Peter Röhrig eroberte von Ottakring aus die Welt. Mit seinem Betrieb Mam und 900 Mitarbeitern ist er in vielen Ländern der Welt Marktführer. Die Hälfte seines Geschäfts macht er mit Schnullern. Mehr als hundert Patente hat er im Haus. Geforscht wird in Österreich, produziert in eigenen Werken in Ungarn und Thailand. Nur jedes zehnte Baby verweigert Schnuller. Haben sie ausgedient, landen sie mitunter auf Bäumen im Zoo.

STANDARD: Erlauben Sie die Frage: Waren Sie ein Schnullerbaby?

Röhrig: Meines Wissens nach war ich das nicht.

STANDARD: Ihr Geschäft wurde Ihnen also nicht in die Wiege gelegt.

Röhrig: Nein. Aber ich arbeitete die ersten Jahre bei meinem Vater. Er hatte einen Kunststoffbetrieb, und da haben wir unter anderem Teile für Schnuller hergestellt.

Natürlich werde ich manchmal belächelt, sagt Peter Röhrig, und im Vergleich zur Konkurrenz sei sein Betrieb Mam klein "wie ein Fliegenschiss".

STANDARD: Er erzeugte auch Schokoladeformen und Pez-Spender ...

Röhrig: ... stellte die ersten Semperit-Formen und Eisbecher für Eskimo her.

STANDARD: Warum sind Sie nicht in seine Fußstapfen getreten?

Röhrig: Ich habe viel bei ihm gelernt. Aber es war ein Zulieferbetrieb, an dem wir nicht die Mehrheit hatten. Ich wollte immer etwas anderes, etwas Besonderes, Eigenes machen.

STANDARD: Sie tüftelten in Ihrer Jugend an zehn Projekten.

Röhrig: Genau, ich erinnere mich noch an Mikrowellengeschirr und eine Pharmaverpackung.

STANDARD: Wurden andere Unternehmer mit diesen Ideen reich?

Röhrig: Darauf habe ich nie geachtet. Natürlich will man erfolgreich sein, etwas schaffen und dabei auch was verdienen. Geld ist jedoch bei weitem nicht der einzige Grund, um Unternehmer zu werden.

STANDARD: Sie entschieden sich mit Ihrem Betrieb Mam für Schnuller, Flascherln und Beißringe. Machen einen Babys zum Millionär?

Röhrig: Absolut nicht. Aber man kann davon gut leben. Der internationale Erfolg ist schön. Und das Feedback der Eltern, die Spaß mit ihren Kindern haben, freut uns.

Millionär wird man mit Schnuller, Flascherln und Beißringen nicht, sagt Röhrig, dessen Umsätze seit Jahren stetig steigen.

STANDARD: Ich habe eine Testerin dabei: Hannah, drei Monate. Sie ist bei ihrem Zuz nicht wählerisch, nuckelt an allem, was ihr so unterkommt. Warum sollte ich ihr Ihre Schnuller schmackhaft machen?

Röhrig: Wir stehen seit vielen Jahren in enger Verbindung zu Ärzten. Das ging in unsere DNA über. Gibt es etwas wissenschaftlich Interessantes zu dem Thema, habe ich es auf meinem Schreibtisch.

STANDARD: Zuz und Flascherln als Hightech-Produkte in allen Ehren. Aber muss man da nicht die Kirche im Dorf lassen? Ein Nuckel ist ein Nuckel ist ein Nuckel.

Röhrig: Man wird als Schnullerproduzent ja manchmal auch belächelt. Aber wir sind als solcher sogar in der Lage, Verformungen von Kinderzähnen zu korrigieren.

STANDARD: Mam hat an die 120 Patente im Haus. Worauf fußen diese?

Röhrig: Da ist beispielsweise das Fläschchen: Das Baby saugt gegen den Unterdruck, eine völlig andere Saugbewegung als an der Mutterbrust, und schluckt dabei Luft. Wir haben ein Ventil entwickelt, das für gleichmäßigen Druck sorgt – wie an der Brust. Die Sauerstoffsättigung in ihrem Blut ist höher, als wenn sie aus normalen Fläschchen trinken. Wir ließen das bei Frühgeborenen in Spitälern wissenschaftlich testen.

