Ankara/Athen – Gebt uns unseren Prediger, wir geben euch euren Prediger: Der Tauschhandel, den der türkische Staatspräsident im vergangenen Jahr der US-Regierung unverblümt anbot, wird drängender. Am Montag begann vor einem Gericht in Izmir der Prozess gegen den inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson. Dem Pfarrer wird Terrorismus vorgeworfen. Vorerst bleibt er in Haft, die nächste Anhörung ist für 7. Mai angesetzt. Ihn will die türkische Führung gegen Fethullah Gülen eintauschen, den im Exil in Pennsylvania lebenden Imam. Gülen soll den Putsch in der Türkei 2016 organisiert haben.

Seit der Verhängung des Ausnahmezustands hat die türkische Justiz mehrere US-Bürger im Land sowie türkische Mitarbeiter von US-Konsulaten verhaftet. In einem Fall gab es bereits eine Verurteilung. Washington sieht die Verfahren nur als Druckmittel, um Gülens Auslieferung zu erreichen. Für politisch motiviert hält Ankara aber auch die Gerichtsverfahren in den USA gegen namhafte türkische Staatsangehörige oder gegen türkischstämmige US-Bürger. Diese Strafverfahren sind kompromittierend, weil sie die türkische Führung als korrupt oder gewalttätig darstellen. Auf dem derzeitigen Tiefpunkt der Beziehungen zwischen den USA und der Türkei haben Donald Trump und Tayyip Erdoğan mehr als ein Faustpfand in der Hand.

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Andrew Brunson (49), Pfarrer der presbyterianischen Auferstehungskirche in Izmir (Diriliş Kililesi, 30-40 Gemeindemitglieder), wurde im Oktober 2016 festgenommen. Vorwurf: Verschwörung gegen den türkischen Staat, führendes Mitglied der Gülen-Bewegung, Missionierung. Die Staatsanwaltschaft beantragte lebenslängliche Haft. US-Präsident Trump und Kongressmitglieder haben Erdoğan mehrfach zur Freilassung des Pfarrers gedrängt. Brunson lebt mit seiner Familie seit 23 Jahren in der Türkei. Er war zuerst zur Ausweisung in ein Gefängnis für illegale Immigranten gekommen. Nach der Aussage eines anonymen Zeugen wurde er dann als Terrorverdächtiger inhaftiert.

USA

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Fethullah Gülen (76) ist ein türkischer Prediger, den Regierung und Justiz in der Türkei für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 und für die systematische Unterwanderung von Staat und Gesellschaft verantwortlich machen. Die Türkei hat seine Bewegung mittlerweile zu einer Terrororganisation erklärt und Gülens Auslieferung aus den USA beantragt. Gülen, der ein weltweites Netzwerk von Unterstützern unterhält, weist die Vorwürfe von sich. Der Imam war lange Jahre ein politischer Verbündeter der konservativ-religiösen Regierungspartei AKP des heutigen Staatschefs Erdoğan. Er setzte sich 1999 in die USA ab, nach langem Rechtsstreit erhielt er 2008 eine Green Card. Gülen lebt zurückgezogen in einer Residenz in Pennsylvania.

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Metin Topuz, Mitarbeiter des US-Generalkonsulats in Istanbul seit den 1980er-Jahren und der Behörde für Drogenfahndung des US-Justizministeriums (DEA). Vorwurf: Spionage und Verschwörung gegen den türkischen Staat. Nach seiner Festnahme im September 2017 stoppte das US-Außenministerium als Vergeltung vorübergehend die Visavergabe in der Türkei für Reisen in die USA. Als Verbindungsmann der Amerikaner hatte Topuz Kontakt zu türkischen Polizeichefs und Staatsanwälten, denen nun ihrerseits Mitgliedschaft im Netzwerk des Predigers Gülen vorgeworfen wird.

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Reza Zarrab (34), türkisch-iranischer Geschäftsmann, wurde im März 2016 auf einer Reise nach Florida verhaftet. Vorwurf: Geldwäsche, Betrug von US-Banken, Umgehung der Iran-Sanktionen der USA, Gefährdung der nationalen Sicherheit der USA. Zarrab kooperiert mit dem FBI im Tausch gegen eine Verringerung seiner noch nicht festgelegten Haftstrafe. Er war auch die Schlüsselfigur im Korruptionsskandal der Erdoğan-Regierung vom Dezember 2013. Erdoğan ließ die Ermittlungen damals niederschlagen. Dabei ging es – wie später vor dem Gericht in New York – um die Geldwäsche von Öleinnahmen des Iran durch Goldankäufe und fingierte Lieferungen von medizinischen Artikeln und Nahrungsmitteln in den Iran, vor allem aber um die Bestechung von Erdoğans damaligen Ministern. Zarrabs Vermögenswerte in der Türkei ließ die Regierung 2017 beschlagnahmen. Sie sieht seine Aussagen sowie das Gerichtsverfahren in New York als Verschwörung der Gülenisten.

