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Die "Veilleurs" (Nachwächter), katholische Aktivisten, protestieren lautstark gegen die Homo-Ehe.

Foto: REUTERS/Benoit Tessier

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Die erst 26-jährige Philosophin Marianne Durano (oben) ruft in ihrem Manifest unterdessen dazu auf, sich gegen "Genmodifiziertes, künstliche Befruchtung und Computer" starkzumachen.

Quelle: Manif Pour Tous

Die junge katholische Philosophin Marianne Durano – 26 Jahre alt und schon Mutter zweier Kinder – hat es geschafft, im Feuilletonteil der Zeitung Le Monde ihr Manifest für eine radikale Alternative zur Welt der Technowissenschaften zu platzieren. Dieser Text ist viel kürzer als das am selben Tag publizierte Interview mit der 74-jährigen Philosophin Elisabeth Badinter, einer prominenten Vertreterin des laizistischen Feminismus. Dafür stellt er eine Zäsur da.

Das Manifest steht für den Aufstieg einer neokonservativen Strömung, die ein halbes Jahrhundert nach dem Mai 1968 unsere "liberale und offene Welt" infrage stellt. Der Neoliberalismus wird heute mit allen Missständen der Globalisierung in Verbindung gebracht. Der Konservatismus wurde von einer Welle von Wahlsiegen angetrieben, in Polen wie in Deutschland, in Italien wie in Ungarn – und in Österreich.

Und in dieser neuen Konstellation schlittert der Planet der Grünen, der sich bis jetzt mehr oder weniger im Orbit der Linken und der emanzipatorischen Ansprüche von '68 befand, auch nach rechts. Genüsslich zitiert Durano Präsident Macron, der in seiner Rede vor französischen Bischöfen am 9. April sagte: "Man sollte eine Grenze definieren. (...) Manipulation und Fabrikation des Lebendigen können nicht bis ins Unendliche ausgedehnt werden, ohne den Begriff des Menschen und des Lebens infrage zu stellen."

Das Wort "Grenze" konnte der jungen Philosophin nur gefallen. Hat sie nicht 2015 mit ihrem Ehemann Gaultier Bès eine Zeitschrift für "integrale Ökologie" gegründet, die so heißt: Limite? In der ersten Ausgabe hatte ihr Artikel "Comment baiser sans niquer la planète" ("Wie kann man vögeln, ohne den Planeten zu ficken") für Aufregung gesorgt: In provokanter Manier machte sie moderne Methoden der Empfängnisverhütung herunter, weil sie angeblich die Frauen unter Druck setze und die Pharmaindustrie bereichere.

Die nationalen Grenzen, aber auch die Grenzen natürlicher Ressourcen und des technologischen Strebens kommen mit voller Kraft wieder. Badinters Credo des Positivismus erscheint plötzlich etwas verstaubt: "Ich teile die Prinzipien von Descartes und die Idee, dass wir ,wie Meister und Eigentümer der Natur' sind – diese verspricht für mich mehr Emanzipation als jene, die von der heiligen Allianz der Reaktionären verteidigt wird", sagt sie in Le Monde.

Nur: Seit Jahrzehnten steht die ökologische Bewegung der positivistischen Wissenschaft, dem Erbe der Aufklärung, kritisch gegenüber. Mithilfe anerkannter Intellektueller: Der Anthropologe Philippe Descola, Nachfolger von Claude Lévy-Strauss im Collège de France, stellt die alte Zäsur zwischen Mensch und Nichtmensch zur Diskussion. Haben nicht Wissenschafter wie der Neurobiologe Stefano Mancuso nach dem Leiden der durch industrialisierte Landwirtschaft misshandelten Tiere die "Intelligenz der Pflanzen" entdeckt? Der Philosoph Bruno Latour träumt vom "Irdischen" (oder vom "Terrestrischen", so die deutsche Übersetzung) als Alternative zum Binom "Lokal" versus "Global".

