Bild nicht mehr verfügbar.

Kerzen in Gedenken an die Opfer in Münster.

Foto: AP/Friso Mensch

Mitarbeiter der Spurensicherung der Polizei arbeiten am Tatfahrzeug.

Foto: APA/dpa/Marius Becker

Bild nicht mehr verfügbar.

Sonntagfrüh wurde das Fahrzeug des Amokfahrers abgeschleppt.

Foto: AP/Marius Becker
Grafik: APA

Bild nicht mehr verfügbar.

Mehrere Rettungshubschrauber transportierten Verletzte ab

Foto: AP/Martin Rupik

Spezialeinheit am Tatort.

Foto: APA/AFP/dpa/BERND THISSEN

Bild nicht mehr verfügbar.

Pause für die Beamten.

Foto: REUTERS/Wolfgang Rattay

Münster – In der deutschen Stadt Münster hat ein Mann am Samstag einen Kleinbus in eine Menschengruppe vor einer beliebten Gaststätte gesteuert und sich danach im Wagen erschossen. Zwei Menschen kamen bei der Amokfahrt ums Leben, dutzende wurden verletzt, darunter mehrere lebensgefährlich.

Der mutmaßliche Täter, Jens R., war der Polizei bereits wegen kleinerer Delikte bekannt. Es habe drei Verfahren in Münster gegeben und eines in Arnsberg, sagte die Leitende Oberstaatsanwältin von Münster, Elke Adomeit, am Sonntag. Die Verfahren stammten demnach aus den Jahren 2015 und 2016 und seien alle eingestellt worden. Es ging damals um eine Bedrohung, Sachbeschädigung, eine Verkehrsunfallflucht und Betrug. Man müsse den Sachverhalt der Verfahren noch aufklären. "Aber auf den ersten Blick haben wir hier keine Anhaltspunkte auf eine stärkere kriminelle Intensität, die wir bei dem Täter feststellen konnten", sagte Adomeit.

Nach der Durchsuchung der vier Wohnungen des mutmaßlichen Täters gibt es nach Polizeiangaben keine Hinweise auf ein politisches Tatmotiv. "Wir haben seit gestern Nachmittag in der ganzen Nacht die Wohnungen des Täters durchsucht", sagte der Polizeipräsident von Münster, Hajo Kuhlisch, am Sonntag in Münster. Zwei davon lägen in Ostdeutschland, zwei in Münster.

Keine Hinweise auf politischen Hintergrund

"Die erste, doch schon etwas intensivere Durchsicht hat keinerlei Hinweise auf einen politischen Hintergrund ergeben", bemerkte Kuhlisch. Die Ermittler gingen daher davon aus, "dass die Motive und Ursachen in dem Täter selber liegen". Das sei ein vorläufiger Stand, betonte Kuhlisch. Etwas endgültig auszuschließen dauere länger. Auch die Durchsuchung von Fahrzeugen und eines Containers hätten keine Hinweise auf einen politischen Hintergrund ergeben. Unmittelbar nach der Tat hatte es Berichte über angebliche Kontakte des Täters in die rechtsextreme Szene gegeben.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hatten kurz zuvor die bisherigen Informationen zum Täter von Münster am Sonntag bekräftigt. Der mutmaßliche Todeslenker sei "mit hoher Wahrscheinlichkeit" ein aus Deutschland stammender Einzeltäter und kein Flüchtling, sagte Reul in Münster.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit gebe es für die Tat keinen islamistischen Hintergrund, fügte Reul hinzu. Es gebe "eine Menge Erkenntnisse", dass das Motiv in der Person des Täters liege. Allerdings würden die Ermittlungen dazu noch Stunden und Tage dauern. "Wir sind noch lange nicht am Ende. Es ist die Stunde der Ermittler", sagte der CDU-Politiker.

"Feiges und brutales Verbrechen"

Seehofer überbrachte den Opfern und den Angehörigen "die Solidarität und Anteilnahme" der Bundesregierung. "Dieses feige und brutale Verbrechen hat uns alle sehr betroffen gemacht", sagte er in Münster. Er hoffe inständig und bete dafür, dass die Verletzten wieder gesund werden. Seehofer lobte die Polizei und die Rettungskräfte, die "absolut professionell gearbeitet" hätten. Den Medien dankte der Innenminister dafür, dass sie in ihrer Berichterstattung nicht über den Täter und seine möglichen Motive spekuliert hätten. Sie hätten sich alle "sehr verantwortlich verhalten".

