Brüssel – Unter dem Motto "New Deal für Konsumenten" hat die EU-Kommission am Mittwoch weitreichende neue Verbraucherrechte in der EU vorgeschlagen. So sollen Konsumenten künftig die Möglichkeit zu EU-weiten Sammelklagen zur Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erhalten. Außerdem schlägt die EU-Kommission empfindliche Strafen bei Verstößen gegen EU-Konsumentenrecht vor.

Unternehmen müssen laut dem EU-Richtlinienvorschlag dann bis zu vier Prozent ihres Jahresumsatzes im betreffenden Land an Strafzahlungen leisten, wenn weitgehende Verstöße gegen den Konsumentenschutz in mehreren EU-Ländern festgestellt werden. Die EU-Staaten können diese Höchststrafen sogar noch weiter hinaufsetzen.

Reaktion auf Dieselskandal

Die EU-Kommission reagiert mit ihrem Paket unter anderem auf den "Dieselgate"-Skandal von VW. Doch auch gegen Facebook könnten die neuen Konsumentenschutzbestimmungen in der Zukunft Anwendung finden, sagte eine ranghohe EU-Kommissionsbeamtin. Der Schwerpunkt des Pakets liege auf einer besseren Durchsetzung der Konsumentenrechte.

EU-Justizkommissarin Vera Jourova versicherte, die Sammelklagen sollten in einer europäischen Rechtstradition durchgeführt werden, und nicht zu mehr Geschäften für Anwaltskanzleien führen. Klagen können laut dem EU-Kommissionsvorschlag nur "qualifizierte Einheiten" wie Konsumentenschutzorganisationen im Namen von Verbrauchern, die geschädigt wurden. "Dieses Modell hat starke Schutzmaßnahmen und unterscheidet sich merklich von Sammelklagen in US-amerikanischem Stil", betonte die EU-Kommission. Ziel der Sammelklagen sei Schadenersatz, Ersatz oder Reparatur.

Warnung vor US-Zuständen

Mit dem EU-Vorschlag soll ein System von Sammelklagen in allen EU-Staaten eingeführt werden. Die Wirtschaftskammer (WKÖ) beharrt darauf, dass so wie bisher in Österreich der Verbraucher selbst entscheiden müsse, ob er sich einer solchen Sammelklage anschließe. Dies sei im EU-Kommissionsvorschlag nicht ausreichend berücksichtigt. US-amerikanische "Klageindustrie-Systeme" müssten verhindert werden.

"In Österreich und in den meisten anderen europäischen Staaten muss es vom Rechtsgrundsatz her fassbare Kläger geben, in deren Namen ein Verfahren angestrengt wird. Eine Schadensersatzklage kann nicht einfach so aus der Luft gegriffen werden", sagte auch der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas. Die EU-Kommission schlage aber vor, dass bestimmte Non-Profit-Organisationen Massenklagen für eine angenommene Anzahl an potenziell Geschädigten anstrengen können, ohne die Betroffenen vorher zu fragen ("Opt-out-Modell"). Zudem soll die Beweislast nur beim beklagten Unternehmen liegen ("Discovery-Modell"). "Das lässt findigen Anwälten großen Spielraum für horrende Fantasie-Klagebeträge und öffnet dem Missbrauch Tür und Tor", kritisierte Karas.

"Egal ob VW-Dieselskandal oder Max Schrems Klage gegen Facebook, es zeigt sich: es ist Zeit für europäische Sammelklagen", sagte der grüne Europaabgeordnete Michel Reimon. Eine Amerikanisierung der Rechtsprechung sei nicht im Interesse der Konsumenten. "Dass sich die EU-Kommission nun endlich für Sammelklagen einsetzt, ist eine gute Nachricht für die KonsumentInnen", sagte auch die SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner. "Ob beim Abgasskandal oder den tausenden gestrichenen Flügen bei Ryanair, für den einzelnen war es bisher schwierig, die am Papier sehr starken Verbraucherrechte in der EU auch durchzusetzen."

Das Verbraucherschutz-Paket der EU-Kommission enthält auch neue Bestimmungen zur Vermeidung unterschiedlicher Qualitätsstandards bei Lebensmitteln in Europa. Mehrere osteuropäische Staaten hatten sich über schlechtere Standards der Industrie in ihren Ländern beschwert. Die EU-Richtlinie über unfaire Geschäftspraktiken soll nun dahingehend aktualisiert werden, dass nationale Behörden gegen irreführende Praktiken bei Produkten, die in verschiedenen EU-Staaten gleich vermarktet werden, vorgehen können, wenn sich die Zusammensetzung oder die Eigenschaften signifikant unterscheiden. (APA, 11.4.2018)