Mika Rottenberg kennt keinen Genierer. In die heiligen Zumthor-Hallen des Kunsthauses Bregenz (Kub) ließ sie grindige Styropordecken montieren. Die Besucherinnen und Besucher schickt sie durch einen Tunnel, aufblasbare Plastiktiere und bunte Kunststoffblumen arrangierte sie auf Baugittern zu Kitschbildern. Die in New York lebende argentinisch-israelische Künstlerin setzt sich mit ihren Skulpturen und Videoinstallationen in den perfekten Betonglasbau wie Raqui, die adipöse "Draufsitzerin", eine ihrer Videodarstellerinnen. Mit Genuss stört Rottenberg die makellose Architektur.
"Social Surrealism" nennt die Künstlerin ihre Art der Weltbetrachtung. Ihre Installationen verzerren, karikieren und verstören. Ausbeutung zum Zwecke der Produktion sinnloser Waren für einen globalisierten Markt, die Vermarktung weiblicher Körper, die Torheit der (US-amerikanischen) Politik sind ihre Themen. Rottenbergs feministische Kapitalismuskritik ist bissig-witzig. Ihre erotischen Anspielungen sind die einer griechischen Sirene. Selber schuld, fällt man(n) drauf rein.
Kunst und Käse
In Rottenbergs Videos verwandeln sich Dinge. Milch spritzt aus den Zitzen von Ziegen und auch aus der Erde. Plötzlich liegt da ein Brocken Käse. Männer niesen und gebären aus übergroßen Nasen Kaninchen oder Steaks. Wasser verdampft in heißen Pfannen. Schräg und hintergründig verweist sie auf fragwürdige Machtverhältnisse und Arbeitsteilungen.
Die Rottenberg-Schau im Kub beginnt rustikal. Ein Bretterverschlag, der eher an ein Elendsviertel als an Landidylle erinnert, simuliert einen Ziegenstall. Hinter den Brettern verbergen sich Monitore. Videos zeigen Frauen mit bodenlangen Haaren in weißen Leinenkleidern, sie fangen Nebeltropfen in Trichtern, pflegen ihr Haar und melken die Tiere. Werbung für Haarpflege, Urlaub auf dem Land oder Ziegenkäse? Die Installation Cheese ist eine Hommage an die Sutherland Sisters, die im ausgehenden 19. Jahrhundert mit ihren bodenlangen Mähnen als Models und Entertainerinnen berühmt und mit einem Haarwuchsmittel reich wurden. Für die Tinktur wurde Wasser aus den Niagara-Fällen verwendet.
Duft per Seilzug
Rottenbergs Film zeigt diesen Verkaufsschmäh mit Augenzwinkern. Dass sich die Künstlerin zu einer Rottenberg-Edition für die Verpackung von Vorarlberger Bergkäse gewinnen ließ, fällt dann eher unter die Kategorie peinlich.
Von den Ziegen geht’s durch eine Schleuse zu Meerestieren. NoNoseKnows, 2015 auf der Biennale in Venedig gezeigt, gilt als eines der wichtigsten Werke Rottenbergs. Asiatische Frauen in Daunenjacken an einem großen Tisch in einem feuchten, kalten Gewölbe. Sie impfen Austern, tagein, tagaus. Rottenberg zoomt in den Akt der Transplantation von Muschelgewebe aus der Spender- in die Empfängermuschel. Perlen sollen entstehen, für reiche Frauen irgendwo auf der Welt.
Eine junge Frau stört das Bild, sie betätigt einen Seilzug, dessen Sinn sich erst erschließt, wenn die nächste, höhere Ebene gezeigt wird. Dort, in einem Warenlager, schnuppert eine westlich aussehende Frau an einem Blumenstrauß, der per Seilzug Duft verströmt. Der Frau wächst durch das Riechen eine Pinocchio-Nase, die Plastikteller mit Kantinenessen niest.
Mit Cosmic Generator, produziert 2017 für die Skulptur-Projekte Münster, führt Rottenberg an die Grenze USA/Mexiko. Zwischen Mexicali und Calexico trennt ein Zaun die Staaten, aber (illegale) Tunnel verbinden die Menschen. Ob Mexiko oder USA, überall wird der gleiche Plastikkrempel angeboten. Cut.
Rottenberg schwenkt zum größten Ramschmarkt Chinas. Inmitten der Plastikberge Frauen, die stoisch den Krempel verkaufen. "Die Installation zeigt den Zusammenbruch von Distanz und Zeit. Es braucht länger, an dieser Grenze von Mexiko in die USA einzureisen, als Plastik von China in die USA zu bringen", erklärt die Künstlerin. Rottenberg zeigt und hinterfragt, wie ein System funktioniert, an dem wir alle beteiligt sind – und sie tut es mit schrillen, beklemmenden Bildern und schrägem Humor. (Jutta Berger, 23.4.2018)