Die Likör-Bar in der Panik City ist so etwas wie Udo Lindenbergs Atelier. Diese Alkoholika verwendet der Rocker zum Malen von Aquarellen.

Foto: Panik City

Die Panik City ist eine interaktive Lebenswerkschau.

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"Gitarren statt Knarren": Die Macher haben bei dem fast zwei Millionen Euro teuren Projekt fast vollständig auf Artefakte mit auratischer Wirkung verzichtet.

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Ein eigenes Zimmer hat auch die DDR, gegen die Lindenberg nach Kräften angesungen hat.

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Ein Teil des "Udoversums" ist seiner Heimatstadt Gronau gewidmet, wo Lindenberg aufgewachsen ist.

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Im nachgebauten Boogie-Park-Studio können Lindianer dessen Hit "Mein Ding" interpretieren und sich dabei filmen.

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Hinter all dem technischen Firlefanz bleibt der Mensch Lindenberg seltsam unnahbar.

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Mitten auf der Hamburger Reeperbahn, die Udo Lindenberg als "geile Meile" besungen hat, liegt sie: die nigelnagelneue Panik City. Kein traditionelles Museum, keine belehrende Ausstellung ist in den vierten Stock des Klubhauses St. Pauli eingezogen, sondern eine interaktive Lebenswerkschau für den deutschen Rocker. Sechs Jahre nach dem Misserfolg des Beatlemania-Museums über die legendären Hamburger Jahre der Fab Four wird ein neuer Versuch unternommen, sich einer hanseatischen Legende zu besinnen – denn die lebt tatsächlich seit 1968 in Hamburg.

Auf 700 Quadratmetern können die Lebensstationen des musikalischen Allroundtalents abgeklappert werden: von Lindenbergs Jugendzeit, seiner Wohnstätte im Hotel Atlantic über den politischen Rocker, der gegen Schwulenfeindlichkeit, Alt- und Jungnazis gesungen hat, bis hin zu seiner letzten Konzerttournee. Im Erdgeschoß, in der Bar Alte Liebe, beginnt die Tour. Nach einem kurzen Vortrag führt ein Guide durch die Welt des "Panik-Machers": Lindenberg nannte seine Band das "Panikorchester", den ersten Film "Panische Zeiten" und die Autobiografie "Panikpräsident".

Craziness und Sensibilität

Die erste Tür des "Udoversums" geht auf, und man findet sich in der nachgebauten Raucherlounge des Atlantic Hotels wieder. Das soll sich so anfühlen, als ob man tatsächlich das Nobelhotel beträte, in dem Lindenberg seit über 20 Jahren seinen festen Wohnsitz hat. Die Besuchergruppe nimmt auf gepolsterten Hockern Platz, gegenüber von Udo. Allerdings ist der nur als Videoinstallation auf einer Panoramaleinwand zu sehen, dafür täuschend echt. "Herzlich willkommen in der Udo-Welt, macht euch locker", grüßt er. Und dann erzählt er ein wenig von sich.

Der nächste Raum widmet sich Lindenbergs Geburtsstadt Gronau, zeigt ein videoanimiertes Zwiegespräch zwischen seiner Schwester und ihm. Dabei wird klar: Schon als Kind wusste Udo, dass er "sein Ding" durchziehen wollte. Ein angedeuteter Nachbau des Elternhauses sowie einer seiner Gronauer Stammkneipe sind ebenfalls zu sehen. Auch Schulfreund Clemi kommt zu Wort. Der Besucher erfährt, dass Udo den Eltern Gustav und Hermine sein musikalisches Gespür verdankt. Vom Vater habe er die "Craziness" in der Musik geerbt, von der Mutter die Sensibilität.

Politische Haltung

Was bei all der Hightech-Inszenierung auffällt: Die Macher haben bei dem fast zwei Millionen Euro teuren Projekt fast vollständig auf Artefakte mit auratischer Wirkung verzichtet. Es gibt keinen Lindenberg-Hut, keinen Udo-Schreibtisch, keine Original-Panikorchester-Songtexte. Stattdessen flimmern überall bunte Filmchen mit Interviews, es gibt Panoramaleinwände, 360-Grad-Videoinstallationen, Augmented-Reality-Stationen – aber, und das erstaunt: alles nur auf Deutsch.

