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Klare Bilder und eine Poesie des Widerstands: Die Zuneigung zu Außenseitern und Ausgestoßenen prägt die Filme von Regisseur Aki Kaurismäki.

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Kaurismäkis "Die andere Seite der Hoffnung" von 2017.

Stadtkino Filmverleih

Wien – Die wahre Superheldin des Kinos taucht in keinem Blockbuster auf und heißt nicht Wonder Woman. Sie trägt auch keinen Schild, sondern einen Panzer. Er schützt sie vor der Welt da draußen, die es noch nie gut gemeint hat mit ihr. Sie heißt Iris, benannt nach der griechischen Göttin des Regenbogens.

Doch das einzig Bunte an ihr ist ihr rosafarbenes Haarband, das den blonden Zopf zurückhält. Wenn sie außer Haus geht, steckt ihr dünner Körper auch in keinem hautengen Kostüm, sondern in einem zu großen beigefarbenen Mantel. Sie kämpft ohne Waffen, aber weiß sich doch zu wehren – und erträgt dafür am Ende stoisch die Konsequenzen. Iris ist vielleicht die wunderbarste Heldin von Aki Kaurismäki.

Mann aus dem Tanzlokal

Das Mädchen aus der Streichholzfabrik (1990) ist der ebenso konsequente Abschluss und zugleich Höhepunkt der "proletarischen Trilogie" des finnischen Autorenfilmers. Und natürlich denkt man dabei an Andersens Mädchen, das sich mit seinen Schwefelhölzern eine Traumwelt ausleuchtet. Doch statt wie dieses in den Erfrierungstod zu gehen, nimmt Iris ihr Schicksal in die Hand. Die Eltern, die sich von ihr aushalten lassen; der Mann aus dem Tanzlokal, dem sie nur für eine Nacht gut genug war – sie alle werden am Ende büßen. Und dennoch steht sie bis zuletzt am Fließband und kontrolliert Etiketten auf Streichholzschachteln.

Der Minimalismus

Woraus besteht eigentlich das Leben? Aus Liebe möglicherweise, aus Arbeit gewiss. Und aus dem, was die anderen mit einem machen. Doch was geschieht mit den Schwachen in einer Gesellschaft, in der sich nur die Starken durchsetzen? Die charakteristischen Merkmale, mit denen seit vierzig Jahren das Kino von Aki Kaurismäki beschrieben wird – seine Lakonie, sein Minimalismus, die mürrische Schweigsamkeit seiner Figuren, aber auch deren hoffnungsvolle Romantik -, sind letztlich allesamt Antworten auf diese eine Frage. Denn selbstverständlich geschieht etwas mit den "kleinen Leuten" mit den viel zu großen Gefühlen.

In Zeiten, in denen das sozialkritische europäische Kino alter Schule etwa des Briten Ken Loach gegenüber einem zunehmenden Sarkasmus – Ruben Östlunds gefeierter Film The Square ist dafür ein Paradebeispiel – an Terrain und Aufmerksamkeit verliert, wirken die Filme Aki Kaurismäkis wie Bollwerke in der Kinolandschaft.

Höhepunkt der "proletarischen Trilogie": "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik"
Foto: filmmuseum

Und doch sind es keine "realistischen" Milieustudien, mit denen etwa die Brüder Dardenne berühmt geworden sind. Kaurismäkis Arbeiten sind eine eigene, stille Poesie und subtile Komik eingeschrieben. Auch deshalb sind seine stets rauchenden, wortkargen Antihelden buchstäblich liebenswert. Denn die Arbeiten des unbeugsamen Finnen erzählen seit seinem an Fjodor Michailowitsch Dostojewski angelehnten Debüt Schuld und Sühne (1983), in dem ein Fleischhauer einen kaltblütigen Mord begeht, um sich am menschenverachtenden System zu rächen, vom individuellen Aufbegehren.

Es ist der Geist des Widerstands, der die Außenseiter und Ausgestoßenen antreibt, die man – wie Iris, die als Letzte und dann natürlich vom Falschen zum Tanz aufgefordert wird – so leicht übersieht.

In einem der optimistischsten Filme Kaurismäkis, Wolken ziehen vorüber (1996), eröffnet ein über Nacht arbeitslos gewordenes Ehepaar sein eigenes Restaurant. Sicher aus Not heraus, aber doch voller Überzeugung.

Nostalgie der Räume

Seine Filme sind immer unverwechselbar und tatsächlich dann auch auf den ersten Blick zu erkennen – so wie die finnische Band Leningrad Cowboys mit ihren Einhornfrisuren und meterlangen Schuhspitzen, denen Kaurismäki dann auch seine wenigen kommerziellen Erfolge verdankt. Das liegt an den nostalgisch dekorierten Innenräumen, in denen gern mal eine Jukebox für die typische Kaurismäki-Musik sorgt, aber auch an einem letztlich eingeschworenen Team.

Einsamer Wachmann trifft Femme fatale vor blutroter Nelke: "Lichter der Vorstadt"
Foto: filmmuseum

Das ist der Kameramann Timo Salminen, der angeblich wortlos jeden einzelnen Kaurismäki-Film in formal strengen Bildern fotografiert. Das ist auch Stammschauspielerin Kati Outinen, für die Kaurismäki eigens Das Mädchen aus der Streichholzfabrik schrieb. Und das war lange Zeit der zu früh verstorbenen Matti Pellonpää, der wie kein anderer das Bild des einsamen Losers prägte.

Bilder der Klarheit

Doch vor allem sind es diese Bilder von bestechender Klarheit und in zumeist satt leuchtenden Farben, in denen sich die Wünsche der auf sich Zurückgeworfenen überaus markant spiegeln. So wie in der blutroten Nelke auf dem Tisch jenes Wachmanns im fulminanten Film Lichter der Vorstadt (2006), der von der Femme fatale betrogen wird und unschuldig, aber doch freiwillig ins Gefängnis geht. Erst dort lächelt er ein erstes und einziges Mal. Mit dem Gesicht in der Sonne.

"Hat man alles hingegeben und wird dann betrogen, so ist es schwer, im Leben Erinnerung zu tragen", besingt die Band das Schicksal des Streichholzmädchens. Für manche aber ist das Schicksal einfach die andere Seite der Hoffnung. (Michael Pekler, 9.4.2018)