Retro-Shooter sind wieder voll im Trend.

Foto: DUSK

Es ist für Spätergeborene heutzutage schwer vorstellbar, wie groß die popkulturelle Schockwelle war, die die Veröffentlichung von "Doom" vor genau einem Vierteljahrhundert auslöste. id Softwares First-Person-Shooter war nicht das erste Spiel, das rasantes Gameplay und Egoperspektive zusammenbrachte, doch die Art und Weise, wie hier für damalige Verhältnisse spektakuläre Grafik, kompromisslose Action und Underground-Attitüde zusammenkamen, war beispiellos und machte seine Schöpfer John Romero, John Carmack, Tom Hall und Adrian Carmack aus dem Stand zu Superstars.

"Doom" war ein Popkultur-Meilenstein, mit diebischer Freude am cartoon-blutigen Exzess, mit Referenzen zu Heavy Metal, Horrorfilmen und Underground-Comics, und nicht zuletzt mit einer nur visionär zu nennenden Vertriebs- und Programmstruktur die Geburtsstunde der modernen Moddingkultur. "Doom" war irgendwie Punk – und das nicht nur wegen der Kontroversen um Gewalt und Jugendschutz, die es weltweit auslöste. Der US-Autor David Kushner hat dem Popkultur-Meilenstein, seiner Entstehung und seine Schöpfern bereits 2003 mit seinem Buch "Masters of Doom" ein Denkmal gesetzt.

Trailer zu "Strafe".
IGN

Zurück zum Sturm und Drang

Die Frühzeit des damals noch "Egoshooter" genannten Actiongenres gerät in den letzten Jahren wieder etwas zurück in den Fokus, und das nicht erst seit sich die Neuauflage von "DOOM" 2016 alte Tugenden zurückgebracht hat. Aktuell erinnert eine ganze Reihe von Indie-Shootern an die Sturm-und-Drang-Zeit des First-Person-Shooters, und das nicht nur, wie beim AAA-Reboot von "DOOM", in Sachen Gameplay, sondern durchaus auch in Bezug auf Grafik, Atmosphäre und Präsentation.

"Strafe" hat letztes Jahr bewiesen, dass sich 90er-Jahre-Splatter-Humor und modernes, vom Rogue-like-Trend inspiriertes Gamedesign gut vertragen, der minimalistische Geschicklichkeitstest "Devil Daggers" hingegen dampft das essenzielle Circle-Strafing und die schnelle Bewegung zur Essenz des minimalistischen Gamedesigns ein. Drei ganz aktuelle Indie-Spiele stechen als Vertreter der aktuellen Retro-Shooter-Welle besonders heraus.

Trailer zu "DUSK".
New Blood Interactive

"DUSK" ist "Quake" und "Blood"

"Ich wollte schon immer ein Spiel wie ,Doom’ oder ,Quake’ machen, sowohl visuell als auch in Sachen Gameplay", sagt etwa der US-amerikanische Spielemacher David Szymanski. "Ich mag die Kombination von Erforschen und Action, den Fokus auf Leveldesign und die Wichtigkeit von schnellem, skillbasiertem Spiel und Ressourcenmanagement. Diese Spiele hatten eine wirklich elegante Designphilosophie." Szymanskis Verehrung der Klassiker zeigt sich in seinem Spiel "DUSK" (Windows, 19,99 Euro, Early Access), das seit Anfang des Jahres im Early Access auf Steam erhältlich ist und dort Spielerinnen und Spieler zu wohlwollenden Kritiken hinreißt.

"DUSK" gibt sich von der ersten Sekunde an alle Mühe, der Frühzeit des First-Person-Shooters nahezukommen – das beginnt bei an MS-DOS erinnernden Ladebildschirmen, geht über klassische Menü- und Interface-Konventionen und mündet nicht zuletzt in eine Präsentation, die in ihrer blockigen, trotzigen Hässlichkeit sogar schon wieder so etwas wie atmosphärisch beeindruckend wirkt. Als wortloser Held führt der Weg durch eine albtraumhafte Horrorvision amerikanischen Hinterwäldler-Horrors, in dem sich charmante Albernheit und trockener Splatter die Waage halten.