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Hamza Uluçay, langjähriger Mitarbeiter des US-Konsulats in Adana, wurde im Februar 2017 festgenommen. Vorwurf: Propaganda für die PKK und Verbindungen zur kurdischen Untergrundarmee sowie zur Gülen-Bewegung. Uluçay hatte als Übersetzer US-Vertreter bei Reisen in den kurdischen Süden der Türkei begleitet. In seinem Haus in Adana fand die Polizei angeblich Ein-Dollar-Scheine. Das gilt der türkischen Justiz als Indiz für die Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung. Nach mehrmaliger Verschiebung fand im März 2018 ein erster Verhandlungstag vor einem Gericht in Mardin statt. Die Staatsanwaltschaft beantragte 15 Jahre Gefängnis.

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Hakan Atilla (47), Vizepräsident der türkischen Halk Bank, war im März 2017 auf dem New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen auf der Rückreise nach Europa verhaftet worden. Ein Geschworenengericht befand ihn im Jänner 2018 der Geldwäsche und der Umgehung der Iran-Sanktionen der USA durch ein betrügerisches System für schuldig. Die für 11. April angesetzte Urteilsverkündung wurde nun auf Mai verschoben. Atilla drohen 15 Jahre Gefängnis. Belastet wurde der Banker durch den türkisch-iranischen Goldhändler Reza Zarrab, der mit der US-Justiz kooperiert. Der Fall kompromittiert Erdoğan, dieser fordert Atillas Freilassung.

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Nazmi Mete Cantürk, stellvertretender Sicherheitschef im US-Generalkonsulat in Istanbul, ist im Februar 2018 von einem türkischen Gericht unter Hausarrest gestellt worden und muss eine elektronische Fußfessel tragen. Cantürk war im Oktober 2017 zusammen mit Metin Topuz gesucht, aber nicht gefunden worden. Laut Berichten der türkischen Regierungspresse werden Cantürk Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen. Die türkische Justiz und das US-Außenministerium nahmen bisher nicht dazu Stellung.

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Sinan Narin (45) wurde im Juni 2017 in den USA verhaftet und sitzt eine Haftstrafe von einem Jahr und einem Tag ab. Der türkischstämmige Amerikaner bekannte sich in einem Gerichtsverfahren des Angriffs auf Demonstranten während des Besuchs von Erdoğan in Washington im Mai 2017 für schuldig. An der Verprügelung der Demonstranten waren auch Erdoğans Leibwächter beteiligt. Die türkische Regierung hält die Verurteilung für politisch motiviert.

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Foto: Widener University http://www.widener.edu/academics/faculty/kuli/default.aspx

Ismail Kul, Chemieprofessor der Widener University in Pennsylvania, wurde im August 2016 auf Besuch in der Türkei festgenommen. Der Vorwurf: Mitglied der Gülen-Bewegung. Kul war am 15. Juli 2016, dem Tag des Putsches, aus den USA in die Türkei eingereist. Das machte ihn für die türkische Justiz verdächtig. Kul sagte zu Beginn seiner Gerichtsverhandlung aus, er habe den ebenfalls in Pennsylvania lebenden Fethullah Gülen im Jahr 2010 einmal getroffen. Die Begegnung sei von dem AKP-Parlamentarier Ahmet Aydın arrangiert worden. Aydın dementierte.

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Auch Eyüp Yildirim (50) bekannte sich des Angriffs auf Demonstranten in den USA für schuldig und sitzt nun im Gefängnis. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu besuchte die beiden Männer im September 2017 im Gefängnis und twitterte die Bilder. Die Anklage gegen elf Leibwächter wegen Körperverletzung ließ die US-Justiz wieder fallen: Vier Fälle wurden vor dem Besuch des türkischen Regierungschefs Binali Yıldırım in Washington im November 2017 zurückgenommen, sieben weitere vor dem als kritisch eingestuften Besuch des damaligen US-Außenministers Rex Tillerson in Ankara im März 2018.

(Markus Bernath, 16.4.2018)