Michael Michalsky mag Mischmasch. Noch einen Halbsatz auf Englisch hinterhergeschoben, noch eine Pointe auf Deutsch, beide Sprachen aneinandergenäht wie die Überreste zweier Kleidungsstücke. Doch bei dem 51-jährigen Modedesigner passen sie zusammen, die Sätze, die Stilregeln, die er sich für sein erstes Buch überlegt hat: "Lass uns über Style reden", wohlgemerkt in der international gebräuchlichen Wortwahl. Bei ihm wirkt der Mix wie angeboren.

Aufgewachsen in der Nähe von Hamburg, zog er gleich nach der Schule ins kosmopolitische London und studierte Mode am London College of Fashion. Er machte aus Adidas in den 1990er-Jahren eine relevante Modemarke und begann 2006 in Berlin mit seinem eigenen Label. Dass man Michalsky nun in jeder Einkaufspassage zwischen Wuppertal und Bad Gastein kennt, verdankt er seinem großmäuligen Einsatz als Jurymitglied von "Germany's Next Topmodel". Und was er dort nicht an Tipps loswerden konnte, steht in seinem Buch.

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Michael Michalsky war bis 2006 Chefdesigner bei Adidas. Seit zwölf Jahren betreibt er ein eigenes Mode- und Lifestyle-Label.
Foto: Picturedesk / Sebastian Gabsch

STANDARD: Herr Michalsky, Ihre erste goldene Regel lautet: Style nicht mit Mode verwechseln. Wann haben Sie das kapiert?

Michael Michalsky: Relativ früh. Als ich in den 80er-Jahren begann, mich mit Musik zu beschäftigen. Pop drückte Jugendkultur aus, ein passender Look transportierte sie. Da habe ich verstanden, dass Mode nicht nur die Verpackung ist, sondern als Stil von vielen anderen Faktoren beeinflusst wird.

STANDARD: Einer Ihrer ersten Looks als Teenager: Sie haben sich von Ihrem Vater ein übergroßes, weißes Jackett angezogen ...

Michalsky: ... eine Smokingjacke, richtig, darunter trug ich ein Paisleyshirt mit einer alten Goldbrosche meiner Oma am Kragen. Ein Schmuckstück mit echten Perlen, dazu stonewashed Jeans in Karottenform. Das war zu Zeiten der New Romantics, zur Zeit von Bands wie Spandau Ballet und Culture Club. Ich wollte deren Piraten-Outfits kopieren.

STANDARD: Was haben die Mitschüler gesagt?

Michalsky: Meine Eltern haben mir beigebracht, dass ich mich nicht darum kümmern soll, was andere Leute denken, solange ich korrekt handle. Was nicht bedeutet, dass meine Mitschüler nie komische Kommentare abgegeben haben: Wie sieht das denn aus? Das haben sie sich aber schnell abgewöhnt. Wenn sie etwas doof fanden, hat mich das angestachelt, noch extremer zu werden. Funktioniert leider auch andersherum. Wenn meine Eltern heute sagen, Mensch, das sieht aber toll aus, heißt das: Mein Look ist durch, it's over.

STANDARD: In Ihrer Jugendzeit haben Sie zu Kleidung eine Beziehung aufgebaut, indem Sie lange auf etwas hinsparten.

Michalsky: Im Italienurlaub habe ich mir im Mailänder Flagshipstore von Fiorucci einen grünen Trenchcoat gekauft, weil ich unbedingt die Marke tragen wollte. Am Ende war der Mantel doch zu hässlich. Ich habe ihn kaum getragen. Ein klassischer Fehlkauf, ich habe mich selbst dazu hochgeschaukelt, und als ich im Laden gesehen habe, 70 Prozent reduziert, dachte ich: Mensch, bargain of your life.

STANDARD: Trotzdem finden Sie, solche Erlebnisse formen das Stilbewusstsein.

Michalsky: Früher ist man in einen bestimmten Laden gegangen, hat sich die Sachen angeguckt, das Preisschild gesehen, oh Gott, das kann ich nie im Leben bezahlen, und ist Tage später zurückgekommen, um das Teil wieder anzuprobieren. Ich habe gewartet, dass endlich der Winterschlussverkauf beginnt.

