Cecil Taylor.

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New York – Wie Pianisten ihren Weg zur Bühne gestalten, ist sehr individuell. Ein Klassiker wie Grigori Sokolow nähert sich dem Klavier wie ein Kellner, der unter Protest, aber mit Haltung, Kaffee serviert. Jazzpianist Abdullah Ibrahim wiederum leitet seine Soloabende ein, indem er vorab den Tai-Chi-Meister gibt.

Bei Cecil Taylor konnte die Annäherung an die Tasten noch exzentrischer ausfallen – sie war jedoch nicht sinnfrei: Unter heiserem Gemurmel suchte ein Medizinmann mit Riesenschritten und emphatischer Gestik die Nähe zum Gerät. Es ging um das Herbeizaubern eines Zustands, der Taylor befähigte, in expressive Regionen der Improvisation vorzudringen. Denn tatsächlich waren seine Konzerte Séancen einer ekstatischen freitonalen Echtzeitkunst.

Mit dem ersten Ton, Akkord oder Cluster erzeugte Taylor ein Energiefeld, dessen Dauerspannung von stetig sich aufschaukelnden Ideenwellen lebte. Um den Hörer wurde so ein hypnotischer Klangraum errichtet.

Der zu gestaltende Augenblick

Der Begriff Free Jazz stammt allerdings nicht von Cecil Taylor, der 1929 in New York geboren wurde und von seiner Mutter, einer Tänzerin, Klavierunterricht erhielt. Der Stilbegriff wurde Ornette Colemans gleichnamiger Platte "entwendet". Dennoch wurde vor allem Taylor zum Inbegriff des total freien Spielers. Kein Wunder: Wie er sich der Lust des zu gestaltenden Augenblicks hingab, konnte er nur zum Archetypus des entfesselten Virtuosen werden. Denn Free Jazz war an sich ein Weg, melodische, rhythmische, harmonische und formale Parameter im Sinne eines subjektiven Ausdrucks zu pulverisieren.

Dennoch nicht unverständlich, dass Taylor zunächst in R&B- und in Swing-Bands spielte. Er kannte und verarbeitete Tradition, nur eben ab dem Moment der Selbstfindung radikal: 1956 gründete er eine Band mit Sopransaxofonist Steve Lacy, angesichts der unerbittlichen Stilistik blieb der kommerzielle Erfolg bescheiden. Zeitweise beschritt Taylor den Weg des "American Dream" rückwärts – vom Pianisten zum Tellerwäscher. Es war letztlich jene Konsequenz, mit der Taylor bei sich und seinem dekonstruierenden Stil blieb, die ihm schließlich die nötige Anerkennung bescherte.

Europäische Moderne, afrikanische Tradition

Ab den 1980ern – und vor allem in Europa – konnte Taylor, der u. a. mit Archie Shepp, aber auch mit Schlagzeugern wie Elvin Jones und besonders Tony Oxley kooperierte, eine breitere Öffentlichkeit faszinieren. Sogar die Salzburger Festspiele brachten 1995 Taylor mit Stücken von Giacinto Scelsi zusammen. Zu Recht: Bei allem Hang zur Spontaneität war Taylor ein Kenner der europäischen Moderne, der sie mit der afroamerikanischen Tradition sehr subjektiv verband. "Ich suche auf dem Klavier die Sprünge eines Tänzers im Raum darzustellen", erklärte Cecil Taylor, der nun in New York 89-jährig verstarb. (Ljubiša Tošić, 6.4.2018)