Die Beziehung zwischen der EU und der Türkei ist unter der Regierung von Präsident Tayyip Erdoğan schwieriger geworden. Das ist auch dem neuen Fortschrittsbericht der EU zu entnehmen.

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In der Physik ist das alles einfacher. Objekte, die sich entfernen, berechnet man mit einer Formel: Strecke, Zeit, Geschwindigkeit. Mit der Türkei und Europa ist das mühsamer. "Die Türkei hat große Schritte weg von der EU gemacht", heißt es physikalisch höchst ungenau, aber diplomatisch vernichtend im neuen Länderbericht der EU-Kommission zur Bewegung ihres Beitrittskandidaten Türkei.

Oder: "Es gab schwerwiegende Rückschritte in den Schlüsselfeldern Justiz, Reform der öffentlichen Verwaltung, Grundrechte und Meinungsfreiheit und weitere Rückschritte in einer wachsenden Zahl anderer Gebiete." Aber das stand so auch schon im Türkei-Bericht der EU-Kommission vom vergangenen Jahr. Festigung und Vertiefung der Absetzbewegung von Europa wäre deshalb eine treffende Umschreibung für das Urteil der Brüsseler Kommission über die Türkei im ersten Jahr nach dem vereitelten Putsch und der Verhängung des Ausnahmezustands. Dessen Aufhebung empfiehlt die EU-Kommission in ihrem Bericht dringend, ebenso wie eine Korrektur des schwach gewordenen Kräftegleichgewichts im politischen System von Staatschef Tayyip Erdoğan.

Keine neuen Kapitelöffnungen

Das türkische Parlament schickte sich an, genau das Gegenteil davon zu tun, als EU-Kommissar Johannes Hahn am Dienstag den Fortschrittsbericht zur Türkei vorlegte. Die Billigung der siebten Verlängerung des Ausnahmezustands stand im Parlament in Ankara an. Die Abstimmung gilt als reine Formsache. Erdoğans konservativ-islamische AKP hat die absolute Mehrheit. Die mit der AKP verbündete rechtsnationalistische MHP trägt ihr Scherflein dazu bei, während die Opposition von Sozialdemokraten und prokurdischen Minderheiten schwach und durch die Inhaftierung eines Dutzend Parlamentsabgeordneter dezimiert ist.

An eine Öffnung neuer Verhandlungskapitel werde unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht gedacht, stellt der Kommissionsbericht nun erstmals fest. 16 der 35 Kapitel sind seit Beginn der Verhandlungen im Oktober 2005 geöffnet, eines – Wissenschaft und Forschung – ist seither geschlossen worden. Bei neun Kapiteln sind die Vorarbeiten abgeschlossen; darunter sind die wichtigen Abschnitte über Justiz und Grundrechte. Acht Kapitel sind seit Jahren wegen des Einspruchs Zyperns oder der EU-Kommission selbst suspendiert.

Marc Pierini, ein französischer Diplomat und früherer Leiter der EU-Delegation in Ankara, legte einen "Rückschrittsbericht" zur Türkei vor, um die ohnehin wenig günstige Bewertung durch die EU noch zu korrigieren. Türkische Regierungsmedien sagten am Dienstag bereits neue Spannungen zwischen Ankara und Brüssel voraus. (Markus Bernath, 17.4.2018)