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Ivica Todorić lebt bei seinem Sohn in London, jedoch hat ein Gericht jetzt seine Auslieferung nach Kroatien beschlossen. Todorić wird unter anderem Bilanzfälschung vorgeworfen.

Foto: Reuters / Simon Dawson

Zagreb – Er porträtiert sich gern als sorgender Partriarch, dem das Wohlergehen des kroatischen Volkes am Herzen liegt. Bis vor einem Jahr wurde Ivica Todorić auch in diesem Image bestätigt. Nun kämpft der Unternehmensvater mithilfe seiner Anwälte um Einfluss, Unternehmensanteile und seine persönliche Reputation. Er ist längst aus Zagreb weggezogen und lebt bei seinem Sohn in London. Am Montag entschied ein Gericht in Westminster, dass er nach Kroatien ausgeliefert wird. Bei dem Verfahren geht es unter anderem um Bilanzfälschung. Todorić wurde im November in London verhaftet und gegen Kaution freigelassen. Die Krise um den Lebensmittelriesen Agrokor, den Todorić gegründet hat, ist nicht nur das persönliche Drama des ehemaligen Blumenhändlers mit Wurzeln im dalmatinischen Imotski.

Der Fall Agrokor lehrt auch vieles über die kroatische Wirtschaftsgeschichte und den politischen Zustand des Landes. Kürzlich wurde eine weitere Gnadenfrist gewährt, um den hochverschuldeten Konzern abzusichern. Am 10. April verkündete Premier Andrej Plenković, dass das Schlichtungsverfahren abgeschlossen sei und ein Text für die geordnete Umstrukturierung des Unternehmens vor dem 10. Juli fertiggestellt werden wird – das entspricht auch der rechtlichen Deadline, um ein Konkursverfahren zu verhindern. Das Handelsgericht in Zagreb soll im Juli über das Abwicklungsverfahren entscheiden.

6,5 Milliarden Euro Schulden

Vor einem Jahr war bekannt geworden, dass Agrokor, das größte private Unternehmen Kroatiens, mit 6,5 Milliarden Euro verschuldet ist – das entspricht 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Konzern beschäftigt 60.000 Personen in sechs Staaten – allein 40.000 in Kroatien. Deshalb galt die Causa auch als systemrelevant, und ein Gesetz wurde geschaffen, das dem Unternehmen ein staatliches Management vorsetzte – die Lex Agrokor. Todorić wurde entmachtet. Mit der Restrukturierung sollen nun die profitablen Firmen des Konzerns, der über 50 Unternehmen umfasst, erhalten bleiben, andere sollen in Konkurs gehen. Grundsätzlich sollen die Beträge, die Agrokor seinen Kreditgebern schuldet, in Anteile für diese umgewandelt werden. Einige Schulden sollen abgeschrieben werden.

Laut Medienberichten soll der amerikanische Hedgefonds Knighthead zwischen zehn und zwölf Prozent der Anteile bekommen und die größten Kreditgeber, die mehrheitlich staatliche russische Sberbank und VTB 46 Prozent. Der direkte Einfluss Russlands auf die kroatische Wirtschaft würde damit stark wachsen. Bis vor kurzem haben sich Sberbank und VTB noch geweigert, sich mit den anderen Gläubigern und der Regierung zu einigen. Die Sberbank verlangte 1,1 Milliarden Euro zurück, blockierte Vermögensanteile in Unternehmen in Serbien, und der russische Botschafter in Zagreb schaltete sich ein. Denn in dem Restrukturierungsplan waren die russischen Banken nicht prioritär inkludiert gewesen. Sie waren nicht damit einverstanden, dass ältere Kredite bevorzugt gegenüber ihren eigenen behandelt werden sollten.

Kroatien drohen Klagen

Kroatien drohten deshalb zahlreiche Klagen – doch dann lenkte die Regierung ein. Der bisher staatlich vorgesetzte Manager Ante Ramljak musste am 21. Februar zurücktreten – Medien hatten über Verbindungen zwischen seiner früheren Firma Texto und Agrokor berichtet, ein Interessenkonflikt stand im Raum. Ein neuer Manager, Fabris Peruško, wurde ernannt. Die Sberbank und die VTB, die Agrokor im Jahr 2014 die überlebensnotwendigen Darlehen gewährt hatten, haben berechtigte Ansprüche.

Todorić hatte sich 2014 beim Kauf der slowenischen Supermarktkette Mercator nämlich völlig übernommen. Die westlichen Banken hatten sich geweigert, weiter Geld zu leihen, die Sberbank sprang mit 600 Millionen Euro ein, es folgte eine weitere Finanzspritze der VTB über 300 Millionen Euro. 56 Prozent aller Schulden von Agrokor gehörten am Ende den russischen Banken.

Einige politische Beobachter hatten bereits damals vor einem vermehrten Einfluss Russlands auf die kroatische Wirtschaft und damit auch die Politik gewarnt. Doch damals stand die kroatische Regierung noch hinter Todorić und Agrokor. Unter dem Vorgänger von Premier Plenković, Tomislav Karamarko, war der Einfluss Russlands in Kroatien zudem gewachsen.

Zurück an den Verhandlungstisch

Auf Anfrage des STANDARD spricht die Sberbank nun von einer Basis für "konstruktive Gespräche" mit Peruško. Der neue Manager wird ausdrücklich gelobt. Die Sberbank sei jedenfalls an den Verhandlungstisch zurückgekehrt und ist jetzt auch Teil des Interimsgläubigerrats. Laut dem nun vorgelegten Plan soll ein Unternehmen namens Stak mit Sitz in den Niederlanden formell Besitzer der neuen Gruppe werden. Stak soll zu 100 Prozent den Kreditgebern gehören. In einer Holding namens CroHoldCo mit Sitz in Kroatien sollen die insolventen Unternehmen angesiedelt werden.

