Auftritte muss man inszenieren. Zum Beispiel indem man mit offenen Armen die Stufen zum Times Square hinuntersteigt. "Welcome to the Great White Way!", ruft Brooke ihrer Verabredung entgegen, mit einem Lächeln, das vor Selbstbewusstsein übergeht. Ein wenig linkisch oder übertrieben – genau bestimmen lässt sich das nicht – wirkt dieser Einstand dann aber doch. Brookes strahlende Art, ihr Überschwang sind vom Broadway nebenan mitbefeuert.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ähnlich eigensinnig wie ihre Leinwandheldinnen: Greta Gerwig.
Foto: Larry Busacca / Getty Images

"Ich bin Autodidaktin, das ist ein Wort, das ich mir selbst beigebracht habe", sagt Brooke dann später folgerichtig. Mistress America ist neben Frances Ha und Greenberg einer der Filme, die Greta Gerwigs Profil mitgeformt haben. Sie hat ihn gemeinsam mit Regisseur Noah Baumbach geschrieben – und ziemlich sicher stammt der zitierte Satz von ihr. Viele ihrer Figuren sind gewandt darin, sich selbst zu promoten. Sie werben für ihren Eigensinn, ihre Schrullen. Sie tanzen aus der Reihe, ohne zu wissen, wohin genau sie das führt.

In Gerwigs gefeiertem Soloregiedebüt – sie hat davor schon einen Film gemeinsam mit Joe Swanberg gedreht – erklärt Teenager Christine (Saoirse Ronan) ihren ausgefallenen Spitznamen Lady Bird mit ähnlich komisch eingefärbter Anmaßung: "I gave it to myself. It was given to me by me." Selbsterfindung als Spiel mit Wunschwirklichkeiten: Das hat viel damit zu tun, dass Lady Bird in Sacramento, der unspektakulären Hauptstadt von Kalifornien, ansonsten schnell langweilig wird.

A24

Gerwig stammt selbst aus Sacramento, deshalb hat sie mit ihren Produzenten darum gekämpft, den Film dort zu drehen. Allerdings hat die 34-Jährige mittlerweile eine Abneigung entwickelt, den Film autobiografisch zu nennen. Die Figur des aufmüpfigen Mädchens, das Anderssein ostentativ zur Schau trägt und mit seiner Mutter Marion (Laurie Metcalf) im Dauerclinch liegt, habe weniger mit ihr zu tun, als man glaubt, betont sie in Interviews. Man sollte Lady Bird eher als vorlauten Gegenentwurf zu Gerwig betrachten.

Neuer Klang von Teenagerwelten

Die Suburbia Sacramentos und die katholische Highschool, die sie selbst besuchte, mussten als Grundierung freilich authentisch sein. Bemerkenswert ist ja gerade, wie Gerwig das Generische, die bekannten Standards des Teenagerfilms, mit dem Spezifischen verquickt; wie sie durch Akzentverschiebungen im emotionalen und komischen Bereich einen neuen Klang, andere Sensibilität erzeugt. Dafür braucht es Empathie – nicht zuletzt für die weiblichen Figuren, etwa die Mutter, die ihre Liebe gut hinter Vorwürfen versteckt. Sie möchte ihre Charaktere bei der Hand nehmen, selbst wenn sie dunkle Straßen entlanggehen, sagte Gerwig in der New York Times.

Wie Lady Bird selbst ging Gerwig zum Studieren nach New York. Als Kind hatte sie zuerst Ballett ausprobiert, dann Fechten, als Letztes kam das Interesse fürs Theater. Sie schrieb Stücke, wurde jedoch in einen Dramenkurs nicht aufgenommen. Als Alternative bot sich das Schauspielen bei einer Welle an Do-it-yourself-Filmen an, die von der Kritik bald als Mumblecore definiert wurden. Großteils improvisiert, erzählten die Filme, die sie mit Joe Swanberg realisierte (LOL, Hannah Takes the Stairs etc.), von der verworrenen Lebenswirklichkeit der damaligen Zwanziger. Sprachlich wurde auf jedes Füllwort geachtet, deshalb die Betonung auf "mumble", aufs "Nuscheln" und "Verschlucken" von Wörtern.

IFCFirstTake

Greta Gerwig wurde aufgrund ihres charakteristischen Singsangs beim Sprechen, kleinen körperlichen Ticks und der aus der Form laufenden, leicht unbeholfenen Bewegungen auf großen Füßen zur Königin dieses Independentkino erkoren. In Noah Baumbachs Greenberg war sie dann erstmals an der Seite eines Stars, neben Ben Stiller, zu sehen. Dessen neurotische Auswüchse als nach Los Angeles geflüchteter New Yorker kontrastierte sie mit selbstbewusster, immer leicht wunderlicher Direktheit. Er sprach nichts aus, sie dafür mit Vorliebe alles an.

Widerständig wie die Figuen

Die drei Filme mit Baumbach, mit dem sie auch privat verbunden ist, beförderten Gerwig ein Stück in den Mainstream hinein. Doch sie beging nicht den Fehler, dass sie sich dem Hipsterboom hingab, auch wenn Frances Ha, der Schwarzweißfilm über Tagediebe in Williamsburg, deren Lebensstil so gut auszudrücken verstand. Die Widerständigkeit ihrer Figuren, die stets auch mit der Unüberschaubarkeit an Lebensentwürfen hadern, machte sie sich als Künstlerin zu eigen: Konsequent arbeite Gerwig daran, ihre eigenen Möglichkeiten auszuweiten.

Movieclips Indie

Daran sollte man sich auch bei Lady Bird erinnern, der für eine durch die #MeToo-Debatte verunsicherte Industrie gerade zur rechten Zeit kam, um sie als Regisseurin auf Händen zu tragen. Natürlich ist der Film auch als weibliches Gegenstück zu, sagen wir, Arbeiten wie Boyhood entstanden. Doch er ist zu verdichtet, zu persönlich, zu schräg und zu gut, um nur als Aushängeschild für eine erweiterte Geschlechterwahrnehmung zu dienen. (Dominik Kamalzadeh, 18.4.2018)