Regierungstruppen auf dem Vormarsch

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Rabwa, Damaskus, Syrien: Hier schlug laug Nachrichtenagentur SANA eine Granate der Jaish al-Islam ein.

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Kämpfer der "Armee des Islam" in der Ost-Ghouta

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Damaskus/Beirut – Die Fotos und Videos, die die Weltöffentlichkeit aus dem syrischen Duma (Douma) erreichen sind nur schwer zu ertragen: Frauen, Männer und Kinder liegen in einer Wohnung auf dem Teppichboden, übereinander zusammengesunken, die Augen leer, teilweise Schaum vor dem Mund. Andere Bilder zeigen Kellerräume mit ähnlichen Szenen.

Hilfsorganisationen werfen der syrischen Regierung vor, am Wochenende Chemiewaffen bei Angriffen auf die letzte verbliebene Rebellenhochburg in Ost-Ghouta eingesetzt zu haben. Nach Angaben der Weißhelme sollen dabei mehr als 150 Menschen getötet und mehr als 1.000 verletzt worden sein. Papst Franziskus zeigte sich im Vatikan erschüttert: "Es gibt schreckliche Berichte aus Syrien über Bombardierungen mit Dutzenden Opfern."

Atemnot und Herzprobleme

Die Syrisch-Amerikanisch medizinische Gesellschaft (Sams) berichtete am Sonntag, am Vorabend seien kurz vor 20 Uhr Ortszeit Hunderte Menschen in die klinischen Einrichtungen in Duma gebracht worden. Die Menschen zeigten Anzeichen, einem Nervengas ausgesetzt gewesen zu sein, wie es weiter hieß. Sie hätten unter Atemnot gelitten und Herzprobleme gehabt. Die Hilfsorganisation Weißhelme sagte, ein Hubschrauber habe zuvor eine Fassbombe mit Chemikalien abgeworfen.

AFP-Korrespondentin Maya Gebeily analysiert die Lage

Am Freitagabend waren die Kämpfe um die Stadt Duma, die von der islamistischen Rebellengruppe Jaish al-Islam ("Armee des Islams") kontrolliert wird, erneut eskaliert. Videos aus sozialen Netzwerken zeigten heftigen Beschuss und Luftangriffe. Fast sekündlich kam es zu Explosionen in der Stadt. Zuvor war es einige Tage lang ruhig in dem Rebellengebiet geblieben, nachdem sich Oppositionsgruppen und Regierung auf einen Abzug geeinigt hatten. Teile der Rebellengruppe Jaish al-Islam forderten jedoch, in Duma zu bleiben, was abgelehnt wurde.

Die syrische Armee hatte in den vergangenen Wochen mit einem massiven Militäreinsatz den Großteil des Rebellengebietes von Ost-Ghouta zurückerobert. Das Gebiet, das an die Hauptstadt Damaskus grenzt, wurde jahrelang von Rebellen kontrolliert und war von der syrischen Armee belagert worden. Rebellen feuerten aus dem Gebiet immer wieder Granaten auf Wohnviertel im Zentrum von Damaskus. In den vergangenen Wochen waren nach Angaben von Beobachtern mehr als 1.600 Zivilisten in Ost-Ghouta getötet worden. Die UNO schätzen, dass mehr als 130.000 vor den Kämpfen geflohen waren und das Gebiet verlassen hatten.

Opfer schwer erreichbar

Die Hilfsorganisation UOSSM sprach angesichts des mutmaßlichen Giftgas-Einsatzes von einer der schlimmsten chemischen Attacken in der syrischen Geschichte. Retter hätten große Probleme, an die Opfer zu gelangen, sagte ein Sprecher. Die Organisation bezifferte die Zahl der Toten am Sonntag mit "weit über 70", befürchtet aber, dass sie auf über 100 steigen könnte. Es sei über den Geruch von Chlor berichtet worden, Retter glaubten jedoch an die Verwendung von Sarin, da der Stoff zu Boden sinke und viele Opfer in Kellern gefunden worden seien, wo sie Schutz vor den Angriffen gesucht hätten.

