Die Schriftstellerin Sabine Gruber und der rote Sessel ihrer Urgroßmutter, in dem diese einen Großteil ihrer letzten sieben Lebensmonate verbracht hat. Der schwarze Sessel ist ihr Schreibtischstuhl, ein Klassiker von Eames.

Foto: Nathan Murrell

"Meistens schreibe ich in einer sitzenden Position. Man kann also sagen, dass Sitzen mein Beruf ist. Manchmal lege ich mich auch auf mein Sofa und notiere Dinge in Notizhefte. Aber in der Regel findet man mich am Schreibtisch in meiner Wohnung. Es kann auch vorkommen, dass ich dort acht Stunden am Stück verbringe und lediglich zum Kaffeemachen oder Kochen aufstehe.

Mir war es immer wichtig, auf einem guten Schreibtischsessel zu sitzen. Meinen jetzigen, es ist ein Klassiker von Charles und Ray Eames, hat mir mein verstorbener Lebensgefährte zum 50. Geburtstag geschenkt. Dieses Möbel nehme ich sehr bewusst als Objekt wahr, es ist keine Selbstverständlichkeit, so wie der alte Holzstuhl meiner Urgroßmutter, doch zu diesem später. Ich finde auch nicht, dass Sitzen etwas Unnatürliches ist, eher empfinde ich das Hocken auf dem Boden als unbequem. Der Sessel muss halt der Richtige sein. Es gibt Stühle, die sind eine Qual. Bin ich irgendwo zum Essen eingeladen, sehe ich auf den ersten Blick, welcher Sessel der angenehmste ist.

Mein Traumstuhl

Wenn ich mir meinen Traumstuhl ausmale, dann ist dieser sehr leicht, aber trotzdem sehr stabil. Außerdem müsste man ihn auf Knopfdruck ganz klein machen können, sodass ich ihn in meiner Handtasche überallhin mitnehmen könnte – auch in den Zug, das Flugzeug oder ins Theater. Er müsste genau zu meinem Körper passen.

Zum Thema Stuhl fällt mir vieles ein, zum Beispiel, dass man sich gewisse Positionen ersitzt. Sitzen war ursprünglich ein Privileg, es ist häufig mit Macht verbunden. Ich denke dabei an den Heiligen Stuhl, den Thron, den Richterstuhl. Er kann aber auch wie beim Elektrischen Stuhl als Tötungsvorrichtung dienen.

Ich meinem Roman "Über Nacht" verkauft Vittorio in Rom Designermöbel wie Arne-Jacobsen-Sessel, die ich persönlich mag. Ein Kunde thematisiert im Roman die Folgen aufoktroyierter Sitzhaltungen zum Beispiel in Chorgestühlen, die zur Verspannung der Skelettmuskulatur führen und die Bewegung des Zwerchfells verhindern. Macht zwingt einen also in ein Korsett und verhindert damit die sinnliche Wahrnehmung.

Selbstmörder-Sessel

Natürlich fallen mir auch die Künstler ein, wenn ich an Stühle denke, zum Beispiel Joseph Beuys' Fettstuhl oder Walter Pichlers Sitzgruben und sein "Stuhl für Selbstmörder" aus dem Jahr 1970. Er hat ihn in einen Felsen gehauen.

Ganz besonders am Herzen liegt mir der Sessel meiner Urgroßmutter Anna Gruber, die im gleichen Jahr wie Franz Kafka geboren wurde und die ich als Kind noch gekannt habe. Ich hab ihn vor ein paar Jahren von Südtirol mit nach Wien genommen. Man sieht ihn auf dem Foto. Mein Großonkel hat mir erzählt, dass die Urgroßmutter die letzten sieben Monate ihres Lebens mehr oder weniger in diesem Stuhl verbracht hat, sie ist angeblich darin gestorben. Sie hatte sich mit 90 das Schlüsselbein gebrochen und konnte sich nicht mehr so gut bewegen. Also saß sie am Fenster, hat die Leute draußen beobachtet, aber auch sehr viel gelesen.

Ich fand eine beachtliche Bibliothek in ihrem Nachlass, darunter Bücher von Eichendorff, Manzoni und Dante. Ihr Mann war Buchbinder, mein Großvater führte die Druckerei weiter, mein Vater war Schriftsetzer – ich bin jetzt die Schriftstellerin. Die Urgroßmutter war eine überzeugte "Dableiberin". Sie hat sich 1939 vehement gegen die Abwanderung ins Deutsche Reich ausgesprochen. Dieser Sessel erinnert mich immer an ihre Aversion gegen Hitler. Ich hab ihn rot beziehen lassen, denn Rot steht für mich für die Kraft der Urgroßmutter. Manchmal sitze ich im Sessel und schau aus dem Fenster. Und manchmal sehe ich sie darin." (Michael Hausenblas, RONDO, 13.4.2018)