"DUSK" ist seinen Vorbildern in jeder Hinsicht treu: Im Unterschied zu aktuellen First-Person-.Shootern regiert hier eine altmodische, fast berauschende Geschwindigkeit. Der größte Unterschied zu heutigen Shootern zeigt sich allerdings tatsächlich im Leveldesign: Ohne jeden Anspruch auf "Realismus" verbergen sich hier unter Bauernhäusern unterirdische Hallen und Kavernen, bilden Industrieruinen vertrackte Kletterparks und laden vor allem geschickt versteckte Secrets zum genauen Hinschauen ein. Bereits zwei von geplanten drei Episoden sind spielbar, ein "Endless"-Mode sowie ein Multiplayer-Modus trösten über die Wartezeit bis zum Erscheinen der dritten Episode hinweg.

Trailer zu "Amid Evil".
New Blood Interactive

"Amid Evil" rettet die Ehre von "Hexen" und "Heretic"

Der Indie-Publisher New Blood, bei dem "DUSK" untergekommen ist, hat aber noch mehr Nostalgie im Köcher: Dass sich auch Fantasy als Setting nicht nur für Rollenspiele, sondern auch für First-Person-Shooter eignet, stellten damals, Mitte der 90er-Jahre, "Hexen" und "Heretic" unter Beweis, "Amid Evil" (Windows, 17 Euro, Early Access) überträgt diese seine Vorbilder liebevoll in eine "echte" 3D-Engine.

Statt Schusswaffen gibt es in "Amid Evil" Zauberstäbe und magische Schwerter, der Look ist auffällig bunt geraten, und auch hier liegt der Nostalgie-Flash nicht nur in der Optik, sondern vor allem in der Rückkehr zum schnörkellosen Gameplay der Shooter-Frühzeit. Wie in "DUSK" spielt auch in "Amid Evil" das Leveldesign die absolute Hauptrolle: Die fantastisch bunten Tempel, Burgen und Ruinen sind beeindruckende Orte mit vielen Geheimnissen. Auch "Amid Evil" bietet bereits jetzt im Early Access einiges zum Spielen: Drei von geplanten sieben Episoden sowie ein "Endless"-Modus unterhalten nicht nur Nostalgiker vorzüglich.

Trailer zu "Ion Maiden".
Game Clips And Tips

"Ion Maiden" reist zu "Duke Nukem 3D" in die Vergangenheit

Wer noch weiter in die Shooter-Frühzeit zurückwill, hat mit "Ion Maiden" das Ticket zu einer ganz besonders authentischen Shooter-Erfahrung: 3D Realms, Entwickler des legendären Shooter-Urgesteins "Duke Nukem" sowie weiterer großer historischer First-Person-Spiele, kehrt als Publisher mit "Ion Maiden" (Windows, Linux, 19,99 Euro, Early Access) buchstäblich zu seinen Wurzeln zurück. Der in der historischen Build-Engine verwirklichte Shooter zitiert vor allem den großen Duke aufs Überzeugendste, auch wenn es diesmal eine waffenstarrende und coole Sprüche klopfende Heldin ist, die hier gelenkt wird.

Die vermeintlichen Schwächen der Shooter-Frühzeit werden auch von "Ion Maiden" geschickt zu Stärken umgemünzt, und auch hier erinnert vor allem das ausgetüftelte Leveldesign daran, dass mit WItz und Cleverness so manche technische Einschränkung zu verschmerzen ist: Wer jemals einen Bürostuhl durch einen ganzen Level geschleppt hat, um das allerletzte Geheimnis zu entdecken und dann von den Entwicklern mit einer persönlichen Botschaft begrüßt zu werden, versteht, dass in der Auslotung des damals neuen dreidimensionalen Spieleraums nicht nur viel Action, sondern vor allem diebische Freude am Gestalten und der reinen Bewegung verborgen lag.

Gute Zeiten für Nostalgiker, aber nicht nur für diese: Auch Spielerinnen und Spieler, die bei Erscheinen der altehrwürdigen Vorbilder der vorgestellten Spiele noch keinen Mausklick schafften, werden sich dem Charme, der spielerischen Qualität und der eleganten Designphilosophie dieser neuen Retro-FPS-Welle nicht verschließen können – sofern sie auf die von aktuellen Titeln gebotene grafische Pracht einmal verzichten wollen. Schönste Videospielgeschichte zum Anfassen. (Rainer Sigl, 01.05.2018)