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Daniel Levin
Alles nur ein Zirkus

Fehltritte unter Mächtigen
Aus dem Englischen von Christel Kauder
Elster-Verlag
264 Seiten, 32 Euro

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Donald Trump, sagt Levin, habe ein untrügliches Gespür, das nicht zu unterschätzen sei.

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Yoweri Museveni: Ugandas Präsident ist seit 1986 an der Macht.

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Xi Jingping (links), Chinas starker Mann, will offenbar lebenslang regieren.

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STANDARD: Sie haben über Ihre Erfahrung als Berater ein Buch verfasst, das viel über Herrschaftsmechanismen erzählt. Was war die bizarrste Situation, in der Sie sich wiedergefunden haben?

Levin: Das Traurige an diesen Situationen ist, dass sie öfter vorkommen. Ein Vorsitzender einer aufzubauenden Antikorruptionsbehörde etwa, der einen Kick-back für sich selbst gefordert hat. Oder ein Projekt in Zentralasien, das vom Präsident des Landes initiiert wurde, um Generationen heranzuerziehen in Politik, Wirtschaft, der akademischen, medizinischen Welt. Ein Jahr haben unsere Stiftung und eine im Land daran gearbeitet. Bis einer der Hauptbeteiligten, ein enger Weggefährte des Präsidenten, in engstem Rahmen ausgeplaudert hat, dass der Präsident sich einer Notoperation unterziehen lassen musste. Damit wurde an seiner Unsterblichkeit gezweifelt, was den Präsidenten so geärgert hat, dass er das Projekt sausen ließ. Die Rhetorik des Reformers war von einer Sekunde auf die andere beendet. Es ist überraschend zu sehen, wie schnell sich jemand als Vater der Nation beschreibt und Monumente errichten lässt.

STANDARD: Können Sie noch ein Beispiel nennen?

Levin: In den 90er-Jahren hat mich die US-Entwicklungsbehörde USAID angefragt, was ich als Projekt für Uganda vorschlagen würden. Ich bin in Kenia aufgewachsen (Levin ist Sohn eines Diplomaten, Anm.), kannte auch Uganda und Präsident Yoweri Museveni gut. Ein halbes Jahr haben wir über ein Projekt gesprochen, in dem die Bevölkerung über eine neue Verfassung informiert und die Jugend eingebunden werden sollte. Bei einem großen Treffen in Washington, an dem auch der Vizeminister dabei war, habe ich dann mein Projekt vorgetragen. Der Minister meinte dann, das sei ja alles nett, er schlage aber etwas anderes vor: Das Projekt, das sein Land genehmigen wolle, sei eines zur Einfuhr von hochqualitativem Rindersperma. Ich dachte, da sei irgendwo eine Kamera versteckt. Dann ging mir irgendwann ein Licht auf: Der Präsident war der größte Viehzüchter im Land, durch Rinderwahn und anderes war das Absterben der Tiere ein Problem. Also wurden 25 Millionen Dollar für dieses Projekt freigemacht.

Das Absurde, Traurige war nicht nur diese Episode, sondern dass ich weiterhin alle vier Jahr wieder nach Washington zu einem Treffen gebeten wurde, um über Uganda zu sprechen. Und jedes Mal wieder stand die Frage im Raum, was man machen solle. Museveni wurde anfangs als Befreier gefeiert, als Demokrat. Und er hat anfangs auch viel Gutes getan, etwa im Kampf gegen HIV. Aber langsam war klar, dass er immer despotischer agiert. Ich habe also jedes Mal dasselbe vorgetragen, und jedes Mal wurde etwas anderes beschlossen, und zwar immer in einem Bereich, in dem der Präsident selbst Interessen hat. Dasselbe Gespräch wiederholt sich alle vier Jahre, seit nunmehr 20 Jahren. Da fragt mich sich schon, wie man da überhaupt noch vernünftige Entwicklungshilfe betreiben soll. Das sind Erfahrungen, die leider gar nicht mehr so grotesk wirken, weil sie sich zu oft wiederholen.

STANDARD: Was haben Sie selbst generell aus den letzten 20 Jahren gelernt?

Levin: Ich habe gemerkt, dass die Kluft zwischen den schönen Absichten, die geäußert werden, zwischen dem, was sich die Leute vormachen und dem eigentlichen Verhalten, riesig ist. "You are as loyal as your options", lautet ein Spruch in Washington, also: "Man ist loyal wie die Optionen, die sich präsentieren." Alle haben so lange wunderbare Absichten, bis sich eine neue Gelegenheit ergibt. Dann gibt’s halt neue Absichten, und an die alten Zielsetzungen erinnert sich keiner. Das ist nicht auf die Politik beschränkt, auch wenn es sich dort besonders herauskristallisiert hat und es dort stärker wahrgenommen wird. Und die Kritiker in dieser Blase werden wirklich selten.