Die Restrukturierung von Agrokor wird von vielen politischen Beben begleitet. Erst kürzlich versuchte die Opposition wieder die liberale Vizepremierministerin Martina Dalić durch ein Misstrauensvotum zu Fall zu bringen. Dalić hatte enge Verbindungen zu Ramljak. Offen ist die Frage, wie sehr die Krise des Konzerns Auswirkungen auf die kroatische Gesamtwirtschaft haben wird und ob auch der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird.

Der Ökonom Velimir Šonje meint, die Auswirkungen der Finanzschwierigkeiten auf die Gesamtwirtschaft seien übertrieben dargestellt worden. Die Rückkehr der Sberbank an den Verhandlungstisch sei aber für die kroatischen Steuerzahler gut gewesen, denn "das bedeutet, dass es einen Player weniger gibt, der versuchen könnte, seine Interessen über spätere Klagen durchzusetzen".

"Begrenzte Auswirkungen"

Auch die kroatische Nationalbank spricht von "begrenzten" Auswirkungen. "Trotzdem wurde erwartet, dass die Agrokor-Krise Investitionsentscheidungen und privates Konsumverhalten zu einem gewissen Ausmaß beeinflussen wird", so die Nationalbank zum STANDARD. Es wurde angenommen, dass es zu weniger Investitionen innerhalb der Agrokor-Gruppe und der Zulieferer kommen wird und dass Beschäftigte entlassen werden müssen. Das könne auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und daher den privaten Konsum haben, so die Nationalbank. Signifikant seien die Auswirkungen allerdings nicht. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) waren auch bisher negative Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft und das Wachstum begrenzt. Plenković selbst hat versprochen, dass die Steuerzahler nicht belastet werden.

"Wir werden aus dieser Geschichte Lehren ziehen, versuchen, dieses Szenario nicht länger zu wiederholen", sagte der Premier. Plenković sprach von einer zweiten Transformation der Geschäftspraktiken in Kroatien in Richtung einer echten Marktwirtschaft. Doch andere Beobachter zweifeln daran, dass die staatliche Intervention tatsächlich einen Liberalisierungsschub bringen wird. Der Ökonom Ivo Bićanić und der Wirtschaftsjournalist Željko Ivanković ordnen die Agrokor-Krise in einem Text für die Friedrich-Ebert-Stiftung in den Kontext der alten Vetternwirtschaft ein.

Die Autoren meinen, dass die Krise von Agrokor gar nicht systemrelevant sei und dass es der Regierung auch nicht darum gehe, tatsächlich eine zweite Reformperiode in Kroatien einzuleiten. "Beide Interpretationen sind ziemlich fraglich und unplausibel, und sie verweisen auf die Existenz von verdeckten Zielen", so die Autoren. Bićanić und Ivanković denken, dass normale Konkursverfahren eine bessere Lösung gewesen wären, und verweisen auf Leute, die meinen, dass es der Regierung eigentlich darum gehe, "die Vetternwirtschaft zu retten".

Blumenproduktion startete 1976

Diese ist noch älter als die Republik selbst. Todorić hatte 1976 mit Blumenproduktion begonnen. Bereits sein Vater war ein Nahrungsmittelhersteller im sozialistischen System, der Generaldirektor von Agrokombinat. 1989, als das erlaubt wurde, ließ sein Sohn sein privates Business registrieren. Todorić hatte bereits in kommunistischer Zeit gute Beziehungen zum späteren Präsidenten Franjo Tuđman und damit Zugang zu Privatisierungen und er erhielt Kredite. Tuđmans Plan war es dann in den 1990ern, die Wirtschaft im Land auf 200 Familien aufzuteilen. Die Todorićs standen im Zentrum dieses Plans.

Kroatien wurde zwar formell eine Marktwirtschaft, doch in Wahrheit übernahmen viele Direktoren aus dem Sozialismus das Management. Die Regierung intervenierte – private Beziehungen spielen bis heute eine maßgebliche Rolle. Die Beschwerden von Investoren aus der EU, die sich nicht gegen informelle Absprachen wehren können, sind den Botschaften bekannt. Der Agrokor-Chef verteilte wichtige Positionen im Unternehmen an Familienmitglieder. Als die Regierung unter Plenković schließlich im Vorjahr dem Todorić-Clan ihre schützende Hand entzog, schien eine Zeitenwende angebrochen.

Die Journalistin Marina Klepo meint jedenfalls, dass das System Agrokor auch den marktwirtschaftlichen Herausforderungen, die durch die neue Konkurrenz (Lidl, Kaufland) nach dem EU-Beitritt 2013 entstanden seien, nicht standgehalten habe. Tatsächlich offenbarte die Überprüfung der Buchhaltung in dem Lebensmittelriesen schwere Fehlkalkulationen, Unregelmäßigkeiten und ein Schattenbankwesen, mit dessen Hilfe Agrokor-Eigentümer Todorić versucht hatte, frisches Geld zu besorgen. Die juristische Aufarbeitung der Causa in Zagreb wird zeigen, ob es dem jüngsten EU-Staat mit Transparenz tatsächlich ernst ist. (Adelheid Wölfl, 23.4.2018)