Einfach ist es nicht, so einen Trip nicht "Urlaub" zu nennen. Oder anderen zu erklären, dass das Arbeit ist. Jedenfalls war das Mitleid, das mir von zu Hause nach Kroatien nachgeschickt wurde, endenwollend. Der einzige Trost: Den Kolleginnen und Kollegen, die das Wochenende mit mir in Istrien verbrachten, ging es nicht anders.

Dass wir in der Fremde bei Staub und Hitze dienstlich körperlich richtig ranmussten, löste bei Freunden und Verwandten nicht das geringste Bedauern aus – im Gegenteil. Also gaben wir irgendwann auf zu jammern und beschlossen, die Dienstreise als das zu nehmen, was sie war: eine sehr sehr feine Möglichkeit, den Frühling zu genießen. Laufend und Rad fahrend in einer wunderschönen Landschaft.

Foto: thomas rottenberg

Wir, eine etwa zehnköpfige Gruppe von Lauf- und Radjournalisten und einschlägigen Bloggern, waren eingeladen worden. Die kroatische Valamar-Hotelkette hatte nach Istrien gebeten, um unseren Fokus auf zwei boomende Segmente ihres Portfolios zu lenken: Mit 33 Hotels und gut zwölf Campingplätzen ist die einst staatlich-jugoslawische und heute zum Großteil von einer österreichischen Investmentgruppe geführte Kette Kroatiens größter Urlaubsgastgeber.

In der Hauptsaison ist es (beinahe) ein Kinderspiel, die rund 30.000 Hotelbetten zu füllen. Die Nebensaison ist aber doch kein Selbstläufer. Nirgendwo. In der Regel setzen Hotelketten dann auf Konferenzen, Wellness und Incentives. Regionen veranstalten Kulturfestivals, und gemeinsam entdeckt man dann irgendwann den Sport.

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Istrien ist da nicht anders als viele andere Regionen: Die Winter sind mild, Frühling und Herbst angenehm. Ins Meer aber wollen die meisten Leute halt nur im Hochsommer. Ganz abgesehen davon, dass Familien mit Kindern nur da Zeit haben. Was also tut man mit all den freien Betten vor Juli und ab Mitte September?

Die Balearen, die Kanaren und andere Regionen haben es schon vor Jahren erkannt: Man lädt Sportler zu Trainingscamps ein. Beim Radfahrern ist Mallorca seit Jahren beinahe ein Ganzjahrestrainingsziel. Fuerteventura, Teneriffa und Co sind für Laufcamps ähnlich prädestiniert und bekannt. Aber obwohl Topografie und Klima in weitaus leichter und komfortabler zu erreichenden Regionen vergleichbar sind, sind Trainingstrips nach Kroatien eher die Ausnahme. Noch.

Foto: thomas rottenberg

Denn die Betten gibt es. Den Markt auch – und der wächst in alle Richtungen. In Österreich übersieht man dabei jedoch etwas Zentrales: Winterdestinationen entdecken mittlerweile das Mountainbike und die für diesen Sektor verheerende Wegerechtslage. Der riesige Pulk der Radreisenden (etwa die Donau entlang) bleibt meist nur eine Nacht. Für Hoteliers und Destination ist das suboptimal, aber doch ein wichtiges Geschäft.

Ein dritter Bike-Markt aber wird (mit Ausnahmen) komplett übersehen: die Rennradfahrer. Doch die Klientel wächst, ist zahlungskräftig, will kein Gepäck mitschleppen und fährt längst nicht nur Rennen oder in der Ebene spazieren.

Das Klima? Wenn man mountainbiken kann, kann man auch Straßenrad fahren – aber klarerweise zieht es die Rennradszene dorthin, wo man sie gezielt einlädt.

