STANDARD: Der Designdoyen und Vitra-Boss Rolf Fehlbaum sagt, Architekten kümmern sich zu wenig um das Innere von Räumen. Stimmt das?

Prasser: Ja, das ist richtig. Der Grund dafür liegt darin, dass die meisten größeren Aufträge über Bauträger realisiert werden und die Innenraumgestaltung meist getrennt von der Architektur vergeben wird. Außerdem gibt es oft so viel Verschleiß, dass man gar nicht bis zur Innenarchitektur vordringt.

STANDARD: Was meinen Sie mit Verschleiß?

Prasser: Das heißt, dass sich in dieser ungeheuer schnelllebigen Zeit Projekte oft umentwickeln und neu definiert werden. Dadurch werden die Räume aus der Sicht der Architektur sehr flexibel und funktional gehalten. Es kommt zu einer stiefmütterlichen Behandlung des Innenraums.

STANDARD: Sie sind Architekt, unterrichten aber auch Innenarchitektur in St. Pölten, an der einzigen Universität, an der man derzeit in Österreich Innenarchitektur studieren kann, wie Sie sagen. Sie sind also ein Sonderfall.

Prasser: Ja, das kann man so sagen. Früher gab es diese Möglichkeit auch auf der Wiener Angewandten. Das ist allerdings schon eine Weile her.

Christian Prasser, hier in seinem Büro im 2. Bezirk, interessiert bei Architektur die Atmosphäre eines Raumes mehr als sein Volumen.
Foto: Christian Benesch

STANDARD: Wie gehen Sie an die Sache heran?

Prasser: Man kann die Architektur vom Großen ins Kleine, aber auch vom Kleinen ins Große entwickeln. Das bedeutet: Der Architekt nähert sich der Angelegenheit eher über die Kubatur, der Innenarchitekt entwickelt das Raumgefühl, das den Menschen reflektiert. Das ist der Bereich, der mich interessiert. Mein Ding ist die Atmosphäre, die durch Volumen entsteht. Die ist mir wichtiger als das Volumen selbst.

STANDARD: Ist es nicht befriedigender, vor einem Haus zu stehen, das auch nach außen sichtbar ist?

Prasser: Nein, und gigantomanische Bauten interessieren mich kaum. Ich erkenne Größe nicht als Leistung an. Reine Struktur empfinde ich ebenso eher als langweilig.

STANDARD: Kämpft der Architekt manchmal gegen den Innenarchitekten in Ihnen?

Prasser: Ab und zu schon. Wir haben aber in unserem Büro das Glück, an Aufträgen zu arbeiten, bei denen man sich beide Dinge sehr genau anschauen kann. Wir decken beide Aspekte ab. Dadurch bekomme ich eine gute Außensicht. Und noch etwas Interessantes: Bei unseren Interieur-Projekten für Hotels kommt dem Innenraum mittlerweile mehr Bedeutung zu als dem Baukörper.

STANDARD: Und im privaten Bereich?

Prasser: Dort verhält es sich ähnlich. Das mag an dem Trend liegen, dass sich die Menschen mehr in ihre vier Wänden zurückziehen. Das Wort Cocooning ist ja schon seit längerem bekannt.

Die "Lech Lodge" am Arlberg.
Foto: Sonni Lehner (www.sonni.biz)

STANDARD: Früher haben Architekten viel öfter Möbel entworfen, heute ist das eher selten der Fall. Wieso?

Prasser: Ich denke, dass der Möbelmarkt mittlerweile die volle Konzentration verlangt. Wenn man heute Designer ist, hat man ein Riesenumfeld mitzubetreuen. Ich spreche von Marketing, Messen etc. Das geht sich nebenher kaum mehr aus.

STANDARD: Wohnen hat immer auch mit Geschmacksfragen zu tun. Sind diese beim Unterrichten kein Stolperstein?

Prasser: Im Unterricht geht es mir darum, dass die Studierenden ihren Charakter zur Geltung bringen können. Ziel ist es nicht, ihnen etwas aufzustempeln, sondern herauszufinden, welche Vorstellungen und Kapazitäten in so einem jungen Menschen stecken. Das Schöne ist, dass Geschmacksfragen auf den Tisch kommen, die ich zuvor noch gar nicht gekannt habe. Das auszulösen reizt mich.

STANDARD: Und wie ist das mit Geschmacksfragen bei Kunden?

Prasser: Ebenso. Mich faszinieren die Auftraggeber, deren ästhetisches Verständnis und räumliches Empfinden mir bis dato fremd waren.

STANDARD: Aber gibt's denn nicht den Punkt, an dem Sie sagen: Stopp, aus, das geht nicht, das ist hässlich?

Prasser: Doch, den gibt's natürlich. Viele Kunden haben zu Beginn eines Projektes Bilder im Kopf, die sich widersprechen. Die Bilder sind ein Mix aus Lifestyle-Magazinen sowie verschiedenen Urlaubs- und Kindheitserinnerungen, die nicht immer unter einen Hut zu bringen sind. Wir sind dann so etwas wie Regisseure, die aus den Fragmenten ein gutes Ganzes machen müssen.

