Er hat das schon immer so gemacht. Kurz bevor die Kameras laufen, fährt sich Boris Johnson mit der Hand durch seine weiß-blonden Haare, denn das ist sein Markenzeichen: der Wuschelschopf. So kennen die Briten ihren Außenminister, so mögen sie ihn.

Etwas linkisch, etwas unbeholfen, aber mit einer farbigen Ausdrucksweise und viel Sinn für Humor. Und genauso präsentierte sich der Chefdiplomat des Königreichs kürzlich in einem Interview mit der Deutschen Welle, das ihm jetzt um die Ohren fliegt.

Johnson wurde zum Fall Skripal befragt, dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej und seine Tochter Julia Skripal. Großbritannien ist überzeugt, dass Russland hinter dem Mordversuch steckt. Die Reporterin fragte nach Beweisen. Johnson argumentierte, dass es sich bei dem Gift um den chemischen Kampfstoff Nowitschok handle, der in Russland hergestellt wurde.

Die "Leute von Porton Down", dem britischen Zentrum für Chemie- und Biowaffenforschung, seien "absolut kategorisch", sagte Johnson. "Ich habe den Typ selbst gefragt, ich fragte: 'Bist du sicher?' und er sagte: 'Da gibt es keinen Zweifel.'" Peinlich für Johnson wurde es, als Gary Aitkenhead, der Chef des Militärlabors, ihm zu widersprechen schien.

Zweifel an Beweisen

Er bestätigte zwar Nowitschok als das eingesetzte Gift, ließ aber Zweifel an der Herkunft. "Wir können", sagte Aitkenhead, "die präzise Quelle nicht identifizieren." Hat Johnson nun gelogen?

Das Außenministerium wiegelt ab. Johnson hätte lediglich gemeint, dass Porton Down sicher wäre, dass der Kampfstoff Nowitschok sei, nicht dass er aus Russland stamme. Es gebe aber andere Hinweise, die eine russische Verstrickung belegen. Doch der Schaden war angerichtet. Russland nahm Aitkenheads Äußerungen als Steilvorlage, um Johnson der Lüge zu bezichtigen. Aus britischer Sicht erwuchs aus dem Interview mit der Deutschen Welle ein PR-Desaster.

Johnson wird jetzt von der Opposition sein loses Mundwerk vorgeworfen. Oft ist der Chefdiplomat nach vorne geprescht, ohne seine Worte abzuwägen. Für Johnson ist es schwierig, von seinen losen Reden zu lassen, schließlich hat er seinen Aufstieg zu einem der populärsten Politiker des Landes seinem Humor zu verdanken.

"Wenn Sie konservativ wählen", versprach er während des Wahlkampfs 2005, "wird das Ihren Frauen größere Brüste verschaffen und Ihre Chanchen erhöhen, einen BMW zu gewinnen." Er weiß: Gerade sein Mundwerk, seine humorvolle Schlagfertigkeit und seine Respektlosigkeit sind es, die ihm Sympathien einbringen. Selbst wenn er sich im Ton vergreift und Witze über Schwarze macht oder ganze Städte beleidigt. Etwa über Portsmouth: "Ein Ort, der zu voll ist mit Drogen, Fettleibigkeit und Labour-Abgeordneten." Der britische Fernsehmoderator Jeremy Paxman sagte ihm einmal ins Gesicht: "Die meisten Politiker sind inkompetent und legen dann eine dünne Schicht an Kompetenz auf. Sie scheinen es andersherum zu machen." Das trifft es ziemlich gut. Johnson spielt den Politclown, aber hinter der Fassade stecken ein messerscharfer Intellekt und unermüdlicher Ehrgeiz.

Taktgeber Boris Johnson

Dennoch steht der Außenminister derzeit wieder einmal ziemlich solide dar. Premierministerin Theresa May kann ihren parteiinternen Rivalen nicht einfach aus dem Kabinett werfen. Nach den desaströs verlaufenen vorgezogenen Neuwahlen steht sie geschwächt da. Johnson dagegen ist die Galionsfigur des Brexit-Lagers, hat er doch im Wahlkampf eine entscheidende Rolle gespielt. Johnsons Entlassung würde wohl einen Kampf um die Parteiführung auslösen. Das weiß der Blondschopf und spielt seine Karten genüsslich aus, indem er der Premierministerin die Linien für einen harten Brexit vorgibt.

Derweil wurde am Freitag bekannt, dass Sergej Skripal auf dem Weg der Besserung ist. Nach der Tochter befindet sich nun auch der Vater außer Lebensgefahr. (Jochen Wittmann aus London, 7.4.2018)