Das russische Militär und die syrische Führung wiesen die Vorwürfe umgehend zurück. Es handle sich um "fabrizierte Anschuldigungen", sagte Generalmajor Juri Jewtuschenko der Agentur Interfax zufolge. Das russische Außenministerium bezeichnete die Vorwürfe als Provokationen, die lediglich für die Terroristen und die radikale Opposition von Vorteil seien, die nicht zu einer politischen Lösung bereit seien.

Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana berichtete, dass die Giftgas-Vorwürfe dazu dienen sollten, den Vormarsch der syrischen Armee auf die Rebellenhochburg Duma zu stoppen. Dies werde jedoch nichts nützen, zitierte die Agentur eine nicht näher benannte "offizielle Quelle". Der syrische Staat sei gewillt, Terrorismus auf jedem Quadratzentimeter in Syrien zu beenden.

Die syrische Regierung hat am Sonntag nach eigenen Angaben eine Einigung mit der islamistischen Rebellengruppe Jaish al-Islam über den Abzug aus Duma erzielt. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Sana mitteilte, soll die Evakuierung der Rebellen innerhalb der nächsten 48 Stunden stattfinden.

US-Präsident verurteilt "sinnlosen Chemieangriff"

Die US-Regierung prüfe Bericht über einen möglichen Giftgasangriff, teilte Außenamtssprecherin Heather Nauert mit. Sollten sich die Berichte bestätigen, sei eine sofortige Antwort der internationalen Gemeinschaft gefordert. "Die Vereinigten Staaten bemühen sich weiterhin, mit allen verfügbaren Kräften diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die Chemiewaffen einsetzen – in Syrien oder anderswo", sagte Nauert.

US-Präsident Donald Trump fackelte nicht lange, er verurteilte den "sinnlosen Chemieangriff" in Syrien. Die Verantwortlichen müssten einen "hohen Preis" dafür bezahlen, warnte Trump am Sonntag im Kurzmitteilungsdienst Twitter. Der US-Präsident wies Russland und dem Iran eine Mitverantwortung zu, da sie Staatschef Bashar al-Assad unterstützten. Trump nannte Assad in seinem Tweet ein "Tier".

Vor genau einem Jahr hatten die USA auf einen anderen Giftgas-Einsatz reagiert und einen Militärflughafen der syrischen Armee angegriffen. Sowohl US-Präsident Donald Trump als auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten den Einsatz von Giftgas in Syrien immer wieder als rote Linien bezeichnet.

Dabei gab es in der Vergangenheit zahlreiche Belege für den Einsatz chemischer Waffen in dem mittlerweile sieben Jahre andauernden Bürgerkrieg. Allein in 16 Fällen machte die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen die syrische Regierung eindeutig für Giftgasangriffe verantwortlich.

Auch in Ost-Ghouta wurden bereits Chemiewaffen eingesetzt. Am 21. August 2013 starben mehr als 1.400 Menschen durch das Nervengift Sarin. Der Täter dieser "gut geplanten und rücksichtslosen Attacke" habe sehr wahrscheinlich Zugang zu syrischen Chemiebeständen gehabt. Kurz darauf forderte der UNO-Sicherheitsrat Syrien auf, sein Chemiewaffenarsenal zu zerstören. Dennoch kam es danach immer wieder zu Giftgaseinsätzen.

Papst verurteilt Angriff

Papst Franziskus verurteilte den Einsatz chemischer Waffen in aller Schärfe. "Es gibt keinen guten und keinen bösen Krieg. Nichts kann den Einsatz von Vernichtungswaffen gegen unschuldige Personen und Bevölkerungsgruppen rechtfertigen", sagte der Heilige Vater. Er äußerte die Hoffnung, dass Politiker und Militärchefs den Weg der Vermittlung einschlagen. Nur der Dialog könne zum Frieden führen, so der Papst.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich "tief besorgt" und "beunruhigt". Zwar könnten die Vereinten Nationen die Berichte nicht überprüfen, aber ein nachgewiesener Einsatz von Chemiewaffen wäre "abscheulich", teilte Guterres am Sonntag mit. (APA, 8.4.2018)