STANDARD: Wie hoch ist das Risiko von Fälschungen Ihrer Produkte?

Röhrig: Wir werden immer wieder kopiert, ob in China oder Deutschland. Wir konnten dies jedoch mit Patentanwälten stets bremsen.

STANDARD: Sie produzieren 70 Millionen Schnuller im Jahr. Wie tickt der Markt für Babybedarf?

Röhrig: Es gibt keinen Weltmarkt in der Distribution, nur sehr lokale Märkte. Und essenzielle Babyprodukte sind unabhängig von der wirtschaftlichen Lage.

STANDARD: Die jährliche Geburtenrate stagniert in Österreich bei weniger als 88.000 Babys. Ihre Mütter sind im Schnitt 31. Warum ist beides Ihrem Geschäft zuträglich?

Röhrig: Eltern werden immer kritischer, sicherheits- und designbewusster. Skandinavier sind hier die Vorreiter. Sie wollen Qualität und sind nicht bereit, wegen des einen oder anderen Euro Abstriche zu machen. Unsere Produkte gehen ja nicht ins Wirtschaftsgeld, anders als ein Kinderwagen.

Nur zehn bis 15 Prozent aller Babys verweigern den Zuz. Die übrigen sollten nach zwei, drei Jahren ausgenuckelt haben.

STANDARD: Sie sind Experte für Stillen, Saugreflex, plötzlichen Kindstod, Koliken. In Ihren Archiven liegen hunderte Studien. Ein immenser Aufwand für eine sehr kleine Nische – der treue Kunden fehlen: Im Alter von zwei, drei Jahren sollte es sich ja ausgenuckelt haben.

Röhrig: Richtig, aber unsere Konkurrenz hat genau dasselbe Problem. Und jeden Tag kommen neue Kinder auf die Welt, und ihre Mütter tauschen sich über Produkte, die gut funktionieren, aus.

STANDARD: Nicht nur die berühmte Schnullerfee, auch Nikoläuse bekommen alljährlich mehr oder weniger unfreiwillig säckchenweise ausgediente Sauger ausgehändigt.

Röhrig: In Schweden hat man in einem Zoo alte Schnuller an einen Baum gehängt – für die kleinen Tiere, die auf die Welt kommen, wie die Eltern ihren Kindern erzählen.

STANDARD: Es gibt einen diskreten kleinen Markt für Adult Babys, für Erwachsene, die Babys sein wollen. Ein interessantes Zusatzgeschäft?

Röhrig: Hie und da gibt es bei uns angeblich entsprechende Anrufe. Aber dafür produzieren wir nicht.

STANDARD: 98 Prozent Ihrer Produkte werden exportiert. Haben Sie Sehnsuchtsmärkte, in denen Mam noch gern vertreten wäre?

Röhrig: Nach Japan haben wir es bisher noch nicht geschafft, das würde mir gefallen. Stark sind wir derzeit an China dran. Als europäische Marke mit hohen Marktanteilen sehe ich dort für uns immense Vorteile. Die Chinesen haben die europäische Flaschennorm abgeschrieben, weil sie die umfangreichste und strengste ist.

STANDARD: Sie sind unter anderem Marktführer in den USA und Skandinavien. Wohin zieht es Sie nicht?

Röhrig: In nichtindustrialisierte Länder, die über kein sauberes Wasser verfügen. Dort kann ich unsere Produkte nicht ruhigen Gewissens auf den Markt bringen.

STANDARD: Sie haben Ihre eigenen Werke in Ungarn und Thailand angesiedelt. Warum war eine Produktion in Österreich nie eine Option?

Röhrig: Mehr als 80 Prozent unserer Teile stellen Zulieferer aus Österreich her. Montage und Bedruckung sind jedoch sehr personalintensiv. Wir müssen hier mit anderen Löhnen arbeiten, um international konkurrenzfähig zu sein.

STANDARD: Sie bauen eine neue Fertigung in Thailand auf, zählen dort bereits an die 100 Mitarbeiter – auf Kosten der Kapazitäten in Ungarn?

