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Obwohl unser Autor den Streifen "Casablanca" gefühlte 30 Mal gesehen hat, seufzt er noch immer, wenn Rick (Humphrey Bogart) seine Ilsa (Ingrid Bergman) am Ende des Filmes ziehen bzw. fliegen lässt. Er hätte das nie zugelassen.

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Am Anfang war die heilige Jungfrau Maria. Carina war auserwählt, sie beim Krippenspiel zu geben. Damals, in diesem fernen Winter keimte zum ersten Mal eine ungekannte Sehnsucht in meinem knabenhaften Herzen. Und Eifersucht, denn nicht ich war es, der den Josef mimen durfte. Nicht einmal die Rolle eines Weisen aus dem Morgenland wurde mir zuteil. Lediglich für einen Hirten taugte ich. Josef war ein anderer.

Inzwischen war der letzte Sommer nach der Volksschule ins Land gezogen, und ich war noch immer für Carina entbrannt. Über holprige Umwege kam es zum ersten Date, denn es liegt in der Natur des Romantikers, nicht lockerzulassen, Wege zu suchen – und zu finden. Für den Romantiker gibt es in diesen Belangen kein Scheitern. Zumindest glaubt er das. Selbst wenn er noch grün hinter den Ohren ist.

Carina und ich saßen also tatsächlich am See, blickten wortlos in die bei Konstanz verschwindende Sonne. Die Wellen plätscherten vor sich hin, und aus meinem Kassettenrekorder ziepte ein Gitarrenstück von Ricky King. Es hieß "Goodbye My Love". Der Song, der nach dem Soundtrack eines DDR-Westerns klingt, musste der Grund sein, warum Carina verschwand. Ohne ein Wort, mir nichts, dir nichts, lang bevor sich die Sterne ins Himmelszelt hingen. Wer das Lied auf Youtube wiederfindet, wird Carina verstehen.

Ich habe sie nie wiedergesehen. Dabei sagt man, die Welt sei ein Dorf. Blödsinn. Bis heute hat sich Carinas Telefonnummer in mein Gedächtnis gebrannt. Ich kenne nicht einmal meine eigene. Nein, ich werde ihre Nummer nicht kundtun. Sonst kommt noch ein Spaßvogel auf die Idee, die zehn Ziffern zu wählen.

Möchtegern-Romeo

"Ich entdeckte, wie man alles Wertvolle erst im Verlust entdeckt, dass ich Zuneigung brauchte wie die Luft, die man atmet, ohne sie wahrzunehmen", schrieb der Dichter Fernando Pessoa. Der Stachel der Neugierde und Sehnsucht blieb auch nach Carina in meinem Fleisch stecken. Bis heute. Manche schreiben mir deshalb den Ruf des Romantikers zu. Doch was ist einer, dem dieser Stempel aufgedrückt wird? Wie ist so einer gestrickt? Zugegeben, ich mag Kerzen, ob im Stephansdom oder in der eigenen Stube. Wenn es geht, gleich ein ganzes Nest aus Teelichten. Abend für Abend. Ich steh auch schwer auf Jimmy Fontanas Schmachtfetzen "Il Mondo". Aber so einfach ist das nicht mit dem Stempel.

Eine Schachtel Konfekt, ein Dinner am Strand, ein Strauß Rosen, die Stimme von Dean Martin? Ich bitte Sie, das ist der Kindergarten des romantischen Möchtegerns, nichts weiter als ein billiges Lockmittel für Möchtegern-Romeos. Dem Geheimnis des Romantischen auf seinen tiefen Grund zu gehen ist ein Tauchgang. Es gestaltet sich diffiziler, als ein Referat zu halten über die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik, über die Abwendung von der Antike und Klassik. Handelt es sich beim Befall von Romantik um eine genetische Veranlagung, eine emotionale Havarie, Träumerei oder doch um "die Lehre von der allein seligmachenden Nützlichkeit", wie sie der Lyriker Joseph von Eichendorff nannte?

Zum Jahrestag

Ein anderer, Ryan Gosling, Feschak und Frauenschwarm, spielt im Film "Crazy Stupid Love" einen erfolgreichen Schwerenöter, der seinen Damenbesuch folgendermaßen becirct: Einmal in seiner Liebeshöhle angekommen, legt er die "Dirty Dancing"- Schnulze "Time of My Life" auf. Es folgt ein oben herum nackiger Gosling, der das Objekt seiner Begierde zu den Klängen des Songs mit beiden Armen gen Himmel hebt, als wäre dieses eine Feder. Ich würde so etwas nie tun. Warum? Der Song ist grauenvoll!

Meines ist das Bodenständige: Ich habe der Liebsten zu unserem Jahrestag einen wackligen Holzstuhl geschenkt. Es ist nicht irgendein Stuhl. Es ist jenes Möbel, auf dem sie saß, als ich sie zum ersten Mal in einem Wonnemonat Mai in meinem kleinen Stammcafé erblicken durfte. Den Stuhl zu "organisieren" war kein leichtes Spiel. Ich musste fast so waghalsig sein wie Christian Slater im Streifen "True Romance", in dem er seine frischgebackene Ehefrau Alabama aus den Fängen ihres brutalen Zuhälters befreit. Mögen dem Wirt meines Stammcafés diese Zeilen verborgen bleiben, denn der hat es drauf, finsterer dreinzuschauen als Alabamas fieser Strizzi.