Bis dahin verging viel Zeit, die ich damit verbrachte, mir 1.000 Variationen zu überlegen, wie ich das Hemd oder Jackett tragen könnte. Heute leben wir in einer Zeit, in der solche Wertschätzung für Kleidung kaum noch existiert. Immer mehr Läden machen auf, aus denen Leute mit braunen Tüten kommen. Wo es nur darum geht, möglichst viel für Summe X zu kaufen und man bewusst in Kauf nimmt, die Klamotten nie anzuziehen, weil sie ja nur 3,99 Euro gekostet haben.

STANDARD: Möchten Sie das Rad zurückdrehen?

Michalsky: Meine Grundeinstellung zum Leben lautet: Das Glas ist halb voll und nicht halb leer. Ich verstehe die Menschen nicht, die sagen, früher war alles besser. Wenn ich positiv über die Vergangenheit erzähle, heißt das nicht, dass wir das wie in den 80er-Jahren machen sollen. Ich berichte darüber, weil es zu meiner Geschichte gehört.

STANDARD: Sie sind in Bad Oldesloe aufgewachsen. Entsprach die Wertschätzung für Mode dort Ihrer Vorstellung?

Michalsky: Nicht wirklich, das ist eine Kleinstadt mit 23.000 Einwohnern. Die meisten wohnen dort, weil sie nach Hamburg zur Arbeit pendeln. Windjacken, Jeans, bloß nicht auffallen. Deshalb wollte ich so schnell wie möglich weg, nach England. Die Briten feiern ihre Exzentrik. Da interessiert es nicht, wenn du wie ein Dandy herumrennst. Die Neugierde ist sehr groß. Eine Tugend, die ich mir auch erhalten habe. Deshalb brenne ich mit 51 Jahren noch für Fashion, obwohl ich schon 26 Jahre im Geschäft bin.

STANDARD: Nach der Lektüre Ihres Buches wissen wir, Sie fühlen sich erst wie 25.

Michalsky: 27, bitte! Das ist ein gutes Alter. All das, was ich damals gemacht habe, treibt mich heute noch an. Ich bekam meinen ersten superwichtigen Job als Chefdesigner bei Adidas. Diesen Zustand der Freiheit wollte ich mein Leben lang beibehalten.

STANDARD: Nach der Designausbildung in London und einer kurzen Zeit bei Levi's landeten Sie in der fränkischen Provinz. Nicht besonders stilvoll.

Michalsky: Adidas war ein typisch deutsches Mittelstandsunternehmen, das gerade aus der Pleite kam. Eine Weltmarke aus einem Dorf. Die glorreichen Zeiten waren Mitte der 90er-Jahre vorbei, Robert Louis-Dreyfus hatte die Firma gerade gekauft. Als ich zum Vorstellungsgespräch in sein Büro ging, bemerkte ich als Erstes den Zigarrengeruch. Er rannte in Socken herum, die Löcher hatten.

STANDARD: Warum blieben Sie?

Michalsky: Er war ein Genie, ein Mann mit Visionen. Er hat die Firma gekauft, weil er die Marke geliebt hat. Vielleicht war er nicht modisch angezogen, aber er hatte Stil, war kulturell gebildet und konnte alles über die feinsten Weine erzählen, wenn man mit ihm essen ging. Gerade in der deutschen Sprache verwechselt man das gern. Style ist nicht der Look, mit dem jemand auf der Straße herumläuft.

STANDARD: Heißt das, deutsche Männer tun sich schwer mit Mode?

Michalsky: In Frankreich, Italien oder England sind die Leute verrückt nach ihren Modemarken, das ist ein patriotischer Stolz. Wenn in London der "Designer of the Year"-Preis vergeben wird, weiß jeder Taxifahrer, wer in welcher Kategorie nominiert ist und ob Stella McCartney wieder gewinnen wird. In Deutschland hat Mode noch den Beigeschmack des Frivolen. Sie wird nicht als kulturell hochwertig angesehen.

STANDARD: Auch dank Ihnen hat sich jedenfalls die Sneakerkultur durchgesetzt. Wer auf sich hält, kauft inzwischen Designermodelle.

