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Energische Forderungen: Die gehörlose Millicent Simmonds stellt ihrem Filmvater John Krasinski ein Ultimatum.

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Die weiße Sandspur auf dem verlassenen Waldweg dient nicht der Orientierung. Dafür ist sie viel zu breit. Und sie wäre auch gar nicht notwendig, schließlich weiß die Familie genau, wo ihr Haus steht. Lautlos gehen Vater, Mutter und die beiden Kinder hintereinander, barfuß und stets darauf bedacht, auf dem weichen Sand, den sie in den vergangenen Wochen selbst gestreut haben, keinen Laut zu erzeugen. Denn irgendwo im Unterholz lauert die Gefahr, die beim geringsten Geräusch zuschlägt. Es ist Herbst geworden in Neuengland, und drei Monate nach der mysteriösen Invasion ist es hier so still, dass man das bunte Laub von den Bäumen rieseln hört.

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A Quiet Place ist ein dystopischer Endzeitfilm und damit ein Vertreter eines Genres, das in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebte: Die Ängste vor dem Fremden, das den Zusammenhalt der Gemeinschaft gefährdet; die Bedrohung, die nicht durch Mauern und Grenzzäune zurückgehalten werden kann, hat die Fantasien der Kinoindustrie zuletzt mit Filmen wie etwa dem Reboot von Planet of the Apes befeuert wie schon lange nicht. A Quiet Place schreibt sich nicht nur couragiert in dieses Szenario ein, sondern bringt es auf den Punkt. Ein Film, der keine Erklärung dafür liefert, woher die Bedrohung gekommen ist, sondern in dem das ständige Gefühl einer unsichtbaren Gefahr die Angst erzeugt.

Schlanker Horror

Mit nur vier Hauptrollen – darunter für seine Ehefrau Emily Blunt als Mutter – entwickelt Regisseur und Koautor John Krasinski, der auch die Rolle des Vaters übernommen hat, diesen schlanken Horrorfilm und schöpft aus der Idee der überlebensnotwendigen Stille auf der Leinwand gehörigen Mehrwert. Wenn nach knapp vierzig Filmminuten Vater und Sohn (Noah Jupe) unter einem tosenden Wasserfall stehen und sich endlich die Seele aus dem Leib brüllen dürfen, weil das laute Geräusch der Natur ihre Stimmen übertönt, dann mutet das wie ein widerständiger Akt der Befreiung an.

Geschickt macht Krasinski die für die Erzählung nötigen Bausteine produktiv: die väterlichen Versuche, für die gehörlose Tochter (Millicent Simmonds) ihr Implantat zu reparieren, während die Familie von der erlernten Gebärdensprache ausgerechnet jetzt profitiert. Oder wenn am Abend auf den Getreidesilos als Lebens- und Leuchtzeichen der Hoffnung die Feuer entzündet werden. Wenn man die Invasoren schließlich zu Gesicht bekommt – eine Genrekonvention, die selbst A Quiet Place zu erfüllen hat -, ist das in dieser weitgehend als Stummfilm funktionierenden Horrorfantasie beinahe enttäuschend.

Wo verlaufen die Risse durch die Familie, wenn es die Gesellschaft nicht mehr gibt? Zwischen den Generationen oder den Geschlechtern? Und kann man Kinder auf ein Leben, das jeden Tag zu Ende sein kann, überhaupt auf ein solches vorbereiten?

Apokalyptische Vision

Krasinski stellt diese Fragen anhand eines familiären Überlebenstrainings, bei dem ein notdürftiges Provisorium nach eineinhalb Jahren zum Dauerzustand geworden ist. Das ist die wahre apokalyptische Vision.

In Tim Burtons Science-Fiction-Komödie Mars Attacks! ließ am Ende das Gejodel des Indian Love Call den Marsianern die Köpfe explodieren. Der Plan, der in A Quiet Place am Ende eine mögliche Rettung verspricht, ist ebenfalls ein dramaturgischer Kniff. Doch es ist keine Verteidigung der Menschheit, sondern eine des Menschseins. (Michael Pekler, 10.4.2018)