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Von der Jagd um die Goldene Palme beim Filmfestival von Cannes wurde Netflix ausgeschlossen. Jetzt machte der Streamingdienst selbst einen Rückzieher – der kalte Krieg geht aber weiter.

Foto: Reuters / Montage: der Standard

Cannes/Wien – Ob die Filme von Alfonso Cuaron, Paul Greengrass und Jeremy Saulnier am Ende tatsächlich im Aufgebot des Filmfestivals von Cannes gestanden wären, wer weiß? Sie sind jedenfalls vom Rückzug der Streamingplattform Netflix aus dem prestigeträchtigsten Filmfestival der Welt unmittelbar betroffen.

Die drei Regisseure haben ihre jüngsten Filme mit dem neuen Unterhaltungsriesen produziert. Netflix zog kurz vor der Programmkonferenz am Donnerstag die Notbremse, nachdem sich Festivaldirektor Thierry Frémaux geweigert hatte, die Filme für den Wettbewerb in Betracht zu ziehen – "out of competition" war das Einzige, was er offerieren wollte.

Die Auseinandersetzung mag man als snobistischen Schlagabtausch abtun, sie hat jedoch Symbolcharakter. Dahinter steht die knifflige Frage, was in Zeiten, in denen Anbieter auf diversen Distributionskanälen antreten, als Kino gilt – und was nicht. Wer eine Antwort darauf hat, wie US-Regisseur Steven Spielberg, der macht es sich meist zu einfach. Spielberg sprach nicht von Cannes, sondern über das Anrecht auf Oscars: Wer seinen Film für ein TV-Format, mithin nicht für die große Leinwand produziere, sagte er in einem Interview mit ITV News, dem gebührt auch nicht der begehrteste Filmpreis der Welt.

Künstliche Trennung

Man kann es so sehen, aber die Trennung bleibt eine künstliche, zumal es nicht jedem Filmemacher wie Spielberg vergönnt ist, mit seinen Arbeiten global Leinwände zu bespielen. Alex Garlands Science-Fiction-Film Annihilation kam etwa nur in den USA ins Kino, überall sonst ins Netflix-Angebot. Okja von Bong-Joon Ho, eine rasante Satire um ein künstlich gezüchtetes Riesenschwein, lief noch vergangenes Jahr im Wettbewerb von Cannes – und galoppierte dann zu Netflix. Dabei hatte der Film durchaus alle visuellen Qualitäten für einen Kino-Release zu bieten.

Netflix

Spielbergs Argument deckt sich indirekt mit dem von Cannes-Chef Frémaux, der für Wettbewerbsfilme die Garantie will, dass sie in Frankreichs Kinos laufen; die französische Gesetzgebung sieht allerdings vor, dass erst 36 Monate später ein VOD-Release erfolgen darf – für Streamingdienste eine nicht hinnehmbare Ewigkeit.

Es geht mithin um einen Hegemoniestreit: Die Streamingportale wollen die totale Kontrolle über ihre Produkte; Festivals und Filmstudios, die etwa in den USA eng mit Kinogruppen kooperieren, versuchen, die gängige Verleihpraxis zu wahren. Sie zeigen sich jedoch kompromissbereit, was etwa die Verkürzung der Sperrfristen nach dem Kinostart anbelangt.

Insgesamt ist diese Diskussion allerdings zu eng auf den ökonomischen Bereich ausgerichtet. Filme von wichtigen Regisseuren im Kino zu sehen, auf der großen Leinwand, wo sie ihre ganze Wirkkraft entfalten – und das wollen auch jene Filmschaffenden, die dem Lockruf von Netflix folgen –, ist auch eine kulturelle Errungenschaft. Dafür hat Frankreich als Filmnation, die ihre Traditionen auch immer mit einem Maß an Protektionismus schützt, mehr Sensibilität. Letztlich entscheidet aber auch das Publikum mit, was ihnen die bewährte Form des kollektiven Erlebnisses wert ist und in welcher Form man Film hinkünftig konsumieren will.

Dass es zumindest für den Moment auch andere Lösungen gibt, zeigt das Beispiel Amazon Studios, die dieses Jahr mit Pawel Pawlikowskis Cold War in Cannes sind. Amazon agiert flexibler und lässt die Kinoauswertung zu. Gewiss ist auch im kalten Krieg zwischen Netflix und Cannes noch nicht das letzte Wort gesprochen: Der Strukturwandel im Produktions- und Distributionsbereich ist mit strengen Auflagen bestimmt nicht zu stoppen – auch Apple rüstet sich bereits. Wenn "on demand" überall die Regel wird, müssen auch Kinos umdenken. (Dominik Kamalzadeh, 13.4.2018)