Thomas Dufaux ist einer von insgesamt 15 Hauswächtern im leerstehenden Bürogebäude in Nanterre. Sein ehemaliges Drei-Mann-Büro bezeichnet der 36-jährige Programmierer als Luxusloft.

Foto: Wojciech Czaja

Das temporäre, nomadische Wohnen inspiriert zu kreativen Readymade-Konstruktionen.

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Hier ein eigenwilliges Regalsystem.

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Schuhwerk ist auch notwendig.

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Komm rein in mein Luxusloft! Kein Schmäh, das ist das größte Wohn- und Schlafzimmer, das ich je hatte! Auf so vielen Quadratmetern, fürchte ich, werde ich nie wieder wohnen." Thomas Dufaux setzt sich auf sein Bett, lagert die Füße hoch und schnappt sich die Fernbedienung. "Das Bett ist alles in einem: Bett, Couch und Arbeitszimmer. Mehr brauche ich eigentlich nicht." Neben ihm steht ein Tisch mit Wasserflaschen, Nescafé, Duschgel und Aftershave, auf der anderen Seite eine Wäschespinne mit nassen Kleidungsstücken, im Eck eine metallene Hängegarderobe mit ein paar Anzügen, Hemden und Krawatten. Ein fast normales Zimmer also – wären da nicht der Feuerlöscher, die dünnen Plastikwände und die karierte Akustikdecke mit Leuchtstoffröhren und herabhängenden Lüftungsgeräten.

14 Mitbewohner

Thomas, ein 36-jähriger Programmierer und IT-Spezialist, wohnt in einem leerstehenden Bürogebäude in Nanterre, am Rande von Paris. Er ist ein sogenannter Hauswächter. Gemeinsam mit 14 Mitbewohnern bewohnt und bewacht er ein leerstehendes Bürohaus im Gewerbezentrum Parc des Fontaines, einen irgendwie unansehnlichen Bürokasten aus den 80er-Jahren im Hochhausschatten von La Défense. 30 Jahre lang wurde das Gebäude von Veolia genutzt, einem börsennotierten Unternehmen, das Dienstleistungen im Bereich Wasser, Energie und Abfallwirtschaft anbietet. Doch nachdem Veolia beschlossen hatte, in ein modernes Büro zu übersiedeln, stand das Haus eines Tages leer.

"Durch Zufall bin ich in der Zeitung auf eine Anzeige gestoßen, die mit billigen, befristeten Wohnmöglichkeiten in einem leerstehenden Bürogebäude in der Nähe meines Arbeitsplatzes geworben hat", erinnert sich Thomas, frisch geschieden, auf der dringenden Suche nach einer leistbaren Wohnung. "Das war einfach perfekt. Außerdem klang das Angebot so verrückt, dass ich kaum widerstehen konnte und einfach neugierig war, was sich dahinter verbirgt." Thomas setzt sich wieder auf. "Wasser? Mehr kann ich dir nicht anbieten. Wenn du Kaffee willst, können wir ja hinuntergehen in die Kantine. Das ist jetzt unsere Küche."

Schulen und Schlösser

Die Idee, leerstehende Gebäude temporär bewohnen zu lassen und sie auf diese Weise vor Vandalismus und Verfall zu beschützen, entstand vor 25 Jahren in den Niederlanden. Das damals gegründete Unternehmen Camelot, eine weltweite Premiere, war eine Reaktion auf die vielen illegalen Hausbesetzungen und hatte sich zum Ziel gesetzt, die Benützung leerstehender Immobilien zu enttabuisieren und erstmals auf ein rechtliches, kontrollierbares Fundament zu stellen.

Heute ist Camelot nicht nur in Holland, sondern auch in Deutschland, Frankreich, Belgien, Großbritannien, Irland und Finnland tätig und verwaltet in Summe rund 4000 leerstehende Häuser – darunter Einfamilienhäuser, Bürogebäude, Schulen, Tanzstudios, Turnhallen, Kindergärten, Krankenhäuser, Bahnhöfe, Bauernhöfe, Burgen und Schlösser.