Bis hin zu privaten Häusern, Restaurants oder dem Greenwell Business Centre (Bild) reicht der Entwurfsreigen von cp-Architektur.
Foto: Philipp Kreidl (www.ateliers.at)

STANDARD: Menschen aus Ihrer Zunft sprechen auch von einem psychologischen Anteil. Wie groß ist der?

Prasser: Bei Privatkunden sehr groß. Es geht bei vielen darum, dass sie zum ersten Mal und zum letzten Mal bauen. Das hat auch oft mit einer Kapitalgrenze zu tun, die man in der Regel nicht oft im Leben erreicht. Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit dem Lebenspartner, mit dem Dinge auf einen Nenner gebracht werden müssen.

STANDARD: Das heißt, Sie werden auch zum Mediator?

Prasser: Ja, unweigerlich. Ich muss den Raum für Diskussionen und Vergleiche ermöglichen. Und Waagschale spielen.

STANDARD: Geht Ihnen das manchmal auf die Nerven?

Prasser: Nein, die Perfektion in einer Sache zu suchen, ist mir zu glatt. Mich fasziniert der Fehler, die Spannung.

STANDARD: Wird es bei solchen Diskussionen auch manchmal laut?

Prasser: Bei mir persönlich selten. Aber zwischen den Kunden schon ... (lacht)

STANDARD: Warum hinkt die Branche der Interieur-Beratung in Österreich anderen Ländern gegenüber hinterher?

Prasser: Weil bei uns der private Bereich noch immer sehr privat gehalten wird. Wohnungen werden sehr selten für andere geöffnet. Manche öffnen sie nur, um zu repräsentieren.

STANDARD: Das klingt eigentlich traurig, oder?

Prasser: Ja, wenn Sie zum Beispiel abends durch eine skandinavische Stadt spazieren, sind zwei Drittel der Fenster beleuchtet, und man kann auch das Interieur der Wohnungen sehen. Bei uns ist das ganz anders. Die Menschen beschränken ihren Wohnraum stärker auf Dinge wie Schlafen, Körperhygiene, Fernsehen etc. Die Kultur des Essraumes, des Sitzmöbels etc. ist bei uns ein Stück weit verkümmert. Ich merke aber, dass die Menschen auch bei uns vermehrt Wert auf Rückzugsorte und gleichzeitig auf geselliges Beisammensein im Privaten legen.

STANDARD: Wie weit gehen Sie eigentlich in Ihrem Job? Bis zum Accessoire?

Prasser: Ja, wenn der Kunde das wünscht. Im Wiener Hotel "Hollmann Beletage" haben wir bis zum Zwirnknopf der Bettwäsche mitgestaltet.

STANDARD: Menschen, die sich mit Interieur beschäftigen, sind sich weitgehend einig, dass eine Wohnungseinrichtung über mehrere Jahre wachsen soll. Steht das nicht in Widerspruch zur fertig eingerichteten Bleibe vom Interieur-Berater?

Prasser designt Hotels wie das "Hollmann Beletage" in Wien.
Foto: Hotel Beletage

Prasser: Ich finde es schön, Menschen einen Wohnraum an einem bestimmten Punkt zu übergeben und zu sehen, was sie daraus machen, wie sie ihn weiterentwickeln. Wie gehen sie mit unserem Interieur um? Was machen sie daraus? Das ist unglaublich spannend.

STANDARD: Spricht man von Einrichtung, kommt man an Trends nicht vorbei. Wie gehen Sie mit Trends um?

Prasser: Ich versuche, mich von Trends fernzuhalten. Wenn man versucht, auf einen Trend aufzuspringen, ist der Zug meistens schon wieder abgefahren. Der Markt ist einfach zu schnell. Ich halte es auch nicht für eine Charakterstärke, auf Trends zu setzen.

STANDARD: Apropos Trends: In welche Richtung wird sich die Welt des Wohnens entwickeln?

Prasser: Auch wenn der Markt anderes zeigt: Ich glaube, Menschen tendieren zu einfachen Dingen. Die Welt ist mittlerweile so komplex. Je einfacher man Dinge entwickelt, umso mehr Ruhe und Selbstverständlichkeit geben sie dem Benutzer. Wir merken, dass die Menschen vor allem mit technischen Dingen überfordert sind.

STANDARD: Stichwort Smart Home! Man liest ständig davon, aber niemand kennt jemanden, der mit seinem Kühlschrank spricht.

Prasser: Wir sind mit Technik überfrachtet, haben permanent technische Hilfsmittel zwischen den Fingern, Lebensqualität stellen wir uns jedoch anders vor. Sie liegt in der Qualität des Einfachen, und das fängt bei Bett und Stuhl an. (Michael Hausenblas, RONDO Open Haus, 1.9.2018)