Der Vorfall habe einmal mehr gezeigt, "dass bei allen Bemühungen einer staatlichen Gemeinschaft leider eine absolute Sicherheit nicht möglich ist", meinte Seehofer. Der Staat müsse aber weiterhin "alles tun, um solche Verbrechen in der Zukunft zu mindern oder vielleicht sogar zu verhindern".

Einige Verletzte weiter in Lebensgefahr

Klar ist bisher, dass am Samstag um 15.27 Uhr ein Mann einen silberfarbenen Campingbus im Zentrum in eine Menschengruppe vor einer beliebten Gaststätte gesteuert und sich danach im Wagen erschossen hatte. Einige der mehr als 20 Verletzten befinden sich weiter in Lebensgefahr, teilten die Behörden mit. "Nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen handelt es sich bei dem Fahrer vermutlich um einen 48-jährigen Mann aus Münster", erläuterte Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt. Nach Informationen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stammt der Täter aus Olsberg im Sauerland. Er habe schon lange in Münster nahe des Tatorts gelebt.

Unterdessen lobte die Polizei die Münsteraner. "Alle haben sich vorbildlich verhalten und den Tatortbereich sehr schnell verlassen", sagte Einsatzleiter Martin Fischer. Hilfreich sei auch gewesen, dass Zeugen der Polizei ihre Beobachtungen gemeldet hätten. Hunderte Menschen waren außerdem dem Aufruf gefolgt, sich zum Blutspenden zu melden.

Opfer identifiziert

Die Polizei identifizierte inzwischen die beiden Todesopfer. Laut Staatsanwaltschaft und Polizei handelt es sich um eine 51-jährige Frau aus dem Kreis Lüneburg und einen 65-jährigen Mann aus dem Kreis Borken.

Die Polizei fand bei der Durchsuchung der Wohnung des Amokfahrers keine brauchbare Maschinenpistole vom Typ AK47, wie es hieß. Die Beamten hätten nur eine Dekorationswaffe und Feuerwerkskörper gefunden. Spezialisten hätten aus Sicherheitsgründen die Wohnungstür aufgesprengt, bevor die Beamten die Räume hätten untersuchen können. Am Samstagabend waren in Münster wiederholt Explosionsgeräusche zu hören gewesen.

ORF-Bericht vom Samstag zur Amokfahrt in Münster.
Grafik: APA

Schreckschusswaffe und Feuerwerkskörper im Auto

Auch unmittelbar nach der Amokfahrt hatten sich die Einsatzkräfte dem Campingbus mit großer Vorsicht genähert, da Beamte Drähte sahen, die ins nicht einsehbare Fahrzeuginnere führten. Experten des Landeskriminalamts aus Düsseldorf hätten dann das Fahrzeug auf mögliche Gefahren ausgiebig untersucht und letztlich Entwarnung gegeben, hieß es weiter. Ermittler hätten im Wagen die Waffe, mit der sich der Täter erschossen habe, sowie eine Schreckschusswaffe und rund ein Dutzend Feuerwerkskörper gefunden.

Sonntagfrüh hat die Polizei das Tatfahrzeug des Amokfahrers abgeschleppt. Der Campingbus wurde auf einen Abschleppwagen geladen und weggefahren. Die weiträumige Absperrung der Münsteraner Altstadt ist am Sonntagvormittag wieder entfernt worden. Nur der Bereich unmittelbar um den Tatort blieb abgesperrt.

Hinweisportal eingerichtet

Das deutsche Bundeskriminalamt richtete im Internet für Zeugen ein Hinweisportal ein: Unter der Adresse https://www.bka-hinweisportal.de/ könnten Videos oder Fotos, die im Zusammenhang mit der Tat stehen, hochgeladen werden. Nach Angaben der Polizei laufen inzwischen viele Hinweise ein.

"Allein die Tatortaufnahme wird viel Zeit in Anspruch nehmen", erklärte Fischer zum Stand der Untersuchungen. "Wir brauchen Zeit, die Spuren auszuwerten und die Ergebnisse der Ermittlungen zusammenzuführen." Auch am Sonntag sei deshalb mit Behinderungen in Münsters Innenstadt zu rechnen.

