Es war um die Mittagszeit. Gerade verhallte der letzte Schlag der Kirchenglocke, da brodelte es in den Seitengassen wie ein fernes Gewitter, das doch an diesem grauverhangenen Tag nicht möglich schien, wie mancher Passant mit einem Blick zum Himmel prüfte. In Wahrheit schoben sich schnittige Maschinen, die der Grund für die Unruhe waren, aus den Seitengassen, glitten zur Mitte des Hauptplatzes, nahmen ein wenig umständlich Aufstellung und erstarben.

Egal ob offen oder geschlossen: Ein Ferrari macht was her im Stehen und in Bewegung. Das gilt auch für Portofino. Und weniger Ferrari gibt's nicht.
Foto: Ferrari

Im Nu bildete sich eine Gruppe von Beobachtern, die dem Ereignis zunächst aus der Distanz beiwohnten, sich besprachen, abschätzend die Köpfe wiegten und sichtbar froh darüber waren, ein Thema geschenkt bekommen zu haben, das einen Italiener nun wirklich nicht kalt lassen kann. Im Hintergrund hatten ältere Herren, die sie gegen die Kälte mit Pappendeckel belegt hatten, auf Parkbänken Stellung bezogen. Trotz der Aufmerksamkeit, die auf die weißen, silbergrauen und selbstverständlich roten Autos gerichtet war, das Publikum über die Vorgänge rund um die Schnittigen also genau unterrichtet war, hob es alle unisono aus den Sitzen, als einer der Ferraris zum Zwecke einer Tondokumentation gezündet wurde.

In 14 Sekunden ist das Blechdach des 2+2-Sitzers offen.
Foto: Ferrari

Und was bewirkte dieses wütend knallende Aufrotzen des Achtzylinders? Nicht etwa Entrüstung und Proteststimmen wie im mittleren Europa, das die Einhaltung von Ruhe und Ordnung zur Maxime erhebt. Nein, nach einer Schrecksekunde applaudierten und jubelten die Süditaliener. Sie zollten einem Mythos Anerkennung, der sich in einem weiteren Werk aus Eisen und Aluminium erneuert: als Nachfolger des California T, nun Portofino genannt. Ein anmutiger 2+2-Sitzer, dessen Blechdach in 14 Sekunden ins Auto turnt und ein Cabrio übrig lässt, das den Eindruck erweckt, als würde die Außenhaut nur unter äußerster Anspannung dem Hervorquellen von 600 PS Einhalt gebieten.

Der Golf unter den Ferraris

Dabei ist der Portofino ein zahmer Ferrari, der zahmste überhaupt, geschaffen für die schnöde Verrichtung von Alltäglichkeiten wie der Fahrt zur Arbeit oder der Verbringung des Nachwuchses in die Schule. Aufgaben, die man jedem x-beliebigen Golf überantworten könnte. Nur kommt man halt nicht so fesch daher. Den Ferrari-Offiziellen friert ein bisschen der Mund ein, wenn sie so was sagen müssen, weil man ein breiteres Publikum zur Marke holen will, und es stimmt ja auch nur zum Teil und in Bezug auf die Ferrari-Brachial-Abteilung.

Das Herzstück des Autos.
Foto: Ferrari

Der Portofino ist nur da und dort ein wenig humaner abgestimmt und tatsächlich hinter den Vordersitzen nicht ganz zu Ende. Dort will trotzdem niemand sitzen, selbst wenn die Fahrt beim Cartier-Outlet ums Eck endet. Und wenn er schon mit verhaltenem Gebrabbel von Palmen gesäumte Uferstraßen entlangstreichen, ein Flaneur auf den goldgepflasterten Avenues von Bel-Air oder Schanghai oder einfach ein flacher Dienstwagen sein soll, warum schreit er dann im Biturbo-Diskant, sobald man ihm das Gaspedal tief in die Eingeweide drückt? Warum schießt er in 10,8 Sekunden vom Stand auf 200 km/h (alle Werte dazwischen sind offenbar Larifari, unnötig, genannt zu werden), warum trägt er diesen in racingtechnischer Scheußlichkeit gehaltenen Wählschalter für "Comfort", "Sport" und "ESC Off" am Karbonlenkrad, der ihn flink und glitschig wie eine Forelle macht mit aller brachialer Leistungsentfaltung, dass dir vor allem als Beifahrer die Luft wegbleibt? Du meine Güte. Weil er verdammt noch mal ein Ferrari ist. Das donnert und rauscht, das verwandelt die Welt in einen Zeitrafferfilm, das baut Fliehkräfte auf, das wird zu einem wunderschönen Strich in der Landschaft, egal, ob offen oder geschlossen, das macht was her im Stehen und in Bewegung.

Kraft und Herrlichkeit

Je mehr man in die dahinterliegenden Vorkehrungen dringt, die servile Zumischung von Drehmoment in den unteren Gängen, damit einem der Portofino nicht aus der Hand fällt, das E-Diff3 aus den wilden Ferraris, das die Kraftverteilung zwischen den Hinterrädern balanciert, diese ganze Leichtbaugeschichte, die das Auto in Agilität und Beschleunigung maximiert, die SCM-E Lenkung mit ihrem geschwindigkeitsabhängigen Rückstellmoment, der V8-Motor in all seiner Kraft und Herrlichkeit, je man also über die technologischen Anstrengungen erfährt, desto mehr kommt man zu dem Schluss, dass die Mütter und Väter des Portofino ihre volle Hingabe der Performance gewidmet haben. Er fasziniert durch die Ausgewogenheit zwischen Cruisen und Wahnsinn, er schmückt seine Umgebung mit seiner schnellen stromlinienförmigen Opulenz, die sogar einen für Sportwagen dieses Kalibers einen veritablen Kofferraum zulässt.

Innere Befindlichkeit

Über den Innenraum sollen bitte andere befinden, hier herrscht gelinde gesagt ein Durcheinander von Luftdüsen, Displays und scheinbar gleichgültig platzierten Schaltern – gekrönt von Blinkerknöpfen am Lenkrad, wie sie Opel in den 80er-Jahren kaum grober und erratischer hingekriegt hätte. Natürlich ist das alles in Leder ausgeschlagen und fein vernäht. Das schon. Aber dass ein Renommierfahrzeug um 242.371 Euro knirscht und klappert und ein Plastikwindschott eher unelegant in die Halterungen gefummelt werden will, kann doch nicht wahr sein. Ist es aber. (Andreas Hochstöger, x.4.2018)

120-Jahr-Jubiläum: 1898 wurde Enzo Ferrari in Modena geboren, heute gilt die nach ihm benannte Marke als Inbegriff exquisiter italienischer Supersportware.
Foto: Ferrari