Titelgebend für Ydessa Hendeles' Personale in Wien: die Installation "Death to Pigs".


Foto: Stephan Wyckoff

Wien – Es ist das Bild eines Tribunals, das sich unangenehm aufdrängt: In der Kunsthalle Wien findet man sich derzeit in einer Gesellschaft von Holzpuppen wieder. Man sieht sich umringt von einer Überzahl von Menschennachbildungen. Entlang der Wände und in Bankreihen "sitzen" die Puppen, im Zentrum eine exponierte Figur. Die Rauminstallation, eine Art erstarrte Massenszene, lässt Besucher eine ungewohnte Erfahrung des Fremdseins machen.

Die eigentümliche Szenerie erinnert Betrachter womöglich an die Schule oder einen Anatomiekurs. Medizinische Modelle oder ein Schaukasten mit einer Kollektion kleinerer Puppen, es liegt die Vermutung nahe, diese Zusammenkunft mache "Menschenbilder" zum Thema. Sicher ist letztlich aber nur eines: dass man sich als Wesen aus Fleisch und Blut auf eigenartige Weise immer fremder fühlt, je länger man die Holzpuppengesellschaft durchstreift.

Indizien finden sich indes auch dafür, dass es die kanadische Künstlerin Hendeles in ihrer Installation From her wooden sleep ... (2013) genau auf dieses paradoxe Gefühl anlegt. So gibt eine Vitrine Einblick in einen englischen Kinderbuch-Bestseller von 1895, der von den "Abenteuern zweier Gliederpuppen und eines Golliwogg" handelt. Selbst Fremdling in der Puppenwelt, kann der Betrachter sich mit dem Golliwogg – erstens Mensch, zweitens Schwarzer – durchaus identifizieren. Und plötzlich schwingt in dieser Studie zum Verhältnis von Individuum und Masse das leider immerwährende Thema Rassismus mit.

Mensch und Schwein

Man kann diesen Topos auch dem Titel von Hendeles' Personale ablesen: Death to Pigs. Die titelgebende Arbeit befasst sich mit einer Kulturgeschichte des Verhältnisses zwischen Mensch und Hausschwein.

Überaus geglückt ist das Konzept, das sämtlichen Arbeiten zugrunde liegt: Hendeles schafft aus Objekten der Kulturgeschichte einnehmende Atmosphären, in denen diese Artefakte neu sicht- und spürbar werden – seien es Gliederpuppen aus dem 19. Jahrhundert oder das Spielzeugmodell eines vom Schwein gezogenen Wagens.

Dass das Konzept aufgeht, liegt einerseits daran, dass die Künstlerin und Sammlerin bei ihren Kompositionen von erlesenen, realen Alltags- und Kunsthandwerksobjekten ausgeht; andererseits aber auch an der Raffinesse ihrer Kompositionen und Bearbeitungen.

Eine Methode, die sie mehrfach einsetzt, ist die Vergrößerung auf Überlebensgröße. Nicht nur Stiche aus Kinderbüchern erhalten so eine ungleich körperlichere Präsenz. Auch ein Türstopper, dessen Design einem Mädchen mit Halloween-Kürbis in der Hand nachempfunden ist, offenbart seine Abstrusität ganz anders, wenn er als monumentale Fotografie vor einem hängt.

Bevorzugt in die Kindheit und in frühere Zeiten entführt uns Hendeles' "Mikroskopierung", Befragung und Umdeutung historischer Objekte. Das ist, wenn man Kulturen auf frühe Prägungen untersuchen möchte, schlüssig. Obendrein mag die genussvolle Schau auch dafür sensibilisieren, sich über übersehene Ästhetiken des heutigen Alltags ganz neu zu wundern. (Roman Gerold, 18.4.2018)