Fremdsprachige Besucher sind anscheinend keine Zielgruppe – sondern eher die 50- bis 70-Jährigen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Denn wer unter den weiter gereisten Besuchern sollte ihn auch verstehen, wenn er über die Panik City sagt: "Das ist ordentlich Action und Rock ’n’ Roll, aber eben auch schlaues Entertainment mit ’ner politischen Haltung. Das gibt’s nicht in Las Vegas, nicht in New York, nicht in L.A.!" Lindenberg hat inhaltlich, aber nicht finanziell an dem Projekt mitgewirkt.

Grüne Socken sind sein Ding

Im nachgebauten Boogie-Park-Studio können Lindianer dessen Hit "Mein Ding" interpretieren und sich dabei filmen. Kopfhörer auf, Mikrofon an. Lindenberg begrüßt die Gruppe und animiert sie per Videoinstallation, gemeinsam seinen Song zu singen und zu tanzen. Man steht dabei auf grünen Fußabdrücken – weil Lindenberg gern grüne Socken trägt, wie hoffentlich jeder seiner Fans weiß. Anschließend darf man das Video auf einem USB-Stick mit nach Hause nehmen.

Sogar eine Likör-Bar mit dem schönen Namen "Alkohol und Kunst" hat man aufgebaut: Zum Trinken ist sie nicht gedacht, dort sollen Besucher die sogenannten Likörelle von Udo Lindenberg auf einem Tabletcomputer nachmalen: von ihm erfundene und inzwischen patentierten Aquarelle, gemalt mit Likör.

Optisch-klangliches Sperrfeuer

Ein eigenes Zimmer hat auch die DDR, gegen die Lindenberg nach Kräften angesungen hat. Hier hängt jene Gitarre, die er einst Erich Honecker vermachte. Udo erzählt von "meterhohen Stasi-Akten", die es über seine Songs wie "Mädchen aus Ostberlin" und "Sonderzug nach Pankow" gegeben hat. In der letzten Station steht der Besucher schließlich mit einer Virtual-Reality-Brille ausgestattet im Stadion auf der Bühne: "Reeperbahn, du geile Meile!" wird gegeben. Mehr Kathedrale geht nicht.

"Ich glaube, die Leute werden von Udo überrascht sein, von der Vielfältigkeit seines Schaffens, von den persönlichen und berührenden Momenten", sagt Corny Littmann, Panik-City-Initiator, Investor und ehemaliger Präsident des Fußballvereins FC St. Pauli. Dennoch bleibt der Mensch Lindenberg merkwürdig unnahbar in seiner Panik City. Vielmehr geht es um Emotionalisierung mit den technischen Möglichkeiten unserer Zeit: Überall wird der Besucher von einem optisch-klanglichen Sperrfeuer aus Tönen und Bildern begleitet.

Eierlikör gratis

Ob das reicht – singen und malen mit Udo? Nach Rock ’n’ Roll fühlt es sich jedenfalls nicht an. Was den ungebrochenen Ruhm des Deutschrockers ausmacht, der mittlerweile 71 ist? Genau diese Frage bleibt unbeantwortet. Hamburg ist jedenfalls stolz auf das neue Udoversum, Touristiker ebenso wie viele Medien- und Kulturschaffende.

Am Ende der 90-minütigen Tour steht – ganz analog – ein Museumsshop mit dem einschlägigen Andenkensortiment: Kappen mit Udos Konterfei, T-Shirts mit dem Aufdruck "Sonderzug nach Pankow" und Lindenberg-Bildbände – nur "Naziland ist abgebrannt"-Kaffeehäferln sucht man vergeblich. Dafür gibt es zum Schluss einen Eierlikör gratis. (Michael Marek, RONDO, 20.4.2018)