Sein Zugang polarisiert die Hörer: Pianist Ivo Pogorelich folgt bei Tempo, Klang und Dynamik seiner sehr eigenen Logik.

Foto: Glenn Koenig

Wien – Fünf Minuten vor halb acht, das Publikum war schon längst im Saal, konnte man ihn tatsächlich noch im Schlabberlook und mit schwarzer Haube am Flügel erleben. Er übte das Ende der Feux follets von Franz Liszt im halben Tempo. Zehn Minuten später verbeugte sich Ivo Pogorelich dann im Frack: Ähnelte er mehr einem Chefbutler oder dem Hausherrn? Was sein exzentrisches Wirken am Klavier anbelangt, könnte man entsprechend fragen: Ist der 59-Jährige mit seinem rhapsodisch anmutenden Interpretationszugang mehr der Diener oder ein echter Dominator der präsentierten Werke?

Wolfgang Amadeus Mozarts c-Moll Fantasie gelang ihm wundervoll. Natürlich zelebrierte Ivo Pogorelich das Werk, nahm sich dabei alle Zeit der Welt. Auf satte melodische Bögen folgten dabei zarte Zurücknahmen; auf aristokratische Grandezza kindliche Schlichtheit. Die alarmistischen Tremoli ließen schließlich Vorfreude auf die nahende Appassionata aufkommen, die Klaviersonate Nr. 23 in f-Moll op. 57.

Noten sind Vorschläge

Doch Ludwig van Beethovens vielleicht beethovenschstes Klavierstück begann der gebürtige Belgrader nicht mit einer fiebrigen Anspannung; er tat es eher traumverloren. Die dynamischen Angaben des Komponisten sind für diesen Pianisten eher nur Vorschläge, denen man nachkommen kann, aber nicht unbedingt muss. Ein durchgehendes Tempo behagt Pogorelich, wie schon eine geraume Weile global bekannt, nicht wirklich: der Zeitraub (also Rubati) jedoch allerorten.

Pogorelich vereinte in seinen Interpretationen die dekadente Eigenwilligkeit des späten, also aktuellen Helmut Berger mit dessen einstiger Schönheit und dem Stilbewusstsein Luchino Viscontis. Sein Klangreichtum ist überbordend, kein anderer Pianist der Gegenwart erreicht ihn.

Der Steinway klang denn auch so fantastisch wie noch nie: mächtig und satt und flauschig zart. Nach einer eher unfassbar poetischen dritten Ballade von Frédéric Chopin wurden die klingenden Dinge bei den drei Liszt-Etüden (Wilde Jagd, Feux follets und Etüde f-Moll S 139/10) im Konzerthaus dann immer massiver.

Maurice Ravels La Valse wurde von Pogorelich eckig, erdverhaftet und schwergewichtig getanzt, oder besser: planierraupenartig plattgewalzt. Das war grotesk, allerdings in seiner kolossalen Schwerfälligkeit auch wieder genial. Begeisterung. (Stefan Ender, 18.4.2018)