Als Studentin war Kate Raworth frustriert von den Inhalten, die an der Uni gelehrt worden sind. Heute sucht sie gemeinsam mit Studierenden nach Alternativen.

Foto: Christian Fischer

Mithilfe eines Donut-Modells will Kate Raworth die Wirtschaft umkrempeln.

Grafik: Rockström et al/ DER STANDARD

Wien – Die Ökonomin Kate Raworth hat sich ein nicht gerade einfaches Ziel gesetzt: Sie will das Wirtschaftssystem revolutionieren – mithilfe eines Donuts. Denn durch unsere bisherige Lebensweise überschreiten wir einerseits die Grenzen unseres Planeten und schaffen es andererseits nicht, Ressourcen gerecht zu verteilen. Ihr Buch "Die Donut-Ökonomie" vereint sieben Denkansätze, die das vorherrschende System hinterfragen und den Weg weisen sollen, um uns in einer gerechten und sicheren Zone zu halten – genau das ist der Bereich des Donuts (siehe Grafik). Am Mittwoch spricht sie im Rahmen des Klimatages des Climate Change Centre Austria, der von Wissenschafts- und Nachhaltigkeitsministerium gefördert wird, an der Universität Salzburg.

STANDARD: Ihr Buch beginnt und endet mit Studentenbewegungen. Glauben Sie, dass Sie die Bewegung inspirieren?

Raworth: Die Bewegungen gab es schon vor meinem Buch, aber wir arbeiten eng zusammen. Als ich vor 25 Jahren Wirtschaft studierte, war ich furchtbar frustriert von dem, was gelehrt wurde und stieg aus. Auch heute erzählen mir Studenten, dass sie nicht mit dem richtigen Werkzeug ausgestattet wurden, um die Welt um sie herum zu verstehen. Aber im Gegensatz zu früher können sie sich heute durch das Internet vernetzen.

STANDARD: Warum gibt es in den Wirtschaftswissenschaften eine solche Hegemonie alter Theorien?

Raworth: Es gibt bereits seit Jahrzehnten alternative Ansätze, wie ökologische oder feministische Ökonomie, aber die werden kaum gelehrt. Die neoklassische Theorie ist sehr dominant. Ihre Beständigkeit ist politisch motiviert, und sie hält sich, weil sie sich gut eignet, um Modelle zu berechnen. Die Argumentation war immer, dass wir die Lehre nicht ändern können, weil es keine schlüssigen Alternativen gibt. Natürlich sind noch viele Fragen offen, aber mein Buch ist ein Versuch, genau diese Alternativen, alle sogenannten heterodoxen Theorien, zusammenzubringen und so einen Startpunkt zu setzen.

STANDARD: Warum haben Sie den Donut als Alternative entworfen?

Raworth: Herman Daly (US-Ökonom an der University of Maryland, Anm.) hat in den 1970ern eines der einfachsten, jedoch radikalsten Modelle entworfen, indem er einen Kreis um das Wirtschaftssystem gemalt und als "Ökosphere" benannt hat. Mein Modell basiert auf der Annahme, dass Wirtschaft in der natürlichen Welt eingebettet ist.

In einem TEDx-Talk legte Kate Raworth die Grundzüge der Donut-Ökonomie dar.
TEDx Talks

STANDARD: Der Soziologe Ulrich Beck spricht von emanzipatorischen Katastrophen und sagt, dass wir das Potenzial von Krisen wie Klimawandel nützen müssen. Glauben Sie, dass es einen Zusammenbruch geben muss, bevor neue Systeme entstehen können?

Raworth: Als ich vor über zehn Jahren begonnen habe, mich mit Klimawandel zu beschäftigen, hieß es, dass es einen Hurrikan und eine Flut geben müsse, bevor sich etwas ändert. Dann kam Hurrikan Sandy und alles blieb beim Alten. Wir haben uns an diese Ereignisse gewöhnt. Ich denke schon, dass etwa die Finanzkrise eine Art von Zusammenbruch war und viel in Bewegung gesetzt hat. Solche Störungen lassen Veränderungen zu, die Frage ist nur, wie groß sie sein müssen.

STANDARD: Wie würden Sie eine Wirtschaftsvorlesung beginnen?

Raworth: Damit, die Frage zu stellen, wozu es Wirtschaft überhaupt gibt und was ihr Nutzen ist. Als die Ökonomie zu einer Wissenschaft gemacht wurde, wollte man sie wertfrei gestalten. Aber das ist unmöglich, so wurden die wichtigsten Fragen übersprungen. Momentan dreht sich die erste Lehrstunde meist um Angebot und Nachfrage, als wollte man sagen, die Wirtschaft basiert auf einem ausgeglichenen Markt. Und so beginnt man mit zwei Lügen in einem Satz.

STANDARD: Wann würde der Donut ins Spiel kommen?

Raworth: Wenn man über den Nutzen von Wirtschaft diskutiert, erkennt man, dass sie dem menschlichen Wohlbefinden dienen soll. Der Donut beschreibt das, indem einerseits unsere Bedürfnisse gedeckt sein müssen und wir andererseits unsere Abhängigkeit von der Umwelt verstehen müssen. Wir brauchen ein stabiles Klima, eine schützende Ozonschicht, fruchtbare Böden, denn ohne sie gibt es kein menschliches Wohlbefinden.

STANDARD: Daher argumentieren Sie auch gegen grenzenloses Wachstum. Wie kann man sich das vorstellen?

Raworth: Man muss sich nur in der Natur umsehen: Wachstum ist eine wunderschöne und gesunde Lebensphase, aber irgendwann hört sie auf, und es folgt Stabilität oder Absterben. Ein System, das endlos wächst, zerbricht, also müssen wir uns fragen, was uns so abhängig davon macht. Die Entstehung der Ökonomie wurde von Regeln der Physik geleitet. Ich wünsche mir, es wäre Biologie gewesen, dann würden wir heute nicht von Marktmechanismus, sondern Marktorganismus sprechen. Die Natur gibt es schon seit fast vier Milliarden Jahren, also wären wir gut beraten, von ihr zu lernen.

STANDARD: Was halten Sie von der Idee der klassischen Ökonomie, Menschen wären nur an Eigennutz interessiert?

Raworth: Eine der faszinierendsten Studien, die ich gelesen habe, zeigte, dass je öfter Studierende das Narrativ des Homo oeconomicus hörten, desto mehr eiferten sie ihm nach. Menschen sind die sozialsten Säugetiere, aber in der Ökonomie wurde das ausgelassen. Adam Smith, der als Vater der Ökonomie gesehen wird, schrieb, dass Eigennutzen sehr mächtig für das Funktionieren von Märkten sein kann. Aber er verstand auch das altruistische Wesen von Menschen. Erst später wurden seine Thesen reduziert, weil es so leichter war, Modelle zu berechnen.

STANDARD: Sie kritisieren vereinfachte Modelle, haben aber selbst ein simples gewählt. Wie passt das zusammen?

Raworth: Wir verstehen die Welt durch Metaphern und beschreiben sie durch Modelle. Der Statistiker George Box sagte, dass alle Modelle falsch, aber manche nützlich seien. Ich habe sieben Denkansätze auf Basis von zahlreichen anderen Theorien entworfen – und auch sie sind falsch und simplifizieren unsere Welt. Aber ich denke, dass sie nützlicher sind, um die heutigen Herausforderungen zu meistern. Wenn Adam Smith sehen könnte, dass wir immer noch seine Modelle benützen, würde er die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Er wäre beschämt, dass die Ideen nicht an unser Jahrhundert angepasst sind. (Katharina Kropshofer, 25.4.2018)