Eine brennende Mautstelle in Albanien.

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Früher, wenn die Wanderwege für die Viehhirten eingeschränkt wurden, kämpften diese auch mit Gewalt für ihr "altes Recht". Als die Osmanen versuchten, Steuern einzuheben, verweigerten sich die Hochlandbewohner. Und die Hajduken überfielen auch gern die Vertreter des Fiskus. An der Peripherie war die Verweigerung von Staatlichkeit in gewisser Weise Normalität. Auch heute müssen Geldeintreiber mit Widerstand rechnen.

Zuerst landeten ein paar Steine auf dem Blech, dann kamen Jugendliche und schlugen mit Brechstangen auf die Geräte ein, die die Nummerntafeln ablesen. Kurze Zeit später brannte die Mautstelle. In Albanien wurde vor einigen Tagen versucht, umgerechnet 2,5 bis 22 Euro – je nach Fahrzeug und genutzter Strecke – auf der Autobahn Richtung Kosovo einzuheben. Bisher vergeblich. Der Gemeinderat von Kukës hatte zum Protest aufgerufen. Denn die Einwohner von Kukës sind nicht nur aus Mangel an Alternativen "quasi gezwungen", die Straße zu benutzen, sondern auch bitterarm. Hier in den Bergen leben manche Menschen von 150 Euro im Monat.

Zudem muss man sagen, dass man die kurvenreiche Autobahn bereits seit einigen Jahren kostenlos benutzen konnte. Die Einführung der Maut erschien wie willkürliches Wegelagerertum. Die Regierung argumentiert, dass man das Geld für die Straßenerhaltung brauche. Die Autobahn wurde vor ein paar Jahren privatisiert und im Rahmen des Vertrags vereinbart, dass die Firma, die die Autobahn betreibt, Gebühren einheben kann.

Korruption vermutet

Viele Albaner glauben jedoch, dass die Vertragsvergabe an das Konsortium mit Korruption verbunden war. Manche meinen, dass der sozialistische Premier Edi Rama seinen reichen Freunden mit der Vertragsvergabe einen Gefallen getan hat. Sie nennen die Maut schlichtweg "Diebstahl". Sogar ein paar Sozialisten protestierten in Kukës dagegen.

Rama kündigte anfangs noch die "volle Härte des Gesetzes" an und meinte, er werde die protestierenden Parteifreunde aus der "Familie ausschließen". Doch nun ist er zu Verhandlungen bereit. Offenbar hat er Sorge, dass sich die Protestbewegung ausbreitet.

Er versprach, dass die Gebühren einstweilen nicht eingehoben werden, bis er eine "Lösung" gefunden habe. Er sagte einen Nachlass für Leute zu, die die Straße oft benutzen. Praktisch wäre es zurzeit ohnehin schwer möglich, Gebühren einzuheben, denn die Mauthäuschen und die technischen Geräte wurden komplett niedergebrannt. Der Premier räumte ein, dass man nicht "ganz darauf vorbereitet war, welche psychologischen Probleme die neue Praxis" bringen werde. Doch das trifft nicht wirklich den Punkt. Denn den meisten Albanern geht es in dieser Sache nicht so sehr um ihr Seelenheil, sondern um ihr Geldtascherl.

Oppositionschef protestiert mit

Die Wut auf die Autobahnmaut wurden zudem mit diversen anderen Motiven vermischt. Es gab Plakate gegen die "Diktatur" Ramas. Die oppositionellen Demokraten versuchen die Bewegung für sich zu nutzen und haben ihre Anhänger dazu aufgefordert, Straßen mit Blockaden zu sperren. An einigen Orten wurden Autoreifen angezündet, sodass man nicht mehr weiterkonnte. Auch Oppositionschef Lulzim Basha nahm an einer dieser Aktionen teil.

Das Ganze erinnert ein bisschen daran, wie vor ein paar Jahren Bürger von Maribor die Radargeräte in der Stadt einfach abheizten, damit sie die Strafgelder nicht mehr bezahlen mussten. Es folgten langanhaltende Proteste in ganz Slowenien. Die Männer in Albanien, die wegen der Attacken auf die Mautstelle verhaftet wurden, sind für manche zu Helden geworden. Als sie in Tirana verhört wurden, wurden die Straßen rund um das Gericht gesperrt – so viel Angst hatte man vor den Symbolfiguren des Widerstands.

"Racheschrei gegen die Reichen"

Der verstorbene britische Historiker Eric Hobsbawm beschrieb Sozialrebellentum als einen lokalen Protest der Landbevölkerung gegen Unterdrückung und Armut, einen "Racheschrei gegen die Reichen und die Unterdrücker", es sei "ein vager Traum, ihnen Schranken zu setzen, eine Wiedergutmachung persönlichen Unrechts". Der Sozialbandit wird demnach von der Mehrheitsgesellschaft nicht als Verbrecher gesehen, sondern handelt entlang den Wertvorstellungen der Bevölkerung. So war das früher mit den Hajduken, so ist das heute mit den Mautverweigerern. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 10.4.2018)