken und niedergelassene Ärzte haben rund 700.000 Kunden- und Patientenkontakte täglich. Indem alle Arzneimittel, die ein Patient erhält, in einem für Ärzte und Apotheken zugänglichen Informationssystem gespeichert werden, können die Risiken von medikamentösen Wechselwirkungen deutlich verringert werden."

Der Mensch ist unersetzlich

Technik müsse so gestaltet sein, dass sie tatsächlich hilfreich ist, betonte auch Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres – und verwies auf Probleme bei der digitalen CT- und MRT-Überweisung. "Ärzte erzählen mir, dass sie dafür pro Patient eine halbe Stunde brauchen. Mit dem Ausfüllen eines Zettels wäre es deutlich schneller gegangen." Dass manche Anwendungen mitunter die Arbeit erschweren, liege auch daran, dass man sich häufig darüber Gedanken mache, was das System alles können soll, aber nicht, wie es einfach zu implementieren wäre, ergänzte Mursch-Edlmayr.

Worüber sich alle Diskutanten einig waren: Die Digitalisierung muss vorangetrieben werden. "Diese Entwicklung kommt, egal ob wir sie wollen oder nicht. In Österreich sind wir mit der Umsetzung aber sehr spät dran", kritisierte Thomas Czypionka, Leiter der Forschungsgruppe Health Economics und Health Policy am Institut für Höhere Studien. Als Beispiel führte er die elektronische Gesundheitsakte an: "Wir haben 2005 das Gesundheitstelematikgesetz geschaffen, doch bis heute ist Elga nicht vollständig funktionsfähig." Die Umsetzung muss schneller werden – davon sprach auch Hartinger-Klein. Ihre Erklärung: "Wir sind zu langsam, weil wir viele Stakeholder im System haben."

Doch welche Rolle wird zukünftig noch der Mensch spielen? Wird der persönliche Kontakt zwischen Ärzten und Patienten an Bedeutung verlieren? "Menschliche Zuneigung und Aufmerksamkeit kann niemals ersetzt werden", ist Thomas Szekeres überzeugt. "Wenn der Arzt keine Zeit hat und seine Patienten in fünf Minuten abserviert, dann dürfen wir uns nicht wundern, warum Wunderheiler so einen regen Zulauf haben." Ein mögliches Fazit des Abends: Digitalisierung spart Geld. Das könnte doch wieder in Zeit investiert werden. (Günter Brandstetter, 7.4.2018)