Michalsky: Meine Mutter würde sagen, die tragen ja Turnschuhe. Stimmt natürlich nicht. Sneaker drücken mittlerweile einen individuellen Stil aus. Wer Britpop hört, trägt Schuhe aus dem Fußballbereich, einen Samba von Adidas vielleicht. Hip-Hop-Fans greifen zu einem Schuh aus dem Basketball. Sneaker sind Kultobjekte geworden, weil hinter den Schuhen eine Geschichte steht.

STANDARD: Sind sie nicht einfach nur wahnsinnig bequem?

Michalsky: Das ist einer der Gründe, warum sie so populär wurden. Dance Music ist die historisch letzte Subkultur im Mainstream. Das begann mit dem Summer of Love 1988, dem Club Shoom in London, Balearic Beats, den ersten illegalen Partys. Als ich Mitte der 80er-Jahre nach London kam, war die Ausgehmode stark von Designermarken wie Gaultier und Yamamoto beeinflusst. Von einem auf den anderen Tag liefen dieselben Leute plötzlich in Jogginghose und Sneaker herum. Weil sie donnerstags anfingen, in Clubs zu gehen, und montags nach Hause kamen. Das ging im Gaultier-Anzug nicht so gut wie in Sportkleidung.

STANDARD: Der amerikanische Autor Gay Talese geht jeden Tag im Anzug auf die Straße. Er beklagt, dass sich die Menschen keine Mühe mehr bei der Kleidungswahl machen.

Michalsky: In einem Umfeld wie der Oper oder dem Theater beklage ich das auch. Da dürfen sich Zuschauer gern Mühe geben. Aus Respekt gegenüber den Leuten, die monatelang etwas geübt und einstudiert haben. Das heißt nicht, dass jeder im Smoking kommen muss. Ich bin schon in Jogginghose in die Oper gegangen, aber die war aus Lammnappa. Dazu ein schwarzes Jackett und weiße, nagelneue Sneaker.

STANDARD: Das Alter stellt keine Grenze des guten Geschmacks dar, Musik für Sie jedoch schon. Wieso kennen Sie da kein Pardon?

Michalsky: Weil sie meine größte Inspirationsquelle ist und mich den gesamten Tag begleitet. Als Erstes, wenn ich morgens aufwache, stelle ich Musik an, und als Letztes, wenn ich abends ins Bett gehe, stelle ich sie aus. Im Moment höre ich die isländische Elektroband Gus Gus gern, außerdem habe ich einen Sänger aus Südafrika entdeckt, der für mich die Zukunft des Elektro-Soul ist: Nakhane. Hammer!

STANDARD: Einen Lover haben Sie einmal abgesägt, als Sie eine CD von Helene Fischer bei ihm entdeckt haben.

Michalsky: Nicht nur eine. Und nicht nur von ihr, sondern das ganze Repertoire an Schlagersängern. In dem Augenblick wusste ich: Der Typ ist nicht der richtige für mich. Ich kann mir das nicht antun. Obwohl ich schon tolerant geworden bin. Letztes Jahr hatte ich eine Affäre mit einem Typen, der sogar seine Musik spielen durfte, als wir im Auto gefahren sind.

STANDARD: Wie großzügig.

Michalsky: Ich war noch verliebt. Als er anfing, Kirmes-EDM zu spielen, David Guetta, Avicii, wo die Stimmen so verzerrt sind, konnte ich das auf der ersten Fahrt noch tolerieren. Auf der zweiten habe ich nach der ersten Stunde wieder meine Playlist gespielt. Ich will niemanden, der dieselbe Musik hört wie ich – ich will jemanden, der Geschmack hat. Sei es bei Jazz, Klassik oder Indie-Musik.

STANDARD: Wie halten Sie es mit Austropop?

Michalsky: Bilderbuch sind toll. Das sind für mich die Erben von Falco. Der eine blonde Typ in der Band sieht toll aus. J'adore. (Ulf Lippitz, RONDO, 24.5.2018)

Video von der Präsentation der aktuellen Sommerkollektion bei der Berlin Fashion Week.
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