Röhrig: Nein. Wir wachsen auch in Ungarn. Wir haben hier aber mittlerweile bereits mehr als 500 Leute. Hat man in einem Ort mehr Mitarbeiter, als dieser Einwohner zählt, gibt es irgendwann Grenzen, es wird schwer, weiteres Personal zu bekommen. Außerdem automatisieren wir sehr stark. Zugleich expandieren wir nach Fernost. Langfristig wird Asien nicht nur in Europa einkaufen.

STANDARD: Trotz der in Summe gut 900 Mitarbeiter ist Mam im Vergleich zu den großen Konkurrenten Nuk und Avent ein Zwutschkerl.

Röhrig: Absolut, keine Frage, ein Fliegenschiss sozusagen. Aber wir kleinen privaten Firmen sind beweglicher, entscheiden schneller, konzentrieren uns auf nur eine Sache. Ein Konzern wie Philips hat so viele Interessen. Will eine Abteilung etwas Besonderes, kann es dauern, bis sie gehört wird.

Schrauben zu verkaufen ist nicht ganz so lustig wie Schnuller, das mache es leicht, gute Mitarbeiter in der Forschung und Entwicklung zu finden.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Sie forschen in Österreich. Finden Sie dafür ausreichend kompetente Leute?

Röhrig: Wir haben das extreme Glück, dass unsere Produkte sympathisch sind. Das macht es mir leicht, gute Mitarbeiter zu finden. Schrauben zu verkaufen ist halt nicht ganz so lustig wie Schnuller, auch wenn sie an sich denselben Wert haben. Aber es gibt natürlich das Problem, und das nicht nur in Österreich, dass zu wenige Techniker ausgebildet werden – von Biomedizinern über Maschinenbauern bis hin zu Kunststofftechnikern. Zu wenige junge Leute wollen die Welt verändern.

STANDARD: Standen Sie im Laufe Ihres Unternehmerlebens je auf der finanziellen Kippe?

Röhrig: Nie. Ich hatte immer wieder Probleme, aber die waren allesamt bewältigbar. Ich hatte natürlich auch Glück, das braucht jeder Erfolgreiche. Aber man muss halt auch was dafür tun, um das Glück zu haben.

STANDARD: Fühlen Sie sich von Österreichs Bürokratie gebremst?

Röhrig: Nehmen wir die neue Datenschutzverordnung: Was Facebook betrifft, ist sie eine Notwendigkeit. Geht es aber um Mails von Kunden, die Wohnadressen nennen, die wir irgendwo abgelegt haben, die wir nach sieben Jahren löschen müssen, ist sie maßlos übertrieben. Ein irrer Aufwand, der der Gesellschaft nicht dient. Andererseits hat eine Sicherheitsnorm für Schnuller 50 Seiten – wofür wir kritisiert wurden. Dafür kam meines Wissens nach seit mehr als 20 Jahren kein Kind in Europa oder den USA zu Schaden.

STANDARD: Wie leicht wird es Jungunternehmern gemacht?

Röhrig: Die Rahmenbedingungen gehören verbessert, damit würde Österreich besser dastehen. Einer meiner Söhne macht gerade in den USA ein Start-up, beschäftigt ein paar Leute. Schauen wir, was draus wird. Neun von zehn scheitern, da würde es von uns keinen Vorwurf geben. Die Bürokratie ist auch in den USA nicht so gering. Wirtschaftlich erfolgreiche Leute werden bei uns aber schiefer angeschaut als in Amerika.

STANDARD: Nach den Erfahrungen in den USA wird Ihr jüngerer Sohn Ihr Nachfolger. Übergaben verlaufen jedoch selten konfliktfrei. Wird Ihnen da mitunter etwas bange?

Röhrig: Natürlich kann es schiefgehen. Daher sollte man sich gut überlegen, wie man es angeht. Ich habe meine Kinder nie dazu gezwungen. Der Jüngere interessiert sich für die Firma, auch wenn er vorher etwas Eigenes machen will. Wie in einer Ehe kann es krachen. Ich glaube aber nicht an viele Friktionen. Wir verstehen uns gut. Ich weiß, wie ich ihm gewisse Dinge sage. Und er weiß, was er an guten Tipps von mir hätte. (Verena Kainrath, 15.4.2018)