3-D-Rekonstruktion des Champ-Durand-Kuhschädels mit Trepanationsloch.

Illustration: APA/AFP/CNRS/FERNANDO RAMIREZ ROZZI

Untersuchungen der Öffnung sprechen gegen eine Kampf- oder Unfallverletzung. Die Strukturen deuten auf Techniken hin, die auch von menschlichen Schädeln aus der Jungsteinzeit bekannt sind.

Illustration: APA/AFP/CNRS/FERNANDO RAMIREZ ROZZI

Paris – Ältester Nachweis eines verterinärmedizinischen Eingriffs oder gar eines medizinischen Tierversuchs? Wissenschafter des Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris sind sich sicher, stichhaltige Hinweise auf eines dieser beiden Szenarien gefunden zu haben: Wie sie im Fachblatt "Scientific Reports" berichten, entdeckten sie am rund 5.000 Jahre alten Schädel einer Kuh deutliche Spuren eines chirurgischen Eingriffs.

Der Schädel stammt aus der neolithischen Ausgrabungsstätte Champ-Durand im heutigen französischen Département Vendée und weist auf der rechten Stirnseite ein verdächtiges Loch auf. Zunächst vermuteten Archäologen, die rund 6,5 mal 4,5 Zentimeter große Öffnung könnte eine Kampfverletzung darstellen, etwa durch den Hornstoß eines anderen Tieres.

Gezielte Öffnung

Doch ein Team um Fernando Ramirez Rozzi und Alain Froment vom CNRS kommt nach näheren Untersuchungen zu einem anderen Schluss: Das Loch im Kuhschädel trägt die Signatur einer Trepanation, also einer gezielten operativen Öffnung mithilfe eines Werkzeugs. "Röntgenaufnahmen und Untersuchungen mit dem Rasterelektronenmikroskop zeigen, dass es sich nicht um eine Hornverletzung handeln kann", sagte Rozzi. Auch fanden sich keine Hinweise auf Infektionskrankheiten oder Tumoren. Stattdessen spricht vieles dafür, dass der Knochen angebohrt wurde. Die Technik, mit der der dabei vorgegangen wurde, kommt den Forschern äußerst bekannt vor.

Schädeltrepanationen dürften neben Zahnbehandlungen zu den frühesten operativen Eingriffen zählen, die Menschen durchgeführt haben: Archäologische Funde menschlicher Schädel in Europa und Südamerika, die derartige Bohrlöcher aufweisen, datieren auf bis zu 10.000 Jahre. Welchen genauen Zweck diese Eingriffe hatten, ist Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen.

Neolithische Übungs-OP?

In der modernen Medizin wird die Schädeltrepanation als Standard-OP etwa zur Entlastung bei erhöhtem Hirndruck und bei Hirnblutungen nach Kopfverletzungen vorgenommen. Ob es sich bei den neolithischen Operationen auch um medizinische Eingriffe handelte (etwa bei Epilepsie) oder ob eher religiöse und rituelle Motivationen dahinterstanden, ist unklar. Forscher gehen jedenfalls davon aus, dass die Überlebensrate derartiger "Behandlungen" bei immerhin deutlich über 50 Prozent gelegen haben dürfte.

"Ich habe viele solcher Menschenschädel aus der Jungsteinzeit analysiert, alle weisen die gleichen Spuren auf. Die Technik, mit der der Schädel dieser Kuh geöffnet wurde, ist ident", sagte Rozzi. Warum aber sollte jemand den Schädel einer Kuh öffnen? Den Untersuchungen zufolge dürfte das Tier unmittelbar nach der Operation gestorben oder beim Eingriff bereits seit kurzem tot gewesen sein.

Die Forscher sehen daher nur zwei plausible Möglichkeiten: Entweder hat jemand versucht, dem sterbenden Tier durch die Operation das Leben zu retten – dann wäre es der erste bekannte Fall einer tiermedizinischen Operation. Für wahrscheinlicher halten Rozzi und Froment aber die zweite Variante: dass die Kuh als Versuchsobjekt diente, um derartige Eingriffe am Menschen zu üben. (dare, 22.4.2018)