Relikte wie dieses, ein in die Tunnelgänge gezeichneter Davidstern aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, wurden mittlerweile bei Ausgrabungen auf dem Areal des ehemaligen Lagers freigelegt. Possert fordert eine lückenlose Aufarbeitung der Geschichte des Bezirks Liebenau.

Foto: Possert

Graz – Er ist lästig, geht den Stadtpolitikern mächtig auf die Nerven, aber es ist ein ehrenwertes Anliegen, das ihn antreibt: Der Grazer Wahlarzt Rainer Possert versucht seit Jahren das wohl dunkelste Kapitel der steirischen Landeshauptstadt zu erhellen und die lokale Politik dazu zu bewegen, das Areal eines ehemaligen NS-Gefangenlagers im Wohnbezirk Liebenau wissenschaftlich untersuchen zu lassen, um zu prüfen, ob tatsächlich unter der Erde noch immer unzählige, vor allem ungarisch-jüdische Opfer des Naziterrors verscharrt sind.

Obwohl jüngst Historiker des Bundesdenkmalamtes bei Grabungsarbeiten immer wieder Hinterlassenschaften aus dem Lager gefunden haben, lehnt die Stadt bisher eine lückenlose Untersuchung des Gebietes – wie es etwa im burgenländischen Rechnitz geschah, wo man Leichen jüdischer Zwangsarbeiter unter der Erde vermutete – kategorisch ab.

Unerträglicher Leichengeruch

Den Anstoß für Possert, sich um dieses Stück Grazer Vergangenheit zu kümmern, kam von seinen Patienten, die im Bezirk wohnen. Sie hatten, sagt er, wiederholt von Knochenfunden berichtet. Possert kontaktierte Historiker, ging in Archive, sammelte Aussagen von Zeitzeugen.

Notiz einer Zeugin aus dem Jahr 1947: "Aus einem Bombentrichter am Nordende des Lagers entströmte unerträglicher Leichengeruch ..." Possert engagierte eine Spezialfirma für Luftaufnahmen, auf denen jene zugeschütteten Bombentrichter zu sehen sind, in denen verscharrte Opfer vermutet werden. "Obwohl Archäologenteams die teilweise verschütteten Bunker zur Gänze ausgraben wollten, um nach weiteren Zeugnissen von Opfern oder Tätern zu suchen, haben das die Verantwortlichen der Stadt nicht zugelassen", so Possert.

Das Engagement, die Wahrheit über das Lager herauszufinden, hat Possert nun beruflich ins Trudeln gebracht. Der Arzt, der 1984 mit Kollegen aus der Medizin- und Sozialbranche eine der ersten Praxisgemeinschaften, das SMZ (Sozialmedizinische Zentrum), gegründet hatte, beklagt, man versuche, ihn mit seinem Büro vor die Tür zu setzen.

Fördermittel gestrichen

Posserts Gedenkarbeit für die Opfer des Lagers hatte nämlich Folgen für das SMZ, das gleichzeitig auch als Stadtteilzentrum fungiert. FPÖ-Vizebürgermeister Mario Eustacchio hatte dem Zentrum kurzerhand die Fördermittel gestrichen, weil die Subvention seiner Meinung nach – laut internem SMZ-Gesprächsprotokoll – sinngemäß "nicht für politische Agitation", sondern für die Entwicklung des Stadtviertels sei.

Die Gedenkarbeit im Zusammenhang mit dem ehemaligen Lager sei nicht Aufgabe eines Stadtteilzentrums und habe auch mit "Gesundheitsförderung" nichts zu tun. Possert kam innerhalb seines Zentrums unter Druck. Man trennte sich von ihm. Das SMZ kriegt künftig wieder die üblichen Subventionen.

Hinter diesem durchaus politisch motivierten Vorgehen der Stadt steht im Grunde auch die Stadtentwicklung. Stadtrat Eustacchio ist für den sozialen Wohnbau zuständig, er will auf dem ehemaligen Lagerareal soziale Wohnbauten errichten. Da kommt ihm Possert mit seiner Bemühung, endlich Klarheit zu schaffen, ob hier noch NS-Opfer begraben sind, in die Quere.

Zubetonierte Erinnerung.

Mittlerweile stößt die Stadt aber immer wieder auf Relikte des alten Lagers: Bunker, Straßenanlagen, Artefakte, Bilddokumente wie Graffiti in den Tunnelgängen. Die Fundstellen wurden großteils wieder zubetoniert und versiegelt. Über einem Bunker wurde ein Jugendzentrum errichtet.

"In unmittelbarer Nähe dieses Jugendzentrums befinden sich unter Tennisplätzen weitere nicht fertiggestellte Bunkeranlagen, die von Zeitzeugen als Schottergrube bezeichnet wurden", sagt Possert. Dazu gebe es schriftliche Aufzeichnungen wie diese: "Luksch sah, wie Gefangene große Säcke in eine Schottergrube am Westrand des Lagers trugen, aus denen Schuhe herausragten. Am nächsten Morgen lagen bei einem Schotterhaufen dann immer Kleider."

Die Stadt Graz mit Bürgermeister Siegfried Nagl weiß um die Sensibilität des Themas. Sie finanziert nun großzügig ein historisches Projekt, eine Ausstellung samt Begleitband und die Errichtung eines Kunstwerkes. Nagl will den Eindruck vermitteln, dass die Stadt ohnehin – jetzt im Gedenkjahr – alles unternehme, um die Geschichte aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken.

"Ja eh. Aber die Stadt duckt sich bei der wichtigsten Sache weg. Es bräuchte nur eine Bodenradaruntersuchung oder gezielte Bohrungen bei den bis auf den Zentimeter abgemessenen Bombentrichtern, um an die Wahrheit zu kommen. Damit ein für alle Mal klar ist, ob hier noch Opfer verscharrt sind oder nicht. Aber so müssen dann die künftigen Wohnungsmieter oder Schrebergartenbesitzer im Ungewissen leben, ob ihre Häuser nicht doch auf einem Friedhof gebaut sind", sagt Rainer Possert. (Walter Müller, 14.4.2018)