Foto: thomas rottenberg

Und Läufer? Laufen ist vor allem im Gelände schnelles Wandern. Und boomt massiv. Anderswo weiß man das: In Chamonix etwa verwandeln sich die Freeride-Shops ab April entweder in Rad- oder in Traillauf-Läden. Startplätze für die angesagten Läufe sind so schwer (also: kaum) zu ergattern wie für Marathon-Majors. Aber: Wo trainieren Trailläufer eigentlich? Wo machen sie Urlaub? Wanderwege gibt es überall. Aber was anlockt, ist, das Gefühl zu haben, dass es um einen persönlich geht. Dass individuelle Träume und Wünsche gezielt angesprochen und bedient werden: "Wilkommenskultur" im weitesten Sinn.

Die Szene kommt dorthin, wo es Events gibt. Den "Die-Hards" folgen wie überall und zeitversetzt die Nicht-ganz-Normalos. Sobald sich das herumspricht, kommt der Pulk, das Hauptfeld.

Foto: thomas rottenberg

Hier kommen Martin Granadia, Tina Neubauer, Andreas Winkler, Eva Mitteregger oder Denise Goßner und "Vie Run" ins Spiel: Granadia macht "169k ein Radblog", Neubauer und Winkler geradeaus.at – Österreichs beste Rennradseiten. Die Tiroler Insta-Bloggerinnen Mitteregger und Goßner haben zwar nicht die unfassbaren Follower-Zahlen von Fitness- und Lifestylebloggerinnen, treffen aber die Trailszene am Punkt (Mitteregger etwa wurde 2017 vom Magazin "Trailrunning Szene" zur drittleiwandsten Trailläuferin Österreichs gewählt). Und die Wiener Laufcrew "Vie Run" erreicht über die international vernetzten Laufcommunitys (etwa das "Bridge the Gap"-Netz) der europäischen Großstädte eine mehr als erkleckliche Anzahl von Läuferinnen und Läufern.

Foto: thomas rottenberg

Die Tourismusmanager von Poreč, Rabac und Pula wissen all das. Und die Hoteliers auch: Valamar etwa beherbergt seit Jahren in Poreč Barbara Tesars Bike- und Triathlontrainingsbasis "Istriabike", deren Trainingscamps allein in Poreč jedes Frühjahr gut 1.000 Rennradler (und Triathleten) besuchen.

Insgesamt, sagt Toni Hrvatin, der für Sportangebote zuständige Manager bei Valamar, lassen alleine Rennradfahrer in "seinen" Hotels jährlich vier Millionen Euro – da sind aber die "normalen" Radtouristen wie die 50- und mehrköpfigen Gruppen von Cyclcroatia auf ihren Touren- und E-Bikes noch nicht mitgerechnet. All diese Segmente wachsen im zweistelligen Prozentbereich.

Foto: thomas rottenberg

Beim Laufen ist es schwieriger, konkrete Zahlen vorzulegen: "Radfahren ist ein Produkt, das wir gezielt anbieten – Laufen noch nicht." Aber das kommt: Der erst fünf Jahre alte "100 Miles of Istria", ein 100-Meilen-Trail-Lauf von Labin (bei Rabac) nach Umag am Meer zählt laut Auskennern bereits zu den 20 besten Trailevents weltweit.

Von den 1.600 Teilnehmern liefen dieses Wochenende knapp 300 die Volldistanz von 160 Kilometern. Der Sieger brauchte 21 Stunden, doch auch noch am Nachmittag des Tages danach sahen wir hin und wieder Läuferinnen oder Läufer mit Startnummer einem der Ziele entgegenstreben. "Fast 70 Prozent der Athleten kommen aus dem Ausland", erzählt der Erfinder des Events, Alen Paliska. Das spricht sich herum. Auch, dass das markierte Trailwegenetz zwischen Rabac und Poreč heuer von 70 auf 250 Kilometer wachsen soll, Wander- und Küstenwege nicht mitgerechnet.

