Der Industrielle und Kunstsammler Herbert Liaunig hat mehrere Wohnsitze in Österreich, darunter eine Wohnung auf der Dominikanerbastei in Wien. Uns hat er erzählt, dass er für sein Leben gerne Schritte zählt und bedauert, immer wieder im falschen Schneckenhaus zu stecken.

Architektur hat mich immer schon interessiert. Seit ich beruflich tätig bin, habe ich ein Faible für die Gestaltung von Räumen. Meine ersten großen Projekte habe ich mit Günther Domenig gemacht. Das war 1982. Später dann kamen noch Josef Lackner, Thom Mayne und Coop Himmelb(l)au dazu. Und in Upstate New York habe ich ein Sommerhaus, das sogenannte Y-House, das ich mit dem amerikanischen Architekten Steven Holl realisiert habe.

Der Kampf zwischen Kunst und Raum: In der Wohnung wird man von etlichen Bildern und Plastiken begrüßt.
Foto: Nathan Murrell

Ich habe all meine Projekte gut und gerne gemacht und habe mich in der Rolle des Bauherrn fast immer sehr wohl gefühlt. Das ist wohl auch der Grund, warum ich und meine Unternehmen etliche Male mit dem Österreichischen Bauherrenpreis ausgezeichnet wurden. Ich finde, einen guten Bauherrn macht aus, dass er sich sehr sorgfältig überlegt, was er will, und dass er viel Zeit und Gefühl in die Auswahl des Architekten investiert. Ab dann ist die wichtigste Spielregel, den Architekten walten zu lassen und sich in den Planungs- und Bauprozess ja nicht mehr einzumischen. Das wird leider viel zu selten bedacht, und dann kommt es zu all den Kostenexplosionen und Bauverzögerungen!

Hier in meiner Wohnung habe ich mit dem Innsbrucker Architekten Hanno Schlögl zusammengearbeitet. Er hatte keine leichte Aufgabe, denn immerhin mussten hier zwei historische Wohnhäuser miteinander verbunden und die Feuermauer zum Teil entfernt werden. Die wichtigste Funktion in meinen Wohnungen ist immer die Kunst – also die Bilder, die Bücher und die Skulpturen. Bilder sind ein Kampf gegen die Wand, Bücher ein Kampf gegen den Stauraum, Skulpturen ein Kampf gegen den Raum. Die Kunst setzt sich bei mir immer durch, und diese Wohnung hält das wunderbar aus. Während ich bei meinen Möbeln sehr träge und unveränderlich bin und nur ungern ein Möbelstück an einen anderen Ort verschiebe, werden die Bilder in regelmäßigen Abständen getauscht und umgehängt. Die Bilder sprechen zu mir, und so ist der Dialog ein recht abwechslungsreicher.

Im Wohnzimmer ist die Kunst auf Wänden, auf Glastafeln sowie mitten im Raum präsent.
Foto: Nathan Murrell

Als Kunstsammler mit mehreren Wohnsitzen leidet man an zwei Phänomenen. Erstens: Egal, wie groß die Wohnung ist, man hat immer zu wenig Platz. Auch hier in meiner Wohnung, die ja immerhin 300 Quadratmeter misst. Und zweitens ist das, was man sucht, nie dort, wo man es braucht. Die Bücher, die ich hier in Wien suche, stehen aus unerfindlichen Gründen immer in Niederösterreich, Kärnten oder New York. Umgekehrt ist es genauso. Dann komme ich mir immer vor wie eine Schnecke, die schon wieder das falsche Schneckenhaus auf den Rücken geschnallt hat. Zum Glück verhält es sich mit all den anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs ganz anders. Ich bin ein materiell genügsamer Mensch, der mit ein paar Dingen auskommt. Zumindest behaupte ich das von mir.

Rechts: Herbert Liaunig in seinem Wohnzimmer auf der Dominikanerbastei in der Wiener Innenstadt. Im Hintergrund ist eine Lichtinstallation von Brigitte Kowanz zu sehen.
Foto: Nathan Murrell

Die Lage dieser Wohnung ist sehr speziell. Ich wohne auf der Dominikanerbastei. Es ist ruhig, und ich bin in sieben Minuten zu Fuß am Stephansplatz. Auch der Ausblick ist sehr schön. Auf der einen Seite schaue ich hinaus auf Otto Wagners Postsparkasse, auf der anderen Seite sehe ich die Alte Post, die in den kommenden Jahren zu einem Luxusprojekt mit Wohnungen und Hotel umgebaut werden wird. Ich hoffe, dass sich die Atmosphäre hier im Grätzel nicht allzu viel verändern wird.

Das Gute ist: Im ersten Bezirk braucht man eigentlich kein Auto. Ich erledige den Großteil meiner Wege zu Fuß. Überhaupt bin ich ein leidenschaftlicher Wanderer. Zweimal im Jahr mache ich mich auf den Weg und bin dann ein paar Wochen unterwegs – in der Eifel, am Berninapass oder irgendwo in Österreich. Im Schnitt lege ich so 20.000 bis 30.000 Schritte pro Tag zurück. Ich zähle ja beim Gehen! Im Schnitt gehe ich an die 100 Schritte pro Minute, und ein Schritt hat bei mir ziemlich genau 72 Zentimeter. Das entspannt mich. Ist wie Meditieren. In der Zwischenzeit hat sich das Zählen verselbstständigt. Ich zähle alles. Hier im Haus sind es 136 Stufen bis hoch in meine Wohnung.

Die Buchsammlung ist Liaunigs zweite große Leidenschaft.
Foto: Nathan Murrell

Vor ein paar Jahren habe ich mich aus dem Berufsleben zurückgezogen. Die Unternehmenssanierungen sind aus und vorbei – auch wenn ich gestehen muss, dass es mich manchmal juckt, wieder zuzupacken. Ich widerstehe! Nächstes Jahr werde ich mich dann auch aus der Museumsführung in Neuhaus zurückziehen. Alles, was ich bis zu meinem Lebensende noch tun möchte: Kunst sammeln, Bücher lesen und wandern. Ich möchte mobil und gesund bleiben bis zu meinem letzten Schritt. (Wojciech Czaja 8.5.2018)