Will Kommunen künftig mit direkten europäischen Finanzhilfen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen unterstützen: Emmanuel Macron.

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Die Flüchtlingsfrage spaltet die Europäische Union. Daher sind neue Ideen gefragt, wie die festgefahrenen Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten vorangebracht werden können. Emmanuel Macron hat in seiner jüngsten Rede vor dem Europaparlament einen wichtigen Vorschlag gemacht. Die Flüchtlinge sollen auf die Kommunen in der ganzen EU verteilt werden – mit entsprechenden finanziellen Anreizen. Details nannte er nicht. Dabei gäbe es eine sachgerechte und integrationsfreundliche Lösung: Alle Kommunen in den Mitgliedstaaten könnten sich eigenständig und direkt um die Aufnahme von Flüchtlingen bewerben – und würden dafür aus dem EU-Budget entsprechend subventioniert. Mehrkosten für die nationalen Haushalte gäbe es nicht.

Umverteilungssystem auf den Prüfstand stellen

Der Mechanismus wäre einfach: Jeder Flüchtling, der in dieses Programm aufgenommen wird, erhält einen individuellen Zuschuss aus dem EU-Budget. Die gleiche Summe erhält aber auch die aufnehmende Kommune, in der die Integration geleistet werden muss. Letztere Zuwendung wäre zweckungebunden. Das würde bedeuten, dass die Kommunen diese Unterstützung unbürokratisch für die regionale Wirtschaft- und Arbeitsmarktentwicklung nutzen könnten. Im Gegenzug werden die Kohäsions- und Agrarausgaben der EU – insbesondere der Europäische Fonds für regionale Entwicklung und der Europäische Landwirtschaftsfonds – entsprechend abgeschmolzen. Diese Fonds verfehlen ohnehin seit Jahrzehnten ihr eigentliches Ziel, nämlich sozioökonomische Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten zu erreichen. Sie sind zu reinen Verschiebeposten im Ringen zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern verkommen. Daher sollte das ganze supranationale Umverteilungssystem endlich auf den Prüfstand.

Die Peripherie im Blick

Unser Vorschlag der Kopplung von Leistungen für das Management der Einwanderung mit der Vergabe von EU-Finanzmitteln würde Synergien zwischen einem notwendigen europäischen Finanzausgleich und einer der drängendsten Herausforderungen, vor denen die Europäische Union steht, schaffen. Mit integrationsfördernden Nebeneffekten. Dass dabei die Peripherie in den Blick gerät, ist ein zusätzlicher Vorteil. Dort macht sich der demografische Wandel besonders bemerkbar – und man kämpft mit Nettobevölkerungsverlusten. Diese gefährden mittelfristig die ökonomische Basis ganzer Regionen, die zu veröden drohen. Für diese Gebiete wäre eine moderne Ansiedlungspolitik – gefördert durch die EU – eine einmalige Chance.

Zudem könnte die EU mit einer solchen Politik geschickt politische Widerstände von Rechtspopulisten in den Zentralregierungen überwinden – und die regionale und lokale Ebene in den betreffenden Ländern stärken. Letztere sind in der Regel viel weniger ideologisiert und viel pragmatischer als die Politikeliten in den Hauptstädten. Das wertvollste Gelegenheitsfenster bieten aber die gegenwärtigen Haushaltsverhandlungen über eine neue Finanzplanung für die EU für die Zeit nach 2020. Auch aufgrund des Brexits stehen hierbei die gewachsenen Verteilungskompromisse auf dem Prüfstand. Mit dem Druck der Nettozahler – deren wichtigster Deutschland ist – ließen sich Verkrustungen aufbrechen und Innovationen ins Werk setzen.

Und die Finanzierung?

Aber wäre ein "doppelter EU-Zuschuss" für Migranten aus Drittstaaten finanzierbar? Wo stehen wir hier de facto mit den Zahlen der Zuwanderung? Während die Bewerberzahlen seit 2012 kontinuierlich angestiegen sind und in den Jahren 2015 und 2016 jeweils einen Höchststand von rund 1,3 Millionen Personen erreicht haben, wurden im Jahr 2017 EU-weit circa 705.000 Bewerber registriert. Die größten Personengruppen kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Geht man von durchschnittlich einer Million Zuwanderern pro Jahr aus, und nimmt man ferner an, dass aus den Agrar- und Regionalfonds, die mehr als die Hälfte des EU-Budgets von circa 160 Milliarden Euro ausmachen, nur 25 Milliarden abgeschmolzen würden, dann könnten pro Einwanderer aus dem EU-Haushalt 25.000 Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt werden. Die Hälfte davon, monatlich circa 1.000 Euro, würde direkt an Einwanderer ausbezahlt werden; 12.500 Euro am Ende eines Jahres an die aufnehmende Gemeinde. Selbstredend ließe sich dieses Verteilungsdifferenzial an die realen Lebenshaltungskosten im Aufnahmeland anpassen. Dann könnte sich der Anteil für die Kommunen in ärmeren Mitgliedstaaten entsprechend erhöhen. Deutschland hätte nach dieser Rechnung für die Aufnahme von 200.000 Flüchtlingen im Jahr 2017 über fünf Milliarden Euro erhalten – immerhin ein Viertel der hierzulande veranschlagten jährlichen Integrationskosten.

Transnationale Solidarität

Im EU-Haushalt gäbe es zudem noch Spielraum, Boni für mittelfristigen Integrationserfolg auszuschütten, dies könnte – ebenso wie das Management des Umverteilungsmechanismus – etwa über den bereits bestehenden Fonds für Asyl, Migration und Integration (AMIF) erfolgen, welcher bereits jetzt über ein nicht unbeträchtliches eigenes Budget von 3,137 Milliarden Euro verfügt.

Ein doppelter EU-Zuschuss würde die Migrationsströme intelligent lenken – und Geld in die relativ ärmeren Regionen bringen. Deutschland würde durch die Verlagerung der Migration sowie durch die direkten Zuschüsse zweifach entlastet werden. Es müsste natürlich dafür gesorgt werden, dass die nationalen Integrationsmittel in den Aufnahmeländern nicht substituiert und anders verwandt werden. Dann könnte sich die Aufnahme und Integration für viele Regionen in Europa als ein Investitionsprogramm neuer Art erweisen – mit dem durchaus erwünschten Nebeneffekt, dass das Ansehen der Europäischen Union im Bereich der Sozialpolitik gestärkt würde. Zudem würde ein sichtbares Stück transnationaler Solidarität geschaffen. Es ist daher zu wünschen, dass Macron mit seinem Vorschlag Gehör findet. (Michael W. Bauer, Rahel M. Schomaker, 24.4.2018)