Angriff ist seine beste Taktik. Tayyip Erdoğan zwingt seinen Bürgern nun eine Wahl im Schnelldurchgang auf. In knapp zwei Monaten schon sollen die Türken ihrem Staatschef eine weitere Amtszeit verschaffen, dazu ein Parlament zum Durchregieren und mit der Doppelwahl schließlich auch den rechtsgültigen Wechsel vom parlamentarischen System der Türkei zu einem Präsidialregime.

24. Juni als Chance

Die größte Oppositionspartei, die säkulare sozialdemokratisch-nationale CHP, hat bereits die Losung für diese Wahl ausgegeben: "Demokratie oder Einmannstaat". Der 24. Juni sei die letzte Chance, die Türkei vom Abgrund der Diktatur wegzuziehen. Es gibt einigen Anlass zu glauben, dass diese so dramatische Warnung einfach verpuffen wird.

Denn die Mehrheit der Türken ist heute beides – eingeschüchtert, aber auch pragmatisch. Sie ist beunruhigt über die wirtschaftliche Zukunft, die nicht enden wollenden Verhaftungen, über die Möglichkeit, jederzeit bei der Polizei als Staatsfeind denunziert zu werden. Doch die Mehrheit im Land scheint weiter bereit, sich dem Mann in die Arme zu werfen, der Führung und Stabilität verspricht.

Erdoğan hat die Chancen für seine Wiederwahl und die für eine weitere absolute Mehrheit seiner Partei im Parlament genau kalkuliert. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Macht. Schon wieder. Immer noch. Erdoğan ganz oben: Das hat man schon 2011 gesagt, als seine konservativ-islamische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung das unerhörte Kunststück fertigbrachte, zum dritten Mal in Folge Parlamentswahlen zu gewinnen und dabei auch noch den Stimmenanteil zu vergrößern.

Hammer als Werkzeug

Sieben Jahre ist das her, doch was für ein Unterschied! Die Türkei ist seither ein anderes Land geworden.

Die Debatten von damals nehmen sich heute lächerlich oder völlig irreal aus. Um die weitere Anhebung der Alkoholsteuer ging es zum Beispiel oder um die Lösung der Kurdenfrage durch Verhandlungen mit der PKK. Aber auch schon um die Inhaftierung zweier investigativ arbeitender türkischer Journalisten. "Bombenleger" nannte sie Erdoğan im Plenum des Europarats in Straßburg. Ahmet Şık und Nedim Şener hatten ein Buch über die Unterwanderung des türkischen Staats durch die Bewegung des Predigers Gülen geschrieben. Damals aber war Gülen noch ein Verbündeter der Regierung Erdoğan, nicht der Staatsfeind Nummer eins.

Der Hammer ist Erdoğans einziges Werkzeug, die Türkei für ihn ein großes Nagelbrett. Der Staatschef sieht nur Feinde und Gefolgsleute. Die einen schlägt er platt, die anderen hält er in Furcht und Sorge – seine frommen Wähler vor der Revanche der säkularen Türken, die Nationalisten vor der Verschwörung des Westens.

Der Freiraum zum Denken ist im Land so rasant geschwunden, wie Erdoğan seine Herrschaft zuletzt zementiert hat. Die Wahl im Juni soll nun die Ära Erdoğan fortschreiben. Aus dem Ausnahmezustand, den Erdoğan nach dem Putsch im Juli 2016 verhängte, wird dann der Normalzustand: Regieren mit Dekret, machtlosem Parlament und folgsamer Richterschaft.

Die Türken gehen im Juni zu einer Wahl, die leidlich frei sein mag. Fair wird sie nicht sein. Fast alle Medien sind nun unter dem Einfluss der Regierung, Oppositionspolitiker und Erdoğan-Kritiker in Haft. Dass der Westen die Wahl wohl als Farce verdammen wird, ist Erdoğan reichlich egal. (Markus Bernath, 19.4.2018)