Die Scheune in Neuaigen wurde behutsam geöffnet, Türen und Fenster wurden mit Elementen aus poliertem Aluminium verziert.

Foto: Hannes Buchinger

Die Scheune war mit vielen Erinnerungen verknüpft, ein Abriss kam daher nicht infrage.

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Dachflächenfenster sorgen für Tageslicht in der 80 Jahre alten Scheune in Neuaigen bei Tulln.

Foto: Hannes Buchinger

Für das "Haus Moser" in Neustift im Stubaital wurde ein 150 Jahre alter Stadel ab- und 800 Meter weiter wieder aufgebaut.

Foto: Madritsch Pfurtscheller Architekten

Außerdem wurden ungewöhnliche Lösungen gefunden. Die Treppe fungiert beispielsweise als Kachelofen.

Foto: Madritsch Pfurtscheller Architekten

80 Sommer lang war der Holzverschlag im Tullner Ortsteil Neuaigen bloß ein Stadel. Maria Rienößls Großvater hatte ihn 1937 errichtet, jahrzehntelang wurde er landwirtschaftlich genutzt. Und nun hat ihn die Enkelin des Errichters sozusagen "upgegradet": Vor wenigen Wochen bezog Rienößl ihr neues Heim in der alten Scheune, in der sie als Kind gespielt und später auch bei der Arbeit mitgeholfen hatte.

Rienößl arbeitet heute in Wien und lebte dort auch viele Jahre lang. Nun kehrt sie wieder an den Ort ihrer Kindheit und Jugend zurück. Mutter und Schwester samt Familie bewohnen in Neuaigen das Haupthaus, sie selbst entschloss sich dazu, den alten Stadel umzubauen.

Kein Abriss

Abriss und Neubau kamen nicht infrage – zu sehr war die alte Scheune mit Erinnerungen an den zu früh verstorbenen Vater verbunden. Die erste Begegnung mit dem Architekten Wolfgang Reicht wurde deshalb mit ein wenig Bauchweh absolviert, erzählt die Bauherrin. "Als ich ihm den Stadel zeigte, rechnete ich damit, dass er sofort sagt: 'Abreißen!'" Zu ihrer Überraschung hatte der Architekt aber anderes im Sinn und auch "gleich ein paar Ideen".

Die entscheidende war: Die Scheune sollte fast vollständig erhalten werden, im Inneren aber ein modernes Einfamilienhaus entstehen. Eine Umwidmung war nicht nötig, da sich die Scheune bereits auf Bauland befand.

Als die Bauarbeiten begannen, "war es für Passanten schon sehr irritierend, dass ein Minibagger in der alten Scheune steht und ein Fundament für ein Haus im Haus errichtet wird", erzählt die Bauherrin. Für knapp 300.000 Euro wurde unter dem Scheunendach eine 80 Quadratmeter große Wohneinheit mit kleinem überdachtem Atrium errichtet, die mit Luftwärmepumpe, kontrollierter Wohnraumbelüftung und Bauteilaktivierung energietechnisch auf modernstem Stand ist – und auch gestalterisch überzeugt. "Der Charakter der alten Scheune blieb erhalten, ergänzt um präzise Spiegelbilder der Umwelt an der Fassade", erklärt Reicht seine diesbezügliche Herangehensweise. Dafür sorgen die Elemente aus poliertem Aluminium. "Dadurch sieht das Haus von jeder Seite anders aus, auch abhängig davon, wo die Sonne gerade steht", ist Rienößl begeistert.

Strukturwandel

Rienößls alte neue Scheune ist aber nur das jüngste Beispiel eines Trends, der seit einigen Jahren zu beobachten ist. Im Zuge des laufenden Strukturwandels in der Agrarwirtschaft gibt es immer mehr ungenutzte und deshalb leerstehende landwirtschaftliche Gebäude. Im Herbst 2017 widmete sich deshalb auch die Leerstandskonferenz in Innervillgraten (Osttirol) diesem Thema. Unter den dort präsentierten erfolgreichen Umbauprojekten war auch jenes des Innsbrucker Büros Madritsch Pfurtscheller Architekten.