Security kostet

"Das Konzept ist ganz einfach", sagt Olivier Berbudeau, Geschäftsführer und Entwicklungsleiter von Camelot Frankreich. "Manchmal passiert es, dass ein Gebäude eine Zeitlang leersteht, weil es entweder zum Verkauf oder zur Vermietung auf dem Markt ist, weil gerade Sanierungspläne gewälzt werden, weil man die Finanzierung oder die Baubewilligung abwartet. Meistens wird die Immobilie in dieser Zeit von einem Securityunternehmen überwacht. Das kostet. Wir bieten das gleiche Paket für weniger Geld an, indem wir das Haus in dieser Zeit mit Menschen füllen, die es bewohnen und auf diese Weise rund um die Uhr bewachen."

Extreme Mieten

Olivier fährt mit seinem Finger über einen Fluchtwegplan, der im Korridor hängt. "Hier wohnt jemand, und hier wohnt jemand, und da auch. Und wann auch immer es zu einem Schaden kommen sollte, zu einem Einbruch, zu einem Wasserrohrbruch, zu einer böswilligen Zerstörung der Immobilie durch Vandalen, können wir sicher sein, dass uns die Bewohner den Schaden schneller melden werden als jeder Securitywachmann, der einmal pro Nacht für ein paar Minuten vorbeikommt."

Thomas setzt unten in der großen Kantine Wasser auf. Überall stehen Kühlschränke, Waschmaschinen und Mikrowellenherde. An der Wand hängt ein Putzplan, der die Reinigung der Toiletten und der Badezimmer regelt, denn die eine oder andere Toilette wurde provisorisch mit Einbauduschkabinen ausgestattet. "Die Mieten in Paris sind extrem gestiegen. Unter 1000 Euro kriegt man kaum noch eine Garçonnière", sagt Thomas. "Hier zahle ich 280 Euro mit Strom, Wasser und WLAN-Anschluss – und habe mehr Platz, als ich nutzen kann. Im Grunde genommen wohnen wir hier auf einigen Tausend Quadratmetern. Das muss uns mal jemand nachmachen!"

Agreement auf Zeit

Rechtlich geregelt wird die temporäre Wohnnutzung durch einen sogenannten Nutzungs- oder temporären Aufenthaltsvertrag. Das genaue juristische Wording unterscheidet sich von Land zu Land. "Wir arbeiten abseits aller Mietrechtsgesetze", erklärt Karsten Linde, Geschäftsführer von Camelot Deutschland. "Unser Konzept funktioniert nur deswegen, weil Eigentümer und Bewohner wissen, dass es sich um ein Agreement auf Zeit handelt."

Üblicherweise sind die Verträge auf sechs, zwölf oder 18 Monaten befristet. Sollte ein Objekt auf dem Markt schneller benötigt werden als gedacht, gibt es eine einmonatige Kündigungsfrist. "Aber wir setzen niemanden auf die Straße", so Linde, der in Deutschland rund 300 Objekte verwaltet. "Wir haben so viele Leerstände, dass wir den Bewohnern jederzeit eine Alternative anbieten können."

"Ich finde dieses Konzept ziemlich genial", sagt Thomas, Chambre 012, so steht es auf seiner Zimmertüre. Daneben ist noch das alte Büroschild angebracht: C 114. Denis Harel, Loïc Marquer, Karim Mobdi. "Das sind wohl die drei Herren, die früher mal in meinem Schlafzimmer gearbeitet haben. Schon ein lustiges Gefühl. Weißt du, Leerstand gibt es überall. Und Wohnungsnot gibt es auch überall. Hier werden Flächenressourcen intelligent und gesellschaftlich sinnvoll genutzt. Und jeder hat etwas davon. Auch der Eigentümer." Thomas macht einen Schluck und lacht. "Weißt du, was das einzig Verrückte an diesem Wohnen ist? Du sitzt Tag und Nacht im Büro. Ich fühle mich schon wie ein Workaholic." (Wojciech Czaja, 5.5.2018)