STANDARD: Das erinnert an eine Szene in Ihrem Buch, in der der Chef eines großen Staatsbetriebs einen teuren Wein ausschenkt, der allerdings gekippt ist – und niemand wagt ihm das zu sagen.

Levin: Je mehr Macht jemand erreicht, umso weniger duldet er oder sie – in der Regel ist es ein Er, ab und zu mal eine Sie – kritische Stimmen. Auch Personen, die intelligenter sind, werden dann nicht mehr geduldet. Das ist dann verheerend.

STANDARD: Sie schreiben, Sie seien darauf vorbereitet gewesen, "leibhaftigen Beispielen von Überheblichkeit, Selbstverherrlichung, Eitelkeit, Narzissmus und Inkompetenz zu begegnen". Mehr als all dies haben Sie die Gewöhnlichkeit überrascht. Wie meinen Sie das?

Levin: Wenn man von Despoten spricht, geht man oft von teuflischen Genies aus. Die sieht man allerdings ganz, ganz selten. Je höher man steigt, umso mehr merkt man, dass Leute sehr mittelmäßig sind. Dennoch haben sie oft einen gewissen Instinkt. Donald Trump ist ein gutes Beispiel: Er ist gleichzeitig irgendwie ein Genie und irgendwie ein Trottel. Er hat 80 Millionen Menschen dazu bekommen, ihn zu wählen. Es wäre verheerend, das zu unterschätzen.

STANDARD: Russlands Präsident gilt vielen als teuflisches Genie.

Levin: Wladimir Putin gilt als teuflisches Genie, weil er die Amerikaner ausgetrickst hat in Syrien oder praktisch ohne finanzielle Mittel Wahlen manipuliert. In Deutschland, Frankreich, auch in Österreich wird debattiert, wer ihm alles hörig ist. Das mag ja alles sein, aber: Wann haben Sie das letzte Mal etwas gekauft, auf dem "Made in Russia" stand? Was bleibt übrig von der Wirtschaft, wenn man Erdgas und Öl streicht? Man kann in gewisser Hinsicht ein Genie sein, vor allem was Machtpolitik angeht, in anderer Hinsicht im besten Fall aber mittelmäßig.

STANDARD: Warum lässt der Politikbereich eher ein hohes Maß an Inkompetenz zu als andere Bereiche?

Levin: Die verlangten Fähigkeiten sind weniger fachlicher Natur. Wichtiger ist, aufsteigen zu können. Viele erfolgreiche Menschen sind sehr gerissen und haben ein unglaublich feines Gespür.

STANDARD: Sie schildern die politische Arena als Zirkus, Washington als "Domäne der Clowns". Hat Sie der Sieg Donald Trumps weniger überrascht als andere?

Levin: Ich war sehr überrascht. Zwei gute Freunde, die bei der CIA arbeiten, haben mir, als Trump seine Kandidatur angekündigt hat, gesagt: Er wird es. Ich habe sie ausgelacht. Nach der Wahl habe ich nachgefragt, was sie so sicher gemacht hat, obwohl die Umfragen dagegengesprochen haben. In den meisten Umfragen hat keiner zugegeben, Trump zu wählen. Sie haben es anders gemacht: Sie haben gefragt, ob die Leute wissen, für wen ihr Nachbar, ihr Onkel, ihr Arbeitskollege stimmt. Da haben die meisten Trump genannt.

STANDARD: Die Verunsicherung, die die USA unter Donald Trump auslösen, scheinen vor allem Chinas Stellung zu stärken. Präsident Xi Jinping hat sich eben seine lebenslange Amtszeit gesichert. Läuft man Gefahr, China zu idealisieren?

Levin: China ist viel komplexer als andere Autokratien. Das Land muss man aus dem letzten Jahrhundert heraus verstehen. Mit Xi Jinping kommt ein neuer Faktor hinzu. Neben der Maxime "Wirtschaft über freie Gesellschaft" geht es bei ihm auch noch um Nationalismus. Das sieht man auch im Auftreten Chinas im Ausland, die erste Militärbasis im Ausland etwa, in Djibuti, oder der Inselkonflikt im Südchinesischen Meer. Dieser Nationalismus ist relativ neu. Das, kombiniert mit der Enthebung des Amtszeitslimits, kann sich in eine gefährliche Richtung entwickeln. Es gehörte fast schon zu den zehn Geboten, dass kein Politiker jemals größer sein kann als die Partei. Das letze Mal, dass dieser Personenkult existierte, war unter Mao. Ob das alles noch im Dienste der Reformen, der Ernährung der Bevölkerung, des Wirtschaftswachstums ist oder ob es hier mehr um Nationalstolz geht, das muss man eben abwarten. Dann wäre es gefährlich.