Foto: thomas rottenberg

Wir liefen nicht den Bewerb selbst: Dafür braucht man ein bisserl mehr Zeit und Vorbereitung. Stattdessen hoppelten wir den Teilnehmerinnen rund 20 Kilometer weit entgegen. Landschaftlich ein Traum. Das Wetter war fast schon sommerlich und die Stimmung auf der Strecke mehr als gut. Natürlich mussten wir speziell in den schmalen und technischen Bergabpassagen (in Wettkampfrichtung) vorausschauend laufen, um den Weg rechtzeitig freizugeben.

Foto: thomas rottenberg

Aber irgendwo im Nirgendwo angefeuert zu werden fanden fast alle, denen wir begegneten, ziemlich super. Auch wenn es manchmal kurze Irritationen gab. Man rechnet bei einem Rennen abseits der Dörfer nicht mit Gegenverkehr. Wenn einem jemand entgegenkommt oder an der Strecke wartet, hat das meist Gründe: ein Problem, ein Un- oder Notfall. Dass viele fragten, ob wir Hilfe brauchen, spricht für den "Spirit" solcher Events.

Foto: thomas rottenberg

Wir genossen den Lauf und "arbeiteten". Und zwar tatsächlich: Bei aller Häme über den Selfie- und Fotowahnsinn in Sport- und Laufblogs oder auf Instagram ist der große Unterschied zwischen Lifestyle-Blogpics und Bildern von "echten" Outdoor-Events der, dass Kletterer, Bergsteiger, Mountain- und Roadbiker oder Läufer "authentisch" am Ort des Bildes sein müssen.

Ob und wie inszeniert es ist, wenn man an einer Stelle mit Traumblick zwei- oder dreimal auf und ab läuft, um (hoffentlich) genau jenes Bild zu erwischen, das dann passt, ist eine andere Frage.

Foto: thomas rottenberg

Was an solchen Bildern "gestellt" und was echt ist, lässt sich aber auch anders diskutieren: Der legendäre Freistilringer Otto Wanz antwortete einmal auf die Frage, wo beim Wrestling für die Akteure die Trennlinie zwischen Sport und Klamauk sei, so: "Steigen Sie auf eine zwei Meter hohe Leiter und springen Sie so runter, dass Sie auf Bauch, Brust und Knien landen. Dann machen Sie das noch einmal – wieder ein Bauchfleck: Es geht ja um das, was die Leute sehen. Aber diesmal tun Sie nur so, als ob. Und dann erklären Sie mir den Unterschied in der Durchführung."

Foto: thomas rottenberg

Die Sache mit der Gegenrichtung war ziemlich fein – solange wir Gegenverkehr hatten. Irgendwann aber ebbte der ab. Und als er ganz vorbei war (und nachdem wir in einem Bergdorf Espresso-Pause gemacht hatten), hatten wir ein Problem: Es gab keine Markierungen mehr.

Eh klar, wieso: Nach den letzten Läufern sammelten die Veranstalter die Markierungen wieder ein. Weil sich das im freien Gelände so gehört. Und weil es sich so gehört, war da auch kein Laufmüll. Aber die Wege gabelten und teilten sich, und unser einheimischer Begleiter hatte wegen Knie- und Rückenschmerzen das Handtuch geworfen: "You just follow the signs."

Foto: thomas rottenberg

Wir spielten also Pfadfinder und Fährtenleser und suchten Fuß- oder Stockspuren. Die zahllosen Flussquerungen waren lustig, aber keine Hilfe: Die Uferbereiche sahen aus, als wäre hier seit Wochen niemand vorbeigekommen, ganz bestimmt keine 1.600 Trail-Spinner.

Dennoch: Wir waren auf dem richtigen Weg und kamen müde, aber gut an unser Ziel: Wir waren rund 22 Kilometer gelaufen, hatten etwa 800 Höhenmeter gemacht – und jeden Schritt genossen.

