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Passanten schreiben auf eine provisorische Gedenktafel.

Foto: AP/Nathan Denette

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Der Polizeieinsatz nach der Todesfahrt wird von vielen Seiten gelobt.

Foto: Reuters/Stringer

Toronto – Der mutmaßliche Todesfahrer von Toronto ist des zehnfachen Mordes und des versuchten Mordes in 13 weiteren Fällen angeklagt worden. Das berichteten der kanadische TV-Sender CBC und andere Medien übereinstimmend aus dem Gericht am Dienstag.

Der mutmaßliche Täter Alek Minassian erschien dort in einer weißen Häftlingsuniform mit den Händen hinter dem Rücken, er zeigte Berichten zufolge wenig Emotionen. Der nächste Gerichtstermin soll in rund zwei Wochen stattfinden.

Beitrag aus der ZiB um 17 Uhr.
ORF

Isoliert lebender IT-Student

Sozial unbeholfen, gut im Umgang mit Computern, keine ausgeprägten politischen Ansichten: Die Beschreibungen Alek Minassians zeichnen das Bild eines eher isoliert lebenden IT-Studenten. Nach der Attacke in Toronto mit zehn Toten graben Ermittler in der Vergangenheit des mutmaßlichen Täters.

In den letzten Momenten vor seiner Festnahme schien der Todesfahrer aus Toronto selbst den Tod zu wollen. "Töte mich!", rief er dem Polizisten zu, der seine Dienstwaffe auf ihn gerichtet hatte. "Nein, auf den Boden!", rief der Beamte zurück. "Schieß mir in den Kopf!", versuchte es der Fahrer noch einmal. Kein Schuss fiel, der Mann gab auf.

Der Polizist, der die Festnahme durchführte, erhielt viel Lob für sein ruhiges Verhalten. Im Internet kursiert ein Video eines Augenzeugen, das Berichten zufolge die Festnahme des Mannes zeigt. Darin ist zu sehen, wie ein Mann vor einer völlig demolierten Motorhaube eines weißen Lieferwagens steht und mit einem Gegenstand auf einen Polizisten zielt. Dabei gestikuliert er, als würde er schießen, und ruft "Töte mich!" sowie "Schieß mir in den Kopf!". Mit gezückter Waffe nähert sich der Polizist langsam dem Angreifer und fordert ihn mehrfach auf, sich hinzulegen. Schüsse fallen in dem Video nicht.

So wenig Gewalt wie möglich anwenden

Die Festnahme wird nun als Paradebeispiel für richtiges Verhalten seitens der Polizei in Gefahrensituationen gelobt. Als der Verdächtige "Töte mich" schrie, antwortete der Beamte mit "Nein, auf den Boden!". Als der Verdächtige sagte, dass er eine Waffe in der Tasche habe, antwortete der Polizist: "Das ist mir egal. Auf den Boden."

Es sei ersichtlich, dass der Verdächtige es darauf angelegt hatte, nach der Methode "suicide-by-cop", also Suizid durch Schüsse des Polizisten, zu sterben, wird Gary Clement, ein kanadischer Polizeiexperte, von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert.

"Ich würde sagen, diese Person hat den richtigen Polizisten getroffen", so Clement weiter. "In einer Situation wie dieser geht es vor allem um Muskelgedächtnis. Der Mann reagierte auf sehr verantwortungsbewusste Art und Weise."

Das hohe Niveau das Trainings komme im Verhalten des Polizisten zum Ausdruck, sagte der Chef der Polizei in Toronto, Mark Saunders: "Sie lernen, so wenig Gewalt anzuwenden wie möglich."

Das Video von der Festnahme in Kanadas Metropole lässt vermuten, wie verwirrt der Fahrer nach seiner Attacke mit einem Lieferwagen gewesen sein mag. Mindestens zehn Menschen starben und 15 wurden verletzt, als er den weißen Transporter am Montag minutenlang über Gehsteige einer Einkaufsmeile im Norden der Stadt lenkte und dabei alles an- oder umfuhr, was ihm in den Weg kam: Briefkästen, Strommasten, Parkbänke – und Fußgänger, die Augenzeugen zufolge wie Puppen durch die Luft geschleudert wurden.

Es wird in alle Richtungen ermittelt

Den Täter identifizierte die Polizei später als Alek Minassian, einen 25-Jährigen, der nicht weit entfernt im Vorort Richmond Hill lebte. Einem Profil beim Onlinenetzwerk Linkedin zufolge besuchte er in der Nähe sieben oder acht Jahre lang ein College, wo er Ex-Kommilitonen zufolge Informatik studierte. Erst vergangene Woche sei Minassian am College gewesen, sagte der gleichaltrige Joseph Pham, der denselben Programmierkurs besuchte, dem "Toronto Star". Parallel soll Minassian mehrere Jobs als Software-Entwickler gehabt haben.

Nach Worten von Polizeichef Mark Saunders hatte die Polizei den Mann bisher nicht auf dem Radar, polizeilich aufgefallen sei er nicht. Ermittelt werde in alle Richtungen, auch die Möglichkeit eines terroristischen Hintergrunds ist damit nicht ausgeschlossen. Früheren Bekannten am Seneca College zufolge hatte Minassian keine stark ausgeprägten politischen oder religiösen Ansichten – zumindest keine, die er nach außen trug.

Schwierigkeiten im sozialen Umgang

Der Umgang mit anderen Menschen habe ihm Probleme bereitet, sagte ein Kommilitone, der 2015 an einem Projekt mit Minassian arbeitete, der "Globe and Mail". Gespräche und öffentlicher Druck seien ihm sichtlich schwergefallen, seine Körpersprache habe eine geistige Behinderung vermuten lassen. Er sei "einfach ein etwas unbeholfener junger Mann, der gut mit Computer umgehen konnte", schrieb die Zeitung unter Berufung auf einen anderen Bekannten vom College. "Er blieb für sich. Er redete nicht wirklich mit anderen", sagt Joseph Pham.

Zu dieser Einschätzung passt ein Zeitungsbericht des "Richmond Hill Liberal" aus dem Jahr 2009, in dem eine Frau namens Sona Minassian über ihren vom Asperger-Syndrom betroffenen Sohn sprach. Menschen, die an dieser Autismus-Variante leiden, haben Schwierigkeiten im sozialen Umgang. Ihr Sohn halte seinen Job bei einer IT-Firma in Richmond Hill dank eines Hilfsprogramms, zu dem er aber den Zugang zu verlieren drohte.

Am Tag nach der Tat ist die Yonge Street im Norden Torontos verwüstet, lose Gegenstände liegen herum. Rund 15 Straßenblocks, etwa zweieinhalb Kilometer, konnte der Fahrer mit hohen Tempo im Schlingerkurs zurücklegen. Die Polizei hat Abschnitte, an denen Menschen erfasst wurden, mit gelbem Plastikband abgehängt. An einem behelfsmäßigen Denkmal für die Opfer stehen Botschaften für die Opfer. "Liebe ist größer als Hass" hat jemand auf weißen Karton geschrieben und dafür das entsprechende mathematische Zeichen gesetzt: "Love > Hate". (red, APA, Reuters, 24.4.2018)