Die Kritik am Positivismus und am Neoliberalismus greifen die Neokonservativen jetzt auf – mit einer eigenen Agenda. Der schräge Ton von Limite lässt fast vergessen, dass die Zeitschrift von einigen "Veilleurs" (Nachtwächtern) lanciert wurde. Die Bewegung hatte 2012 damit begonnen, abends auf Plätzen Kerzen anzuzünden, um gegen das von der linken Regierung getragene Projekt der Homo-Ehe zu protestieren, und Hunderttausende auf die Straße gebracht.

Badinter ist höchst alarmiert: Es gibt "eine immense Reserve von Katholiken, die sehr rechts stehen" in Frankreich. Sie sind besonders laut in den regionalen Foren, die derzeit eine Revision der bioethischen Gesetze debattieren, während die Befürworter einer Liberalisierung kaum zu Wort kommen. Die von Macron gegenüber dem Katholizismus ausgestreckte Hand kann durchaus als Anerkennung dieses Aktivismus betrachtet werden, genauso wie als Ausdruck einer persönlichen Überzeugung; die sollte bei einem französischen Staatsoberhaupt allerdings diskret bleiben.

Beim Lesen des Manifestes "Für eine integrale Ökologie" denkt man nicht spontan an die "Integristen" – jene Katholiken, die sich der Öffnung des Konzils Vaticanum II verweigert haben. Viele Grüne und Altermondialisten stimmen wohl zu, wenn Durano die "Umweltkatastrophe" oder ein "Technohandelssystem, das sein Reich und die Schäden erweitert", scharf kritisiert. Sie kommt auf den Punkt, wenn sie schreibt: "Was natürlich und kostenlos war – Geburt, Intelligenz, Pflanzenwachstum -, wird durch teure Artefakte ersetzt: künstliche Befruchtung, Computer, Genmodifiziertes. Überall will man soziale und politische Herausforderungen mit Technik und Merkantilismus beantworten."

Die Neokonservativen sind keine verkrampften Reaktionäre mit dem Rosenkranz in der Hand. Sie sind Fans von George Orwell, sie schwärmen von Pierre Rabhi, dem grünen Gandhi und Verfechter der "glücklichen Genügsamkeit". Sie lieben den Philosophen Jean-Claude Michéa, einen "anarchistischen Konservativen", der den Populismus anpreist. Wenn sie katholisch sind, berufen sie sich auf die Enzyklika von Papst Franziskus "Laudatio Si'." Vor drei Jahren veröffentlicht, deutet der Text auf eine Wende hin. Der Papst stellt sich als spiritueller Chef einer ökologischen Weltbewegung dar, die Kirche bricht mit ihrer Deutung der Genesis im Sinn des Positivismus: Der Mensch ist nicht mehr dazu da, um den Rest der Schöpfung zu beherrschen, er ist ihr Wächter und Gärtner.

Abtreibung als Streitpunkt

Die Abtreibung bleibt freilich Stein des Anstoßes in diesem "globalen" Diskurs. Wie Badinter anmerkt, erklärt man dies den Frauen so: Solange sie bereit seien, eine winzige Tierart zu schützen, können sie schwer ein Embryo abtöten, der wäre doch ein potenzieller Mensch. Die Feministinnen sind bezüglich künstlicher Methoden der Zeugung tief gespalten. Ist es ein Weg, sich von der Natur zu befreien, wie die Amerikanerin Donna Haraway oder die Schriftstellerin Virginie Despentes glauben? Oder blanke Kapitulation vor dem neoliberalen Markt? Badinter und die Soziologin Irène Théry wollen eine "ethische" Leihmutterschaft, wo die Philosophin Sylviane Agacinski und die Kanadierin Céline Lafontaine nur eine "Vermarktung" des Körpers sehen.

Alle sind sich trotzdem darin einig, das Recht der Frauen zu verteidigen, über Mutterschaft selbst zu entscheiden, sogar Schwangerschaft abzubrechen. Durano setzt dem heutigen "Techno-Demiurgismus" die antike Weisheit entgegen, wonach man "seine Wünsche lieber ändern sollte, statt die Weltordnung". In ihrem Buch "Mon corps ne vous appartient pas" (Mein Körper gehört Ihnen nicht) wird ihre konservative Botschaft gegen Abtreibungsrecht noch klarer. Heftige Auseinandersetzungen sind zu erwarten. (Joëlle Stolz, 20.4.2018)