Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt: Voestalpine-Konzernchef Wolfgang Eder (links) und der für die Edelstahldivision zuständige Vorstandsdirektor Franz Rotter beim Spatenstich für das neue Werk.

Foto: Voestalpine

Kapfenberg – Kein Job, keine Zukunft. Wer irgendwie konnte, machte sich auf den Weg. Damals in den 1980er-Jahren, als die Verstaatlichtenkrise die Fundamente der obersteirischen Schwerindustrie ins Wanken brachte. Tausende Arbeitsplätze gingen verloren. Kaum jemand gab der Region noch eine Chance.

Zudem begannen die roten Arbeiterhochburgen auch politisch zu zerbröckeln. Aus Rot wurde Blau, die FPÖ räumte bei Wahlen flächendeckend ab.

Voestalpine-Chef Wolfgang Eder zu Stahlwerk in Kapfenberg in der ZiB2
ORF

Die technologische Substanz der Betriebe war aber dennoch von so hoher Qualität, dass im langen Prozess der folgenden staatlichen Umstrukturierungen und Privatisierungen langsam wieder ein Boden eingezogen werden konnte und der steirische Industriestandort Obersteiermark zu prosperieren begann.

Ein neuer Input kam auch mit der Ansiedelung und Erweiterungen der Bildungseinrichtungen, der Fachhochschule in Kapfenberg etwa und dem Ausbau an der Montanuni Leoben.

Ersatz für Böhler-Werk

Dieses gute, auch betriebliche Bildungsniveau war eine der Beweggründe für den Aufsichtsrat der Voestalpine AG, im September des Vorjahres Kapfenberg als Standort für das neue Edelstahlwerk zu fixieren. Die 350-Millionen-Euro-Investition ersetzt ab 2021 das zum Teil über hundert Jahre bestehende Böhler-Werk. Zeitgleich im September 2017 hatte die Voestalpine bereits ihr neues Hightechdrahtwalzwerk in Leoben-Donawitz eröffnet. Investitionsvolumen: 140 Mio. Euro.

Am Dienstag feierten nun Unternehmensleitung, Regierungsmitglieder, Landesregierung und lokale Politik mit Pomp und Trara den Spatenstich für das neue Stahlwerk. "Der Spatenstich ist nicht nur ein Meilenstein für unseren Konzern und den Standort Kapfenberg, sondern auch ein positives Signal für die europäische Industrie. Erstmals seit den 1970er-Jahren wird wieder in ein völlig neues Stahlwerk in Europa investiert", sagte Voestalpine-Vorstandschef Wolfgang Eder.

3D-Druck auf Anlage

Das Werk ermöglicht die vollautomatisierte Herstellung von Werkzeug- und Spezialstählen für anspruchsvolle Anwendungen. Jährlich sollen hier rund 205.000 Tonnen an Hochleistungsstählen vor allem für die internationale Flugzeug- und Automobilindustrie sowie den Öl- und Gassektor produziert werden. Zudem wird die Anlage für den 3D-Druck von komplexen Metallteilen ausgelegt.

Mehr als 3000 Arbeitsplätze seien dadurch in der Region langfristig abgesichert, verspricht Eder.

"Diese Investition hat für die Region eine starke Signalwirkung. Sie ist zwar keine "Erweiterungsinvestition", sondern eine "Ersatzinvestition" – der Mitarbeiterstand bleibt in etwa auch gleich -, bedeutet aber eine starke Qualitätsverbesserung in der angewendeten Technologie, die zu einer Produktivitätserhöhung und damit auch zu einer internationalen Absicherung der Wettbewerbsfähigkeit führen wird", sagt Michael Steiner, Wirtschaftswissenschafter mit Schwerpunkt Regionalökonomie am Institut für Volkswirtschaft an der Universität Graz, im Gespräch mit dem STANDARD.

Hohe Einkommen

Die Mur-Mürz-Furche ist nach wie vor jener steirische Bezirk mit den höchsten Einkommen, das spiegelt den hohen Industrieanteil der Beschäftigten wider. Allerdings sei – wie schon seit Jahrzehnten – der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen hoch, sagt Steiner.

Die Arbeitslosenquote liegt schon seit längerem unter dem steirischen und auch österreichischem Durchschnitt. Steiners Fazit: Die Obersteiermark, und hier speziell die Mur-Mürz-Region um Kapfenberg, ist nach wie vor geprägt von der Stahlindustrie und dem Maschinenbau, von hohem Männereinkommen, aber bedroht von weiterer Abwanderung und Überalterung. "Das neue Stahlwerk ist kein automatischer Turnaround – ohne diese Investition wäre die Zukunft jedoch sicher dunkler", sagt der Ökonom Michael Steiner.

Im Geschäftsjahr 2016/2017 erwirtschaftete der Voestalpine-Konzern mit 50.000 Beschäftigten 11,3 Milliarden Euro Umsatz und ein operatives Ergebnis (Ebita) von 1,54 Milliarden Euro. (Walter Müller, 24.4.2018)