Wo gibt es noch Manieren? Im Konzertsaal und in der Schweiz. Wenn also das Tonhalle-Orchester Zürich, das älteste Symphonieorchester unseres geschätzten Nachbarlandes, zu einem Gastspiel ins Konzerthaus kommt, dann wundert es nicht, wenn alles akkurat und wohldosiert klingt, und seien es opiuminduzierte Albträume wie die im Finale der Symphonie fantastique.

Bei Hector Berlioz' Manifestation der französischen Romantik musizierte das Orchester unter der Leitung von Lionel Bringuier so, wie Piotr Anderszewski Klavier spielt: putzmunter, virtuos und sorgsam um jeden einzelnen Ton bemüht. Es fehlte in der peniblen Deutung allein die orgiastische Note.

Widerborstig

Die Eröffnung von Brahms' erstem Klavierkonzert hatten die Eidgenossen zuvor werkadäquat widerborstig wiedergegeben, aber auf eine so untadelige Art widerborstig, wie es nur Schweizer zuwege bringen. Brahms markierte in seinem Frühwerk ja gern den Kraftkerl. Solist Igor Levit interessierten die sanften Seiten des vielseitigen Werkes mehr: Wie mit Samthandschuhen interpretierte der gebürtige Russe auch in den Ecksätzen manche Passagen.

Speziell der zweite Satz wurde zu einem Hochfest der Zurücknahme. Schade nur, dass Handygebimmel, eine hinaustrampelnde Person und ein von Holzbläserseite arg verstimmter Schlussakkord die kontemplative Reinheit der Stimmung störten. (sten, 10.4.2018)