Blacksburg – US-Wissenschafter simulieren das Undenkbare: Was würde geschehen, wenn an einem geschäftigen Montagvormittag mitten in Washington, D.C., nur wenige Häuserblocks vom Weißen Haus entfernt ein nuklearer Sprengsatz explodiert? Ein Team um Christopher Barrett vom Virginia Polytechnic Institute and State University (Virginia Tech) in Blacksburg hat diese Horrorsituation mithilfe von Hochleistungscomputern detailgenau nachmodelliert.

Das sogenannte National Planning Scenario 1 (NPS1) wird bereits seit den 1950er-Jahren regelmäßig durchgespielt, um Behördenvertretern und Notfallteams Hilfestellungen zu liefern, wie im Ernstfall am besten zu reagieren sei. Im Unterschied zur Anfangszeit lässt sich heute mit moderner Technik das "Was wäre wenn..."-Szenario sehr plausibel abbilden: Die Forscher um Barrett haben das Zentrum der US-Hauptstadt mit allen Straßen, Stromleitungen, Krankenhäusern und sogar Mobiltelefonmasten nachgebaut und mit 730.000 sogenannten "Agenten" bevölkert. Außerdem wurden noch zahlreiche andere Parameter wie Wetter oder Verkehr berücksichtigt.

Simulierte Bevölkerung geht eigene Wege

Diese Agenten, gleichsam synthetische Stadtbewohner, spiegeln einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung von Washington wieder, sind mit anderen Agenten vernetzt und besitzen die Fähigkeit, individuell zu agieren. Damit gelingt es den Wissenschaftern, realistisch zu simulieren, welche unterschiedlichen Ziele die Menschen in der Stadt nach einem solchen atomaren Angriff ansteuern.

Eltern beispielsweise würden mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst versuchen, zu den Schulen ihrer Kinder zu gelangen. Damit das Krisenmanagement auf diese Dinge richtig reagiert, ist eine hohe Detailgenauigkeit notwendig, erklärt Barrett. Der Nachteil dieser Vorgehensweise ist die enorme Rechenleistung, die dafür benötigt wird.

Chaotische Folgen

Die Folgen einer solchen Explosion wären im Übrigen verheerend: Ein aus fünf Kilogramm hochangereichertem Uran bestehender Sprengsatz würde augenblicklich einen ganzen Häuserblock in einem Feuerball pulverisieren, der etwa zwei Drittel so groß wäre, wie jener der Hiroshima-Bombe. Die Druckwelle würde alle Gebäude im Umkreis von einem Kilometer mehr oder weniger komplett zerstören. Der gleichzeitige elektromagnetische Puls würde die Stromversorgung für den größten Teil des Stadtgebietes lahmlegen und das Handynetz im Umkreis von fünf Kilometern außer Funktion setzen.

Die plötzlich fehlende Möglichkeit, Angehörige und Freunde zu erreichen, hätte zur Folge, dass sich Menschen aus den weniger stark betroffenen Stadtteilen, auf den Weg zu ihren Liebsten machen, selbst wenn diese in den zerstörten Gebieten vermutet werden – diese chaotischen Bewegungen der Bewohner Washingtons lassen sich mit der nun vorgestellten Simulation anhand der Agenten besser berechnen.

Die Online-Ausgabe des "Science"-Magazins hat den Grundlagen dieser Simulation, ihrer Entwicklung und ihren Ergebnissen einen umfassenden Artikel gewidmet:

--> Science: What if a nuke goes off in Washington, D.C.? Simulations of artificial societies help planners cope with the unthinkable.

(tberg, 22.4.2018)