Manche Damen kriegen bei der Geschichte leuchtende Augen vor Rührung. Männer ziehen eher die Braue nach oben, auf eine fast neidisch wirkende Weise. Die Story, seine Liebste in einem kleinen Café kennenzulernen, klingt ja auch besser als übereinstimmende Matching-Points auf Parship. Der Romantiker lechzt nicht nach Matching-Points. Er gibt sich der Sehnsucht nach dem Ungewissen hin und gleichzeitig der Gewissheit, seiner unbekannten Angebeteten irgendwo, irgendwann gegenüberzusitzen, sei es im Bus oder eben im Kaffeehaus. Wie nannte es Oscar Wilde? "Das Wesen der Romantik ist die Ungewissheit."

Frauen und Männer

Ich hab der "Meinen" auch eine kleine Schnur geschenkt, die ich einem Fischer auf der Insel Procida vor Neapel abgeschwätzt habe. Das Schnürchen habe ich zu einem Liebesknoten geformt, wie es einst angeblich bei englischen Seeleuten der Brauch war. Zurrte ihn die Liebste fest, hieß das, sie würde auf ihn warten. Gab sie ihn ihrem Seemann als losen Bändel zurück, bedeutete die Geste, "Schau ma mal". Natürlich ist der meine festgezurrt. Auf Procida verbrachten wir unseren ersten Sommerurlaub, dort war es auch, wo der Briefträger Mario Ruoppolo im Spielfilm "Il Postino" die Poesie entdeckte – und seine schöne Beatrice.

Apropos Postino: Manchmal schreibe ich meiner Liebsten Postkarten. Nein, nicht von Dienstreisen. Von hier, aus Wien, aus besagtem Café, von einer Bank im Burggarten oder von zu Hause. Meine Herzdame wandelt nicht auf dem verträumten, melancholischen Pfad des Romantikers, eher auf einer Nebenfahrbahn. Sie trocknet nicht die Blumen, die ich ihr schenke. Ich schon. Sie findet auch den Pflasterstein nicht mehr, den ich mitten in der Nacht mit einem Kaffeelöffel aus einem Platz in Rom gefieselt habe und mich somit des Schmuggels italienischen Kulturgutes schuldig machte.

Keine Rede also davon, dass Frauen romantischer sind als Männer. In einem Artikel in der "Welt" war schon vor längerem von einer Studie der New Yorker University of Albany die Rede. Die besagt, dass Männer eher bereit sind, ihre Karriere einer romantischen Beziehung zu opfern. Fazit der Forschung: "Männer verstehen ihre Partnerschaft als wesentliche, psychologische Stütze, um ihre Lebensziele zu verwirklichen. Frauen würden notfalls darauf verzichten." Eine Umfrage der Dating-App Jaumo sagt, dass 46 Prozent der befragten Frauen an die große Liebe glauben, während es bei den Männern 57 Prozent sind.

So schaut's also aus, gebt es zu Männer, lasst es raus, nicht nur in einer anonymen Umfrage. Und da wir gerade beim Besserwissen sind: Maxim Gorki meinte: "Niemand versteht, was ein Romantiker ist ... Das ist etwas, das zur Verschönerung dient, wie eine Perücke der Glatze, oder als Vorsichtsmaßregel, wie ein falscher Bart einem Spitzbuben." So ein Schmarren!

Dem Romantiker liegt nichts an Oberfläche, zu tief geht sein Sinnen. Der wahre Romantiker lässt sich von nichts abhalten, weder von Gorki noch von Chuck Norris. Angewandte Romantik ist eine Sisyphos-Arbeit des Herzens, das Werkzeug des Romantikers ist ein ideenreicher und gut bestückter Leierkasten, mit dem er durch seine Welt zieht. Seine Herzensangelegenheiten sind ein Perpetuum mobile, das, einmal in Gang gesetzt, in Betrieb bleibt. Um noch einmal Fernando Pessoa um eine Wortspende zu bitten: "Denn wer liebt, weiß niemals, was er liebt, noch, warum er liebt oder was lieben ist."

Rumtreiber

Der Therapeut, so ihn der Romantiker konsultieren würde, käme vielleicht zu dem Schluss, es handle sich bei all diesen Rumtreibern in einem Reich des Sentimentalen um Menschen, die Dinge sublimieren, Leute, denen es an Wagemut zur Realität mangelt. Mag sein, deshalb scheut der Romantiker den Therapeuten wie der Teufel ...

Trotz aller Ungeduld des Herzens ist ihm das Romantische ein Gut der Freiheit. Wie sagte es die amerikanische Fotografin Lillian Bassman in einem Interview mit dem "SZ-Magazin": "Romantik bedeutet für mich, sich nicht von Konventionen einsperren zu lassen; sie ist unser letztes Stück Freiheit."

Recht hat sie! Darum, liebe Zeitgenossen, schreibt Briefe und Postkarten, knotet Schnüre und holt euch ein Stück sehnsüchtiger Freiheit, solange es sie in Zeiten von Matching-Points, von Whatsapp und Skype noch gibt, denn diese Dinge, die uns im Jetzt und noch mehr im Immer ermöglichen, zu erfahren, wo der andere ist, was er denkt oder vorhat, bringen uns immer weiter weg vom Zauber des Ungewissen, von den bittersüßen Fragen der Ungeduld, die uns ganz allein gehören. Gerade das Sehnsüchtige hat seine Kraft. Apropos: Auch deshalb habe ich Carina nach all den Jahren nicht kontaktiert. Angeblich soll sie auf Facebook sein.

Vielleicht schafft die von Penelopé Cruz verkörperte Marie Elena im Film "Vicky Christina Barcelona" die Punktlandung, wenn sie sagt: "Nur unerfüllte Liebe kann romantisch sein." Wer es nicht glaubt, soll sich Ray Charles' "You Don't Know Me" reinziehen. Bloß nicht Ricky King! (Michael Hausenblas, RONDO, 20.5.2018)