Eines muss zuerst festgehalten werden: Kein Mädchen im Alter von unter zehn Jahren entscheidet sich freiwillig und aus freien Stücken dazu, ein Kopftuch zu tragen. Kein Kind in diesem Alter denkt von sich aus in der Kategorie "Ich muss meine Haare vor den Männern verdecken" und schon gar nicht in der Kategorie "Meine Haare sind Reize, die die Männer anmachen". Es ist meines Erachtens ohnehin hochproblematisch, das Kopftuchgebot mit solchen sexualisierten Argumenten begründen zu wollen.

Sexualobjekte

Denn dadurch werden Frauen zu sexuellen Objekten stigmatisiert und Männern wird unterstellt, lustgetriebene Wesen zu sein, die nicht in der Lage sind, Frauen jenseits von sexuellen Kategorien zu begegnen. Gerade diese Argumentation ist Teil eines sexistischen und diskriminierenden Diskurses, in dem ich die Stimmen der muslimischen Frauen vermisse, die sich gegen solche Argumentationsstrukturen stellen und stattdessen ihrem Kopftuch eine spirituelle Deutung und Bedeutung geben.

Aber zurück zu den jungen Mädchen. Einige, vor allem Muslime, regen sich wegen des angestrebten Kopftuchverbots für Mädchen unter zehn Jahren auf und argumentieren mit der "Diskriminierungskeule". Ich möchte hier allerdings eine andere Perspektive in die Diskussion einbringen, und zwar die der kleinen Mädchen selbst.

Es ist die Regel und nicht die Ausnahme, dass Mädchen in diesem jungen Alter weder in ihrer Bewegung noch in ihrem Aussehen durch ein Kopftuch eingeschränkt sein wollen. Es sind daher ausschließlich die Vorstellungen der Eltern, dass die Mädchen in diesem Alter ein Kopftuch tragen sollen. Auch wenn behauptet wird: "Meine Tochter trägt das Kopftuch freiwillig." Was ist daran freiwillig, wenn dem jungen Mädchen gesagt wird: "Gott liebt nur die Mädchen, die Kopftuch tragen, und jetzt entscheide du, ob du willst, dass Gott dich liebt oder nicht", "Mädchen, die kein Kopftuch tragen, wird Gott ihre Haare in der Hölle verbrennen, und nun entscheide selbst, ob du ein Kopftuch tragen willst", "ein kopftuchtragendes Mädchen ist viel anständiger als eines ohne Kopftuch, also entscheide dich" usw.

Solche Aussagen gehören in die Kategorie der emotionalen Erpressung. Auch wenn das Mädchen dann meint, sie habe sich freiwillig für das Kopftuch entschieden, ist diese Freiwilligkeit im Grunde eine erpresste bzw. manipulierte und ist daher nicht wirklich Ausdruck von Freiheit. Ganz zu schweigen von denjenigen Mädchen, die in der Tat gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen.

Und das hat seine Konsequenzen in der Praxis: Ich bin in meiner Arbeit als Ausbilder von Religionslehrerinnen und Religionslehrern für den islamischen Religionsunterricht und in meiner Rolle als muslimischer Theologe regelmäßig mit Problemen konfrontiert, wenn sich Mütter oder ältere Schwestern bei mir melden und das Problem mit dem Vater beziehungsweise dem älteren Bruder schildern: "Er zwingt seine kleine Tochter bzw. seine kleine Schwester, Kopftuch zu tragen, und auf mich hört keiner. Das Mädchen kommt zu mir und weint, weil es das Kopftuch nicht tragen will, aber weder sie noch ich trauen uns, etwas zu sagen. Können Sie, Herr Khorchide, nicht mit ihm reden?" So oder in ähnlicher Form gestalten sich die Anliegen vieler besorgter Mütter und Schwestern.

Patriarchale Strukturen

Nach der Ankündigung des Kopftuchverbots für kleine Mädchen hat sich vor kurzem eine dieser Mütter bei mir gemeldet und war sehr dankbar, dass nun das Gesetz ihre Tochter schützen wird. Sie schrieb mir: "Man unterschätzt, wie patriarchalische Männer über das bestimmen, was wir Frauen anziehen dürfen und was nicht, das sind in manchen Familien, wie in meiner, fest verankerte Strukturen, mit denen wir Frauen nicht so leicht abbrechen können, aber ein gesetzlicher Rahmen hilft uns unglaublich viel weiter, weil nun nicht wir die Bösen sind, die rebellieren wollen, sondern wir halten uns nur an die Gesetze des Landes."

Dieses Problem vieler Familien, vor allem junger Mädchen, wird in dieser ganzen Debatte um das Kopftuchverbot kaum thematisiert. Aber betroffen von diesem Verbot sind gerade solche Mädchen, die das Kopftuch im jungen Alter widerwillig tragen müssen. Sie sind es, die vielleicht zumindest still sagen: "Danke für diese Hilfestellung von oben!"

Vielleicht schaffen es die muslimischen Vertreter, statt Probleme ständig unter den Teppich zu kehren, sich diesen zu stellen, diese von sich aus zu thematisieren und nach Lösungen zu suchen. Dann ersparen wir uns Muslimen viele unnötige Diskussionen. Wer Probleme verdrängt, überlässt es anderen, sie anzusprechen. Dann hilft es nicht, sich hinter einem Opferdiskurs zu verstecken. (Mouhanad Khorchide, 8.4.2018)