Meine Erfahrungen mit Xi aus seiner Frühzeit, als er noch Vizepräsident war, war eine andere. Damals war er sehr viel umsichtiger, sehr langfristig denkend. Dieses nationalistische Flair ist jetzt viel stärker als noch in seiner ersten Amtszeit, geschweige denn als bei seinen Vorgängern. Schauen muss man auch noch, ob all diese Korruptionsprozesse, die in China stattfinden, sich irgendwann auch gegen die Leute aus den eigenen Reihen richten oder nur gegen Leute, die einem anderen gegenüber loyal sind. Der Umgang mit Amtslimitierungen ist jedenfalls immer ein wichtiger Gradmesser auf dem Weg ins Despotentum.

STANDARD: Sie helfen auch in Syrien, Jemen, Libyen, Staats- und Wirtschaftssysteme aufzubauen. Wie sieht die Arbeit in Ländern aus, die teils in Schutt und Asche liegen?

Levin: Im Jemen-Fall arbeiten wir mit Machthabern aus der Golfregion zusammen. 200 Personen von verschiedenen Stämmen, auch Huthis, werden aus dem Jemen geholt, in einer Stadt der Region beherbergt und für 18 Monate in verschiedenen Aspekten der Staatsführung ausgebildet. Wenn das Töten einmal aufhört, dann soll ein Grundstock da sein, um etwa ein Parlament aufzubauen. In Libyen sprechen alle davon, einen funktionierenden Staat aufbauen zu wollen. Mit den jemenitischen Stammesvertretern sprechen wir darüber, warum ein Staat überhaupt gut ist. Wir gehen oft davon aus, unser westliches Demokratiemodell verkaufen zu müssen. Dabei müssen wir dieses in anderen Regionen meist erst einmal rechtfertigen.

STANDARD: Diesen Reflex der westlichen Entwicklungspolitik kritisieren Sie generell.

Levin: Es kommt natürlich darauf an. Es gibt auch Träger der Entwicklungspolitik, gerade im kleinen Rahmen, die kluge Projekte machen. Aber die größeren multilateralen Institutionen wie die Uno, der Internationale Währungsfonds oder die Weltbank sind Riesenbürokratien geworden. Die sind flugzeugträgerartig, also gar nicht mehr fähig, den Kurs zu korrigieren. Da steckt so viel institutionelle Inkompetenz drinnen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Levin: In Afrika ging es in einer ländlichen Region darum, einer Bauernbevölkerung eine ganz einfache Agrarreform zu erklären. Stattdessen wurde da eine Börse gebaut. Das macht überhaupt keinen Sinn. Das Traurige daran ist, dass man nicht nur nicht viel erzielt, sondern dabei auch riesige Ressourcen verschleudert.

STANDARD: Sie setzen bei Ihrer Arbeit gezielt auf Frauen. Warum?

Levin: Unsere Erfahrung war, dass – vor allem in Ländern mit religiösem Einschlag – in den Teams, mit denen wir gearbeitet haben, die Frauen fast konsequent fähiger und motivierter waren. Das ist keine Aussage über Geschlechter, sondern über die Personen, die hingehen zu den Projekten. Die Männer kamen oft aus privilegierten Familien, waren also weniger aufgrund einer Fähigkeit, sondern wegen einer Familienverwandtschaft oder Position da. Wir haben meist versucht, eine 50:50-Geschlechterquote zu haben. Nach den ersten vier Stunden geht es bei großen Treffen in die Mittagspause, die Männer kommen in der Regel nicht zurück, die Frauen schon. Irgendwann merkt man, dass für viele Frauen – gerade aus Gesellschaften mit starker religiöser Dominanz, etwa in der Golfregion oder in Nigeria – diese Arbeit eine soziale Aufstiegsmöglichkeit darstellt, die ihnen sonst nicht offenstehen würde, während die Männer ganz viele Möglichkeiten haben. In vielen Entwicklungsländern ist das der Fall. In China hingegen ganz und gar nicht. Da werden die Mitarbeiter nur nach Talent und nicht nach Abstammung gesucht. (Anna Giulia Fink, 18.4.2018)