Im Villette-Viertel im Norden von Paris entsteht im Moment wieder ein riesiges Zeltlager von Asylwerbern und Flüchtlingen.

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Wird Frankreich von Migranten "überschwemmt", wie Innenminister Gérard Collomb schätzt? Oder entehrt sich die Nation der Menschenrechte, indem sie "Kinder hinter Stacheldraht" steckt, wie die kommunistische Abgeordnete Elsa Faucillon erklärte?

Solche grundsätzlichen Fragen prägten die mehrtägige Parlamentsdebatte über ein Gesetz, das die Asylverfahren wie auch die Abschiebungen zu beschleunigen sucht. Asylgesuche sollen in Zukunft in sechs statt elf Monaten behandelt werden. Rekurse gegen ablehnende Bescheide sind nur noch innerhalb von zwei Wochen (bisher ein Monat) möglich. Und die Abschiebehaft wird von 45 auf 90 Tage verlängert.

Das solle mehr Asylplätze für echte Flüchtlinge schaffen, sagte Collomb. Sein umstrittenes Rundschreiben von 2017, das die Polizei ermächtigt, in Asylzentren Personenkontrollen durchzuführen, erhält deshalb Gesetzeskraft.

Ein Abgeordneter verließ die Fraktion

Die Nationalversammlung stimmte in der Nacht auf Montag in erster Lesung mit 228 gegen 139 Stimmen für das neue Gesetz. Ausschlaggebend waren die Stimmen der Partei La République en marche (LRM) von Präsident Emmanuel Macron. Etliche "Marcheurs" enthielten sich allerdings der Stimme, und einer der 312 LRM-Abgeordneten, Jean-Michel Clément, zog es vor, mit Nein zu stimmen – und die Fraktion zu verlassen, wie es die Partei bei der Verletzung der Fraktionsdisziplin vorgegeben hatte.

Clément sagte, er könne die Verschärfung des Asylgesetzes nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Auch wenn er in der LRM-Fraktion ein Einzelfall war, erhielt er viel mediale Aufmerksamkeit, da er für viele "Marcheurs" spricht, die Macrons Gesetz in der Parlamentsdebatte zwar kritisierten, aber nicht zum Fraktionsausschluss bereit waren.

Kritik von rechts und links

Redner der Linksparteien sagten in der Debatte ebenfalls, das Gesetz verletze den "universellen" Anspruch Frankreichs als Menschenrechtsnation, stemple es doch "die Ausländer zu Verdächtigen". Collombs Anspruch, mit dem Gesetz die Integration der aufgenommenen Asylwerber zu fördern, bleibe "bloßes Gerede", wenn man ihnen das Recht zur Arbeit verweigere, meinte Alexis Corbière von der Formation der "Unbeugsamen Franzosen".

Die Macronisten gaben insofern nach, als sie das Arbeitsverbot für Asylwerber von neun auf sechs Monate verkürzten. Das sogenannte "Solidaritätsdelikt" von Franzosen, die abgewiesene Asylwerber beherbergen, entschärften sie zudem geringfügig.

Le Pen: "Geheimer Plan"

Die Linke stimmte dessen ungeachtet geschlossen gegen das Gesetzesprojekt. Das Gleiche taten – obschon aus gegenteiligen Gründen – die konservativen Republikaner und die Handvoll Abgeordneten des Front National. Deren Chefin Marine Le Pen verdächtigte die Macron-Regierung, sie verfolge einen "geheimen Plan, weitere 40.000 Migranten zu legalisieren".

Republikanerchef Laurent Wauquiez erklärte, es genüge nicht, die Gesetze zu verschärfen, wenn die Polizei keine zusätzlichen Mittel zur Durchsetzung der Abschiebung erhalte – zumal 90 Prozent der Abgeschobenen jeweils nach Frankreich zurückkehrten. Auch die von Collomb geforderte Revision des Dublin-Abkommens auf EU-Ebene hält Wauquiez für nutzlos. Die Rechte will im Senat, wo sie die Mehrheit hat, Zusatzanträge für die weitere Verschärfung des Asylrechts einbringen. Das letzte Wort hat allerdings die Nationalversammlung; und sie dürfte an dem Gesetzestext kaum mehr viel ändern.

Großes Zeltlager im Villette-Viertel

Wie gespannt die Lage an der französischen Asylfront ist, zeigt sich nicht nur in Calais am Ärmelkanal, wo weiterhin hunderte meist junge Männer wild campieren, um nachts nach England überzusetzen zu versuchen. Auch im Pariser Villette-Viertel wächst derzeit wieder ein großes Zeltlager Ankommender. Hilfswerke bezeichnen die Lebensbedingungen als unmenschlich. Collomb erklärte, die Aufnahmelager seien überfüllt, nachdem Frankreich 2017 erstmals mehr als 100.000 Asylanträge registriert habe.

In den Südalpen kletterten am Wochenende Vertreter der "Génération identitaire" zur Grenze nach Italien hoch, wo viele Asylsuchende aus Lampedusa kommend nach Frankreich gelangen. Aus Hubschraubern filmten die Rechtsextremisten ihr Riesentransparent mit der Inschrift "Zurück in euer Herkunftsland!". Die Regierung musste von links wie rechts Kritik einstecken, sie überlasse dieses Grenzgebiet den Migranten und deren Gegnern. Collomb kündigte nun eine "umfangreiche" Verstärkung der Polizei an, "um die absolute Kontrolle der Grenze" zwischen Südfrankreich und Italien zu gewährleisten. (Stefan Brändle aus Paris, 23.4.2018)