Deren Auftraggeber, eine mittlerweile sechsköpfige Familie, wollte von der zu klein gewordenen Innsbrucker Wohnung wieder raus aufs Land ziehen. Zunächst wurde von Architekt Robert Pfurtscheller für ein Grundstück in Neustift im Stubaital ein neuer Holzbau auf einer unbebauten Liegenschaft geplant. Zu seinem nicht geringen Erstaunen wurde sein Plan eines kleinen Hauses mit Pultdach von der Gemeinde – übrigens auch die Heimatgemeinde des Architekten – aber abgelehnt; die Erscheinung sei "nicht ortsüblich".

Eine Entscheidung, die Pfurtscheller nicht resignieren ließ, sondern vielmehr motivierte. Ein alter ungenutzter Stadel am Ortsrand, der abgerissen werden sollte, kam ihm in den Sinn; könnte es etwas "Ortsüblicheres" als eine Scheune geben, die sich seit 150 Jahren an diesem Ort befand?

Ab- und wieder aufbauen

Schwer vorstellbar. Nach der Lösung des Gestaltungsproblems blieb nur noch die Widmungsfrage zu lösen. Die Scheune stand hier abseits des Siedlungsgebiets im Grünland, man musste sie also abbauen und auf der Liegenschaft der Auftraggeber – rund 800 Meter weiter – wieder aufbauen, was unter fachmännischer Aufsicht und Mithilfe der Tiroler Holzbaufirma Schafferer letztlich sehr gut erledigt werden konnte.

Unter anderem wurde die gesamte Schalung des Stadels Stück für Stück abmontiert, in der Werkstatt dampfgestrahlt und wieder montiert. Und auch die 14 Meter langen "Pfetten", also die Holzbalken, die die Dachkonstruktion tragen, mussten wieder aufgebracht werden. Im 21. Jahrhundert erledigt das ein Kran; beim erstmaligen Aufbau der Scheune war ein solcher natürlich noch nicht verfügbar. "Da wird einem erst bewusst, was die Handwerker früher geleistet haben", meint der Architekt.

Am neuen Standort wurde eine Wohneinheit mit 105 Quadratmetern sowie 25 Quadratmeter großer innenliegender Terrasse ebenso behutsam wie erfinderisch in die alte "Hülle" eingebaut. Die Baukosten betrugen 230.000 Euro.

Schwieriger Standort

Der neue Standort war schwierig, "weil hier im Winter zwei Monate lang keine Sonne scheint", so der Architekt. Befragt nach seinen Erfahrungen mit dem Projekt, kommt er aber ins Schwärmen. Im Zusammenspiel aus Altbestand und heutigen Wohnfunktionen würden einerseits "sensationelle Räume" entstehen, "andererseits kommt man auf Lösungen, auf die man sonst nicht kommen würde". Etwa eine Treppe, die gleichzeitig als Kachelofen fungiert.

Grundsätzlich sei so eine Revitalisierung nicht wesentlich schwieriger als ein Neubau, resümiert Pfurtscheller. Da so alte Stadel aber meist im Grünland stehen, wo kaum auf Wohnen umgewidmet wird, werde so ein 150-jähriger Altbestand "fatalerweise" oft einfach abgerissen.

So wie das Haus in Neuaigen bei Tulln zählt nun aber das "Haus Moser" in Neustift im Stubaital zu den rühmlichen Ausnahmen. Öffnet man die alten Tore der Scheune, fällt der Blick auf moderne, dreifach verglaste Fenster, der Stadel wirkt dann "überraschend gläsern", findet der Architekt. Der sich übrigens auch dagegen verwahrt, dass die alte Hülle bloß eine "Tarnung" für den modernen Neubau sei.

Tragende Funktion

Die Jury eines Architekturwettbewerbs, die dem Projekt einen Anerkennungspreis verlieh, sprach von einer solchen; die kompakte Wohnlösung würde den alten Stadel letztlich gar nicht mehr benötigen. "Das ist ein Missverständnis", ärgert sich Pfurtscheller; die Altsubstanz habe weiterhin eine tragende Funktion. Neu sei natürlich die thermische Hülle, die der Tiroler Bauordnung folgen musste.

Gibt es schon ein Nachfolgeprojekt? Bisher nicht, sagt der Architekt. Es hätten sich bei ihm jedoch "schon einige Bauern gemeldet, die eine Scheune abzugeben hätten". Fehlt also nur noch, dass sich ein paar couragierte Bauherren finden. (Martin Putschögl, 2.5.2018)