Keine Angaben machte die Pressemitteilung über Gerüchte, wonach zwei weitere Personen aus dem Transporter gesprungen und geflüchtet sein könnten.

Gedenkgottesdienst am Sonntagabend

Die beschauliche Universitätsstadt Münster stand unter Schock. Spontan versammelten sich Bürger, um gemeinsam zu trauern. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), besuchte am Sonntag die Opfer der Bluttat im Krankenhaus. Details zu der Begegnung sollten nicht veröffentlicht werden. Laschet habe dem Ärzte- und Pflegeteam für den Einsatz gedankt. Im Paulus-Dom in Münster gibt es am Sonntagabend einen ökumenischen Gedenkgottesdienst, den Bischof Felix Genn leiten will.

US-Präsident Donald Trump verurteilte die Tat scharf verurteilt. "Auch wenn die deutschen Behörden noch kein Motiv für diese feige Attacke auf unschuldige Menschen genannt haben, verurteilen wir sie dennoch", sagte Trump laut einer Mitteilung aus dem Weißen Haus. Die US-Regierung sage Deutschland jede nötige Hilfe zu. Trump drückte sein Bedauern für die Opfer aus. "Unsere Gedanken und Gebete sind bei den Familien derer, die getötet wurden. Den Verletzten wünschen wir eine vollständige Genesung", sagte der US-Präsident.

Auch der russische Präsident Wladimir Putin drückte sein Beileid aus. In einem Telegramm an den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel drückte er seine Anteilnahme aus und wünschte den Verletzten eine rasche Genesung.

Der Vorsitzende der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zeigte sich betroffen. "Die Nachricht darüber, dass in Münster ein Fahrer in eine Menschengruppe raste und Menschen getötet und weitere teils schwer verletzt hat, bestürzt mich zutiefst", sagte Marx am Samstagabend. Seine Gebete und die aller Bischöfe der Deutschen Bischofskonferenz "gelten den Toten und allen Betroffenen", so der Erzbischof von München und Freising.

Kritik an AfD-Politikerin

Indes löste die AfD-Politikerin Beatrix von Storch Empörung aus. SPD-Vizechef Ralf Stegner bezeichnete die im Kurzbotschaftendienst Twitter verbreiteten Einlassungen von Storchs als "ekelhaft" und "widerlich". Von Storch hatte unmittelbar nach den ersten Meldungen über die Todesfahrt den Satz "Wir schaffen das" von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Flüchtlingszuzug zitiert und damit nahegelegt, ein Flüchtling sei für die Tat verantwortlich. "Das tragische Unglück von Münster ruft Leute auf den Plan, die das politisch instrumentalisieren und die Angehörigen der Opfer missbrauchen wollen – das ist schändlich", twitterte Stegner. "Völlig unabhängig von Motiven oder Tätern" seien "Tragödien wie in Münster furchtbar". "Versuche, das politisch auszuschlachten, sind widerlich", erklärte der Sozialdemokrat.

Von Storch legte am Sonntagmorgen nach und nannte den Täter von Münster einen "Nachahmer" islamistischer Gewalttäter. "Ein Nachahmer islamischen Terrors schlägt zu – und die Verharmlosungs- und Islam-ist-Vielfaltsapologeten jubilieren." Dieser Jubel sei "der Beweis, dass alle die geleugnete Gefahr genau sehen – der Islam wird wieder zuschlagen". Die Frage sei "nicht ob, sondern wann".

Bei Twitter sorgte die Vizechefin der AfD-Fraktion im Bundestag mit ihren Äußerungen für breite Kritik. "Es gibt Menschen, die sind nicht integrierbar – und Beatrix von Storch gehört mit Sicherheit dazu", schrieb etwa der Kabarettist Dieter Nuhr in dem Kurzbotschaftendienst.

Kritik an "Doppelstandards"

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland kritisierte "Doppelstandards" bei der Einordnung von Gewalttaten. "Deutsche Täter sind psychisch gestört – muslimische 'islamistische' Terroristen?", fragte sich Zentralratschef Aiman Mazyek am Sonntag auf Twitter. "Mit diesem unsäglichen Doppelstandarddiskurs brauchen wir uns nicht wundern, warum Islamphobie stets weiter steigt." Damit werde "das Geschäft der Extremisten und Terroristen" betrieben.

(APA, 8.4.2018)