Das Lumia 950 war das letzte Flaggschiff mit der mobilen Windows-Plattform.

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Vor zwei Jahren machte Microsoft das, was man in Österreich sprichwörtlich "den Hut draufhauen" nennt. Im Frühjahr 2016 erschien mit dem Lumia 640 das letzte Smartphone aus dem Hause Microsoft Mobile. Und weil die eigene Hardware für den Großteil der Verkäufe in dem bereits stark geschrumpften Ökosystem verantwortlich war, besiegelte das auch das Schicksal des Systems. Mittlerweile werden auch keine neuen großen Features mehr für das System entwickelt, man beschränkt sich im Wesentlichen auf Sicherheitspatches.

Von allen Systemen, die in den vergangenen Jahren versuchten, das faktische Google-Apple-Duopol zu brechen, hatte Windows Phone (später: Windows 10 Mobile) wohl die besten Chancen. Trotz des späten Starts und mancher strategischer Fehler erreichte es zu seinen besten Zeiten im Jahr 2013 rund vier Prozent globalen Marktanteil. Die Prognose von IDC, dass das System bis 2016 iOS überholen werde, ging jedoch spektakulär daneben.

Es gibt jedoch einige Gründe, Windows Phone zu vermissen, findet "The Verge"-Autor Tom Warren. Nicht alle sind allerdings gut nachvollziehbar.

Einzigartige Features

Besonders hebt er etwa die "Live Tiles" hervor. Unter Windows Phone konnten Apps auf ihren "Kacheln" Informationen einblenden. Der Newsreader zeigte etwa Headlines aus dem Weltgeschehen, die Mail-App einen Auszug der neuesten Nachricht, die Galerie wechselte zwischen verschiedenen Fotos. Diese machten das Handy "persönlicher" und "lebendig". Tatsächlich konnten sie so manchen Blick in die Benachrichtigungsleiste ersparen, die bei iOS und Android verwendet wird.

Dazu kommen auch kleinere Features. So hatte Microsofts Plattform etwa einen systemweiten "Nachtmodus". Zwar bringen iOS und Android mittlerweile auch eine augenschonende Bildschirmkonfiguration für die Abendstunden mit, aber dieser wirkt sich nicht auf alle Apps aus. Auch dem Touchkeyboard von Windows Phone weint Warren die eine oder andere Träne nach, das das "Wischen" von Wörtern ermöglichte, bevor die Konkurrenz nachzog und laut Warren auch sehr genau in der Wortvorhersage war.

Erwähnung finden auch der "Kid's Corner", mit dem sich ein beschränktes Konto für den Nachwuchs einrichten ließ, der systemübergreifende Suchbutton oder die Anzeige von Benachrichtigungen aus Messengern und Mail-Apps in einem einzigen Thread, der das Hin- und Herwechseln zwischen Apps ersparen konnte.

Design und Datenaustausch

Windows Phone übte auch Innovationsdruck auf Apple und Google aus, argumentiert Warren weiter. Dabei lehnt er sich aber teilweise sehr weit aus dem Fenster. So schreibt er die Abkehr Apples vom skeuomorphischen Design hin zu einer "flachen" Optik mit iOS 7 ebenso den Windows-Kacheln zu wie Googles Umstieg auf "Material Design" mit Android 5.

Auch beim verstärkten Datenaustausch zwischen einzelnen Apps soll das mobile Windows Pate für die Konkurrenz gestanden haben. Allerdings gesteht Warren zu, dass Android diese Funktion praktisch immer schon hatte, diese aber aufgrund der Konkurrenz ausbaute. Mittlerweile hätten aber sowohl Google und Apple hier "Microsofts Vision" erfüllt. Dass hier Windows Phone maßgeblichen Einfluss hatte, ist allerdings eine gewagte Behauptung.

Kamera-Einstellungen und Desktop-Modus

Besser nachvollziehbar ist die Einschätzung, dass die Lumia-Handys mit ihrem Fokus auf starke Kameras die Branche geprägt haben. Insbesondere die Lumia-Spitzenmodelle waren in der Regel gute Konkurrenten für die Flaggschiffe von Apple, Samsung und Co. Die dazugehörige Kamera-App wurde zudem für ihre weitreichenden manuellen Einstellungsmöglichkeiten geschätzt – die man heute bei vielen anderen auch findet.

Vorbildwirkung kann man Windows Phone auch für Continuum anrechnen. Das Feature machte mittels Dock verschiedene Smartphones zu einem abgespeckten Desktop-Rechner. Die Einführung der Funktion konnte das Blatt für das System zwar nicht mehr wenden, sie lebt aber heute bei der Konkurrenz weiter. Eine durchaus gelobte Umsetzung für die eigenen Android-Handys hat Samsung vor einem Jahr mit "Dex" auf den Markt gebracht. Auch Huaweis Mate 10 Pro und P20 besitzen einen "PC-Modus".

Android Go nach Windows-Vorbild?

Die Behauptung, Windows Phones relativ gute Performance auf Smartphones mit schwächerer Hardware sei eine Vorlage für Android Go gewesen, ist allerdings schwer belegbar. Denn während es im Android-Segment schnell günstige Einsteigergeräte (wenn auch mit stark schwankender Qualität) gab, erschloss Windows Phone dieses Segment erst, als die anfängliche Hochpreisstrategie klar floppte.

Insofern ist Android Go eine auf Basis neuer technologischer Möglichkeiten erarbeitete Weiterentwicklung mit dem Ziel, mehr Kundschaft in Schwellenmärkten wie Indien zu erschließen.

Konkurrenz wünschenswert

Mit dem Niedergang von Microsofts mobiler Plattform ist nichtsdestotrotz der letzte ernsthafte Konkurrent für Apple und Google vom Markt verschwunden. Alternativen wie Sailfish OS und Firefox OS konnten sich nicht durchsetzen, auch Blackberrys eigene Plattform sorgte kaum für Nachfrage, weswegen der kanadische Smartphone-Pionier schon länger auf Android baut.

Erhebungen aus dem Vorjahr zufolge laufen über 99 Prozent aller Smartphones mittlerweile mit iOS oder Android. Das erleichtert zwar Entwicklern die Arbeit, da sie ihre Apps und Services nur für zwei mobile Systeme umsetzen müssen. Für Kunden und die Branche selber wäre mehr Konkurrenz aber freilich wünschenswert – eben um den Ideenwettbewerb zu verstärken. (gpi, 9.4.2018)