Ümit Kaya fordert von den Europäern Verständnis.

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Der Staatspräsident gibt den Kurs vor: Tayyip Erdoğan spricht wie die anderen Parteichefs meist jeden Dienstag vor den Parlamentariern seiner Fraktion und tritt an Wochenenden auf lokalen Parteitagen auf.

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Ankara/Athen – Seine Visitenkarte ist dick wie ein Karton, damit man sie nicht so leicht verlegt. Ümit Kaya, Weltvorsitzender, steht darauf. Auch das vergisst man nicht so schnell. "Wir müssen uns auf die positiven Beziehungen zwischen den Völkern konzentrieren", sagt der Weltvorsitzende. Wer wollte dagegen sein? Doch dann wiederum spricht Ümit Kaya, der freundliche Weltvorsitzende des von ihm gegründeten Welthandelsrats, als Türke und als Mitglied der Regierungspartei, und Völkerfreundschaft ist nicht unbedingt der erste Gedanke, den man in diesen Zeiten mit der Türkei verbindet.

Ümit Kaya aber macht Geschäfte – Import, Export, Joint Ventures. Sein Welthandelsrat bringt Unternehmen zusammen: türkische mit afrikanischen, fernöstliche mit türkischen. Auch in Amerika und natürlich vor allem in Europa hat Kayas Handelsdrehscheibe Kunden. "Wir müssen Lobbying für die Türkei machen", erklärt der 45-Jährige. Tayyip Erdoğan, der Staatspräsident, habe ihm zugehört, als er ihn deswegen bei einer Parteiveranstaltung angesprochen hat, sagt Kaya stolz. Türkei-Lobbying ist sein Ticket für den Aufstieg in der Politik. Denn bei den nächsten Wahlen will er für die konservativ-religiöse Regierungspartei ins Parlament.

Pro Europa, pro Erdoğan

Kaya ist ein typischer Vertreter der nächsten Generation in der APK: Europa zugewandt, aber dem Staats- und Parteichef ergeben. Ein Realist, aber loyal. Kaya würde sein Land wohl gern nach vorn bringen, wieder heraus aus der Isolation des Westens, doch ohne damit im türkischen Regierungslager anzuecken.

Die Kellner tischen derweil auf. "Recep Usta" heißt das Restaurant mit dem großen runden Salon und dem Blick über das Dikmen-Tal, eine Parkanlage in Ankara. "Meister Recep", praktisch wie der Staatschef, der auf Wahlplakaten gern als "Usta" affichiert wird und dessen erster Vorname ebenfalls Recep lautet. Auch die Visitenkarten von Recep Usta sind stark wie ein Karton. 15 Jahre regiert Recep Tayyip Erdoğan nun die Türkei. Erst als Premier, dann als Präsident – und seit dem Vormonat sogar länger als Mustafa Kemal Atatürk, der Gründer der Republik.

Ümit Kaya manövriert mit einigem Geschick durch das autoritäre Klima der Türkei, wo jedes Wort zählt und auf die Waagschale gelegt wird. "Wir müssen unsere Beziehungen zu Europa wiederaufbauen", sagt der Geschäftsmann, "aber die Bemühungen müssen von beiden Seiten kommen". Oder: "Wir müssen nach Europa blicken anstatt in Richtung Osten. Aber die Türkei ist wie eine Brücke. Wenn man schlecht von Europa behandelt wird, wendet man sich eben nach Osten."

"Das sind keine Journalisten"

Mit solchen bildlichen Formulierungen vermeidet Kaya jegliche Kritik am außenpolitischen Kurs der Regierung. Wenn es um den Umgang mit Kritikern im Inneren geht, ist er sehr viel direkter. An der Wahrhaftigkeit der Vorwürfe, die zum Beispiel mehr als 150 Journalisten ins Gefängnis gebracht haben, hat Ümit Kaya nicht den Hauch eines Zweifels. "Das sind keine Journalisten", sagt er, "es sind Verräter, die in terroristische Aktivitäten verwickelt sind." Punktum.

Zweimal schon war Kaya Anwärter auf einen Kandidatenplatz auf der Liste der AKP. Kaya wollte bei den letzten Kommunalwahlen 2014 ins Rennen um das Amt eines Stadtteilbürgermeisters in seiner Heimatstadt Ankara gehen. Ein Jahr später bewarb er sich um einen Platz bei der Parlamentswahl. Dieses Mal muss es klappen. Doch die Konkurrenz ist stark. Denn bei der AKP wollen viele aufspringen. Sie ist immer noch die erfolgreichste Wahlmaschine seit Atatürks Tagen.

Neu gemischt und aufgestockt

600 Abgeordnete wird das nächste Parlament haben, 50 mehr als das derzeitige und zugleich letzte vor dem Wechsel zur Präsidialverfassung. Für Kaya, den Finanzfachmann und langjährigen Assetmanager, ist die Aufstockung der Mandatzahl eine Chance. Aber auch der Umstand, dass sein Parteichef vor Wahlen viele Köpfe austauscht und die Kandidatenlisten radikal zu erneuern pflegt.

Die nächsten Parlaments- und Präsidentenwahlen finden gemeinsam statt und spätestens im November 2019. Doch über vorgezogene Wahlen, möglicherweise gar schon diesen Sommer, wird in der Türkei unentwegt spekuliert. Kaya muss auf Draht sein. "Ich habe eine gute politische Basis und als Unternehmer ein großes Netzwerk", sagt er.

Nicht ohne die Türkei

Der Sprung auf die Hinterbank in der AKP-Fraktion im Parlament mag ihm gelingen und mit ihm vielleicht einer Reihe neuer Regierungspolitiker für eine Zeit nach dem Ende des Ausnahmezustands, der nun schon 21 Monate dauert. "Wir sind nicht perfekt, aber wir erwarten mehr Verständnis von den Europäern", sagt Ümit Kaya, der Weltvorsitzende, mit Blick auf die schwierige geografische Lage seines Landes. "Ohne die Türkei wird Europa eine Menge Probleme haben." (Markus Bernath, 9.4.2018)