Foto: thomas rottenberg

Die nächsten beiden Tage blieb dann das Rudel beisammen: Nicht alle Radfahrer wollen laufen, aber jeder Läufer kann Rad fahren. Und Istrien ist ein Bike-Traum. Die über 500 Kilometer Mountainbikestrecken (von Forstautobahn bis Singletrail) ließen wir diesmal aus. Auch weil die Gegend um Motovun bei diesem Wetter ein Rennrad-Dorado ist: hügelig, sonnig, diesmal nicht sehr windig – aber vor allem kaum Autos auf den malerischen Nebenstraßen.

Foto: thomas rottenberg

Wir waren nicht wirklich schnell, weil wir das Gruppengefühl auskosten und zusammenbleiben wollten, uns Gegend, Dörfer und Städte ansahen (und Fotos machten). Aber 80 Kilometer mit 1.100 Höhenmetern sind für Gelegenheitsbiker nicht ganz schlecht. Erst recht nicht nach 22 Kilometern Traillaufen mit 800 Höhenmetern am Vortag.

Foto: thomas rottenberg

Der dritte Tag war dann noch ein Bike-Tag. Weil der Wind massiv zulegte, für den Nachmittag Schlechtwetter angesagt war und wir niemandem etwas beweisen mussten, legten wir den Tag betont entspannt an, ...

Foto: thomas rottenberg

... hatten nicht ganz ohne Grund immer wieder das Gefühl, in venezianischen Rennaissancestädtchen gelandet zu sein, ...

Foto: thomas rottenberg

... und konnten in Fažana sogar noch am Meer zu Mittag essen, bevor der angekündigte Regen kam. Einer der Biker, Daniel Wildauer, fuhr dann doch noch von Pula zurück nach Rabac und "vernichtete" dabei unabsichtlich seinen lokalen Begleiter: Wildauer gehört zu den besten Tiroler Amateuren – bergauf ist er so schnell wie ich in der Ebene.

Foto: thomas rottenberg

Auch wenn das Wetter am Dienstagmorgen nicht vielversprechend war und ich zu Mittag zurück nach Wien musste, wollte ich in der Umgebung von Rabac zumindest noch ein bisserl laufen.

Auch weil Istria-100-Erfinder Alen Paliska unser Guide sein würde – und wir mit ihm einen kurzen, aber stellenweise gar nicht so einfach zu bewältigenden Teil seines Trails laufen würden: Nach Regen sind die Fels- und Steinplatten, über die es hier geht, so rutschig, als wären sie mit Schmierseife behandelt worden – egal mit welchem Schuh.

Foto: thomas rottenberg

Ein Traum war es trotzdem. Auch weil wir plötzlich in Labin waren: Die Überraschung in unseren Gesichtern überraschte Alen (im Bild vorne) nicht: "Es geht den meisten Läufern so: Kaum einer erwartet, bei einem Trailbewerb plötzlich in so einem Setting zu sein."

Labin ist auch eines dieser typischen, malerischen mediterranen Städtchen: aus Verteidigungsgründen auf eine Hügelkuppe gesetzt. Istrien ist da nicht anders als Ligurien, die Toskana, Ventimiglia oder die Provence, hat aber zwei große Vorteile: Leist- und Erreichbarkeit.

Letzteres war jetzt mein Thema: Ich bog schweren Herzens ab und machte mich auf den Weg zurück nach Wien.

Foto: thomas rottenberg

Eva und Denise hatten mehr Zeit – und hängten mit Alen Paliska und Martin Cotar, dem regionalen Tourismusmanager für Sport- und Outdoorprogramme (und nebenbei ehemaligen Europameister im Zeitfahren am Rad), noch zwölf Extrakilometer an. Zuletzt ging es am Meer entlang. Ich saß da schon im Auto und war neidig, als die Tiroler Bloggerinnen mir ihre Fotos schickten.

Andererseits: Istrien liegt nicht am Ende der Welt. Ich kann und werde wieder hinfahren.

Mehr Bilder und Impressionen aus Istrien gibt es auf derrottenberg.com

Hinweis im Sinne der redaktionellen Richtlinien: Der Aufenthalt in Kroatien erfolgte auf Einladung der Valamar-Hotelgruppe.

Foto: Eva Mitteregger