Nach der Ohrfeige durchs Oberhaus demonstrierte das Londoner Brexit-Ministerium demonstrativ Gelassenheit. Die zweite Parlamentskammer habe am Mittwochnachmittag keineswegs für Großbritanniens Verbleib in einer Zollunion mit der EU gestimmt; das Votum verpflichte die Regierung lediglich dazu, ihre Position zu erläutern. Und die sei eindeutig: "Wir verlassen die Zollunion und treffen eine ambitionierte neue Zollvereinbarung."

Das stellte höchstens die halbe Wahrheit dar, wie sich tags darauf zeigte. In Wirklichkeit hatten die Oberhäusler, darunter immerhin ein Viertel aller konservativen Mitglieder, mit 348:225 Stimmen den harten Brexit-Kurs der Regierung von Premierministerin Theresa May durchkreuzt. Dieser sieht noch immer den Austritt aus der EU, ihrem Binnenmarkt und der gemeinsamen Zollunion vor. Man wolle auch nicht, wie von der Labour-Opposition gefordert, in "einer" Zollunion mit Brüssel bleiben, heißt es aus der Downing Street. Sondern eben eine ganz neuartige Vereinbarung, die den Bedürfnissen der britischen Wirtschaft entspricht.

Heikle Nordirland-Frage

Das sei weder realistisch noch notwendig, argumentieren hingegen Politiker wie der frühere beamtete Staatssekretär John Kerr oder Chris Patten, Exkabinettsminister und letzter Gouverneur von Hongkong, die die Ablehnungsfront vom Mittwoch organisierten. Der Wirtschaft sei am besten mit dem Verbleib in der Zollunion gedient; zudem löse ein Verbleib auch weitgehend das knifflige Problem der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik im Süden der Grünen Insel. Jede Einschränkung des Grenzverkehrs könnte das Zusammenleben der diversen Gruppen in der einstigen Bürgerkriegsprovinz wieder erschweren.

Kein Zweifel: Mit der Abstimmung im Oberhaus steht der Brexit wieder an der Spitze der politischen Tagesordnung auf der Insel. Einige Wochen lang dominierten der Kampfstoffanschlag von Salisbury gegen den Doppelagenten Sergej Skripal, der resultierende Streit mit Russland sowie der Militärschlag gegen Syrien die Schlagzeilen. Stattdessen geht es nun erneut um das zukünftige Verhältnis der Briten zum Kontinent, zumal nach der Osterpause auch die Verhandler in Brüssel wieder zusammensitzen.

Fraktionszwang

Die Rebellion der Oberhäusler hat jene konservativen Unterhaus-Abgeordneten ermutigt, die der Regierungslinie skeptisch gegenüberstehen. Zwölf haben schon einmal dem Fraktionszwang widerstanden – und da Theresa May sich nur mittels der nordirischen Unionisten an der Macht hält, könnte ihr schon bald in der entscheidenden Parlamentskammer eine erneute Schlappe ins Haus stehen. Eine wachsende Zahl ihrer Fraktionskollegen, macht sich die konservative Brexit-Rebellin Anna Soubry Mut, verstehe jetzt die Vorteile einer engen zukünftigen Zusammenarbeit mit der EU: "Hoffentlich ist sich die Regierung der Stärke unserer Argumente bewusst."

Eine mächtige Phalanx einflussreicher Ausschussvorsitzender beantragte am Donnerstag eine Debatte samt Abstimmung bereits für kommende Woche. Andere erwarten den Showdown erst für die Zeit nach Pfingsten. Die angebliche Gelassenheit der Regierung wirkt plötzlich wie gefährliche Selbstgefälligkeit. (Sebastian Borger, 19.4.2018)