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Die USA haben bereits hohe Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte verhängt. Im Visier dabei: China.

Foto: APA / Getty Images / Natalie Beh

Wien – Als eine der Nebenwirkungen des Handelskonflikts zwischen China und den Vereinigten Staaten ist in der US-Öffentlichkeit eine Debatte über die Vor- und Nachteile der Globalisierung ausgebrochen. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie können jene Menschen, die durch Freihandel ihre Jobs und Perspektiven verlieren, entschädigt werden? Ökonomen, die ansonsten nur für ein Fachpublikum schreiben, sind plötzlich Dauergäste in TV und Radio.

Die meisten von ihnen lehnen die Abschottungsstrategie Trumps ab. Die Argumente lauten etwa so: Sieht man sich die Entwicklung genau an, dann war es nicht der Freihandel, sondern die Automatisierung, die dafür gesorgt hat, dass die Zahl der Arbeiter in der US-Industrie stark gesunken ist. Außerdem sei das Problem weniger gravierend als angenommen. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist mit 4,1 Prozent extrem niedrig.

Und sogar wenn es Probleme gibt, helfen Zölle nicht dagegen.

Doch es gibt Grautöne in der Debatte: Kerwin Charles, Erik Hurst und Mariel Schwartz, alle von der University of Chicago, haben im Rahmen eines soeben veröffentlichten Forschungspapiers einen interessanten Einwurf in die Debatte gemacht. Die Ökonomen befürworten die Trump-Abschottungspolitik zwar nicht, ihre Argumente legen aber nahe, dass eine seriöse Abwägung der Vor- und Nachteile einer liberalen Handelspolitik komplexer ist, als es scheint.

Konkurrenzdruck aus China

Die Ökonomen zeigen zunächst in ihrem Papier ("Transformation of Manufacturing and the Decline in US-Employment"), wie dramatisch der Niedergang der US-Industrie war. Seit 2010 sind netto 5,5 Millionen Jobs verlorengegangen. Ein Drittel aller Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe ging verloren. Wie andere Untersuchungen zeigt die von Charles und seinen Kollegen, dass die Jobverluste in Branchen stärker waren, in denen die Konkurrenz mit chinesischen Unternehmen besonders zugenommen hat. Allerdings erklärt der Faktor China nur rund ein Drittel der Verluste an Arbeitsplätzen. Ein größerer Teil ist auf den gestiegenen Grad der Automatisierung zurückzuführen. Maschinen nehmen heute eine wichtigere Rolle ein als vor 20 Jahren. Die US-Industrie produziert dank besserer Technik sogar mehr als vor 20 Jahren.

Auf den ersten Blick scheint dieses Argument jenen recht zu geben, die davon sprechen, dass nicht Handel, sondern Automatisierung schuld an der Entwicklung war. Doch die Ökonomen der University of Chicago gehen einen Schritt weiter: Sie zeigen, dass der Automatisierungsgrad in jenen Industriezweigen stärker gestiegen ist, die unter Konkurrenzdruck aus China gekommen sind.

Freihandel beschleunigt Automatisierung

Automatisierung und Freihandel werden von vielen Ökonomen als zwei unterschiedliche, lediglich zeitgleich stattfindende Entwicklungen wahrgenommen. Doch diese Ergebnisse legen nahe, dass es einen starken Konnex gibt. Eine These: Dort, wo billigere Produzenten aus China auftreten, müssen US-Arbeitgeber Menschen durch Maschinen ersetzen. Somit wären die negativen Folgen des Handels stärker als angenommen. Trumps Handelsberater Peter Navarro argumentiert ähnlich: Wenn Technologie die Zerstörung der Jobs erklären würde, dürfte es heute gemessen an der Bevölkerung nicht viel mehr Industriearbeiter in Deutschland und Japan geben als in den USA.

Die ökonomische Theorie besagte lange Zeit, dass Länder von Freihandel immer profitieren, weil der Warenaustausch es Staaten erlaubt, sich zu spezialisieren. Wenn jeder das produziert, was er gut kann, gewinnen alle. Wenn der Wohlstand insgesamt wächst, können Menschen, die durch einen Handelsschock ihren Job verlieren, anderswo unterkommen. Der Industriearbeiter wird IT-Spezialist. Tatsächlich zeigen neuere Untersuchungen, dass genau das nicht passiert ist. Viele Ex-Stahlarbeiter blieben im Mittleren Westen der USA arbeitslos.

Die Chicagoer Ökonomen zeigen nun, welche dramatischen Effekte das hatte. So ist der Drogenmissbrauch über die vergangenen Jahre besonders dort gestiegen, wo Industriejobs verlorengegangen sind. Nachgewiesen wird das mit Zahlen zur Verschreibung von Schmerzmitteln durch Ärzte und durch die Entwicklung bei den Drogentoten. Drogenmissbrauch ist bei unter 50-jährigen US-Amerikanern heute Todesursache Nummer eins. Die USA durchleben die schlimmste Drogenkrise ihrer Geschichte. Wenn Menschen akut süchtig sind, suchen sie meist nicht aktiv nach Arbeit – und fallen aus der Statistik heraus.

Kosten der Pandemie

Wenn Ökonomen über Vor- und Nachteile von Handel reden, haben sie Kosten einer Drogenpandemie typischerweise nicht auf ihrer Rechnung. Liegt Trump also gar nicht falsch mit seiner Zollpolitik? Nein, sagt Jens Südekum, einer der führenden deutschen Globalisierungsexperten.

Sogar wenn Automatisierung und Handel stärker zusammenhängen als angenommen, ließe sich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Durch die US-Zölle auf Importe aus China dürfte die Produktion in US-Stahlwerken zwar anspringen. Davon würden aber nur die Eigentümer der Werke profitieren, weil die Maschinen ja nicht verschwinden.

Harald Oberhofer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) sagt, dass sich die negativen Kosten von mehr Handel tatsächlich nur schwer messen ließen. Doch das gelte auch für die Vorteile. Niemand könne genau sagen, was es einer Volkswirtschaft zusätzlich bringe, wenn sich dank der billigen Produktion in China jeder ein iPhone leisten könne. Und Oberhofer sagt, dass die wahre Gefahr ohnehin darin bestehe, dass sich der Handelskonflikt immer mehr aufschaukle.

Diese Entwicklung deutete sich am Freitag an: China hat die US-Zölle auf Stahl schon mit Gegenmaßnahmen beantwortet, die in den Augen des Weißen Hauses exzessiv sind. Trumps Berater drohten daher Peking nun ihrerseits mit neuen Strafmaßnahmen. (András Szigetvari, 7.4.2018)