Jeanny Gerings Doku über "Germany's New Nazis" für die BBC lief vergangene Woche als "Weltjournal+" im ORF.

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"Trauma ist Teil des täglichen Nachrichtenzyklus": Dokumentarfilmerin und Journalistin Jeanny Gering.

Foto: Jeanny Gering

Perugia/Wien – Ob über die neue rechtsextreme Szene in Deutschland, über Frauen in Indien, die lernen, sich selbst zu verteidigen, oder über die Schicksale von Geflüchteten: Die Dokumentationen der freien Journalistin Jeanny Gering beleuchten Themen, die erschüttern und zutiefst berühren. Darüber hinaus ist Gering Mitarbeiterin des Dart Center for Journalism and Trauma. Beim diesjährigen Journalismusfestival in Perugia (Mittwoch bis Sonntag) geben ihre Kolleginnen und Kollegen Einblicke in die Arbeit des Centers geben und erklären, wie man mit kriminellen Gruppen und Untergrundorganisationen in Kontakt tritt und kommuniziert.

Wir treffen uns in einer der hippsten Gegenden von Berlin-Friedrichshain, zwischen Simon-Dach-Straße und Boxhagener Platz. Zwischen Döner- und Pizzaläden, Schmuckgeschäften und Cupcake-Cafés hört man nicht nur Deutsch, Spanisch, Englisch, Arabisch, Italienisch und noch viele weitere Sprachen. Der Bezirk, insbesondere diese Umgebung, ist ein Touristen-Hotspot, die berühmt-berüchtigte Rigaer Straße, in der es häufig zu Auseinandersetzungen zwischen Punks und Polizei kommt, ist nur wenige Gehminuten entfernt. Hier lebt und arbeitet Jeanny Gering.

In ihren Dokumentationen – etwa für BBC, CBS, A+J und Arte – widmet sich die 31-Jährige vor allem den Themen Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und den Geschichten von Geflüchteten.

"Die Stimmung ist sehr schnell umgeschlagen"

Gerings letzte Dokumentation "Odyssee", die sich mit der fruchtbaren Zusammenarbeit eines Künstlers mit Geflüchteten auseinandersetzt, wurde auf mehreren internationalen Filmfestivals gezeigt. "Ich habe gesehen, was die Flüchtlingskrise mit Deutschland direkt vor meiner Haustür macht. Die Stimmung ist sehr schnell umgeschlagen, von der Willkommenskultur zu rechtsradikalen Gegenreaktionen. Das ist ein sehr emotionales Thema. Dementsprechend groß war dann auch die Nachfrage nach Beiträgen hierzu."

Nicht nur der aktuelle Bezug, sondern auch die persönlichen Begegnungen mit Geflüchteten haben ihre Auseinandersetzung mit diesem Thema intensiviert. "Mir war es wichtig, dass man anders und detailliert über ihre Situation berichtet. Vor allem will ich die Menschen zu Wort kommen lassen, über die wir die ganze Zeit berichten", sagt Gering. "Ich möchte dem Publikum, dass sich meine Berichte und Dokumentationen ansieht, vor Augen führen, wie divers und vielschichtig jede Lebensgeschichte ist. Das Label 'Flüchtling' passt sicher auf all diese Menschen, aber nur für eine gewisse Zeit."

"Man muss auf andere Werkzeuge zurückgreifen"

Erst vor kurzem zeigte die BBC Gerings 45-minütige Dokumentation über die neue rechte Szene in Deutschland. Für diese hat sie mit zwei Kollegen über Wochen hinweg Rechtsextreme in Sachsen begleitet. "Rechtsradikalismus hat mich schon immer interessiert, und er muss meiner Meinung nach beobachtet werden. Mir war auch klar, dass die Flüchtlingswelle dieses Pulverfass öffnen wird." Offene Anfeindungen, die teilweise über verbale Angriffe hinausgingen, waren bei den Dreharbeiten keine Ausnahme. Jeanny Gering berichtet von einer Konfrontation mit rechtsextremen Hooligans im Rahmen eines Spiels der Fußballmannschaft Dynamo Dresden.

Kommt es zu einem Interview mit einer kriminellen oder mutmaßlich gefährlichen Person, ist es für Gering vor allem die Gesprächsführung, auf die es zu fokussieren gilt. Sie erzählt beispielsweise von einem Interview mit einem angeklagten Rechtsradikalen, den sie in seiner Untersuchungshaft getroffen und interviewt habe. "Normalerweise möchtest du bei einem Interview, dass sich dein Gegenüber öffnet, wodurch schnell eine Empathie für diese Person entsteht. In diesem Fall war es allerdings ein Mensch, dessen Taten und Anschauungen ich abscheulich finde. Das macht etwas mit dem Interviewprozess. Man muss auf andere Werkzeuge zurückgreifen, weil du keinen offenen Rapport mit dieser Person aufbauen kannst."

Solche Fälle sind für Gering ein Balanceakt, bei dem es gilt, professionelle Distanz zu wahren und gleichzeitig die Interviewpartner dazu zu bringen, etwas von sich zu offenbaren. "Ich habe auch noch keinen Tipp, wie man solche Situationen am besten lösen kann. Aber es ist extrem spannend, weil man einfach andere Techniken anwenden muss."

Während ihrer Arbeit für die Dokumentation "Germany's New Nazis" ist der gebürtigen Münchnerin allerdings auch aufgefallen, das klassische Geschlechterrollen einen wichtigen Aspekt beim Umgang mit konservativen, rechten oder machistischen Gruppen darstellen. "Man wird als Frau am Anfang eher unterschätzt. Damit kann man als Frau in diesen Situationen auch mal spielen."

Journalismus und Trauma

Seit 2012 ist Jeanny Gering Mitarbeiterin des Dart Center, einer amerikanischen Wohltätigkeitsorganisation, die den professionellen Umgang mit Traumata jeglicher Art lehrt und ein weltweites Netzwerk an Journalisten, Medizinern und Lehrenden zur Verfügung stellt, die sich allesamt dem Thema Trauma verschrieben haben. Für das Center organisiert sie Events und Workshops.

"Wir sprechen darüber, was Traumata mit Menschen machen, mit unseren Quellen, aber auch mit uns Journalisten selbst. Trauma ist Teil des täglichen Nachrichtenzyklus. Wenn wir Personen interviewen, die Leid erfahren haben, brauchen wir dieses Wissen, um zu verstehen, wie wir mit unseren Quellen besser umgehen können und die Informationen, die wir von ihnen brauchen, bekommen, ohne ihnen zu schaden." Bereits als Studentin in London hat Gering für das Dart Center gearbeitet. "Ich wünschte, alle Journalisten würden so in das Feld kommen, weil man extrem sensibilisiert wird und an Geschichten ganz anders herangeht." (Anne Dippel, Johanna Hirzberger, 9.4.2018)