Die Ufer der gut 11.000 Seen in der schwedischen Provinz Värmland sind oft menschenleer. Wer hier mit dem Kajak anlandet, fühlt sich wie ein Pionier.

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Ein Kajak verhält sich zu einem Kanu wie ein Sportwagen zu einem Bus. Damit ist alles gesagt.

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Paddelschlag folgt auf Paddelschlag durch das gemächlich fließende, von dichtem Wald gesäumte Flüsschen – das hat etwas Kontemplatives.

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Die Tipis darf man dank schwedischem Jedermannsrecht überall aufstellen, um zu übernachten.

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Mehr als 11.000 Seen soll es in der schwedischen Provinz Värmland geben. Die Einheimischen verkaufen einem das als landschaftlichen Reiz. Wer allerdings je versucht hat, in Värmland auf dem Landweg weiterzukommen, sieht das anders: Geradlinigkeit ist in Westschweden niemals von Straßen zu erwarten. Touristiker raten daher vermehrt zu seltsamen Mitteln der Fortbewegung auf dem Wasser.

Gerade en vogue ist in dem Gebiet, das im Westen an Norwegen und im Süden an den Vänern, Europas drittgrößten See, grenzt: Flöße bauen. Unter Anleitung werden sie konstruiert, danach lässt man sich tagelang den Fluss hinuntertreiben. Andere wiederum setzen sich auf den Rücken eines Pferdes und bewegen sich ebenfalls flussabwärts – Pferdeschwimmen nennt man das. Da mag das, was wir ausprobiert haben, furchtbar gewöhnlich erscheinen: Wir paddelten ein paar Tage durch Värmland.

Langer ruhiger Fluss

Jerry Olsson bietet mit seinem Unternehmen Eda Outdoor individuelle Kajaktouren in der Provinz an. Warum Kajaks und nicht Kanus, ist die erste Frage an ihn? Olsson: "Ein Kajak verhält sich zu einem Kanu wie ein Sportwagen zu einem Bus." Damit ist alles gesagt. Wir lassen die Boote in der Nähe der Ortschaft Charlottenberg, rund 100 Kilometer östlich von Oslo, zu Wasser, legen unsere Schwimmwesten an und paddeln los.

Es geht zunächst das Flüsschen Vrångsälven hinunter bis zum Hugn-See. Ein langer ruhiger Fluss, ein ziemlich krummer noch dazu: Die Strecke beträgt Luftlinie nur gut acht Kilometer, ist aber wegen ihrer vielen Mäander mit drei Stunden Fahrzeit veranschlagt.

Tief oder effizient?

Paddelschlag folgt auf Paddelschlag durch das gemächlich fließende, von dichtem Wald gesäumte Flüsschen – das hat etwas Kontemplatives. Nach einer halben Stunde merken die Anfänger, dass die ungewohnte Bewegung in die Armmuskeln geht. Der Flussname Vrång bedeutet so viel wie "der Schwierige" und bezog sich in früherer Zeit wohl auf den mühsamen Holztransport. Trotzdem hätte es uns eine Warnung sein müssen.

Gute Technik ist hilfreich – nur dass einem jeder unterschiedliche, gute Tipps gibt. Die einen raten zu hohen, raumgreifenden Bewegungen, bei denen man tief ins Wasser eintauchen soll, andere zu effizient ökonomischen Bewegungen.

Einer in der Gruppe hat schon mehrere Kajaktouren mitgemacht und und ruft schelmisch: "Achtung, Raser von links!" Mit kraftvollen, gleichmäßigen Paddelschlägen überholt er alle anderen, als hätte sein Boot einen geheimen Motor eingebaut. Seine Arme bewegen sich dabei abwechselnd auf und ab wie eine Tiefbohrpumpe.

Problemlos bis Göteborg

Nach zwei Stunden fragen sich die Anfänger vor jeder Biegung des Flusses, ob dahinter endlich der See auftaucht. Irgendwann nach drei Stunden ist er schließlich erreicht – ein erhebender Anblick, von der Flussmündung die Weite des malerischen Hugn-Sees zu erahnen. Auch ein Gefühl der Erleichterung macht sich breit, denn letztlich war die meditative Flussfahrt ganz schön anstrengend.

Jetzt könnte man mit dem Kajak einfach immer so weitermachen, von einem Waldstück über Seen und über Flüsse zum nächsten Waldstück paddeln – ein bisschen so, wie das der Protagonist in John Cheevers surrealer Erzählung "Der Schwimmer" von Swimmingpool zu Swimmingpool tut. "Ein See schließt an den anderen – auf diese Weise würde man problemlos bis Göteborg kommen", bestätigt Jerry Olsson. Und in anderer Richtung vermutlich bis zum Polarkreis – so sehr ist Schweden von Gewässern durchzogen.

Nur lohnende Ziele

Ein großer Vorteil organisierter Touren: Das Auto steht schon da, wenn man mit dem Kajak ankommt, die Boote werden aufgeladen, und man fährt nach einer Mittagspause zur nächsten lohnenden Etappe. Weniger attraktive Abschnitte lässt man einfach aus.

Nach einer halben Stunde Autofahrt in nördlicher Richtung halten wir am Ufer des Sees Utgårdssjöns und paddeln wieder los. Die Grenze zu Norwegen verläuft quer zum See, sodass wir uns nach ein paar Hundert Metern auf dem Utgardsjøen wiederfinden, wie der See auf Norwegisch heißt. Nicht dass uns das aufgefallen wäre.

Das Wasser ist ultramarin, die klare Luft gibt den Dingen scharfe Konturen und Tiefe. Eine stumme, nur vom gleichmäßigen Geräusch der Paddelschläge untermalte Landschaft. Schließlich zieht sich der See schlauchartig zum Fluss Jösseälven zusammen. Nur selten tauchen an den Ufern Holzhäuser mit Veranda auf.

Nie ganz dunkel

Nach einer halben Stunde weitet sich der Fluss zum See Vällen, nach einer weiteren Stunde laufen unsere Kajaks knirschend am Strand der Siedlung Häljeboda auf – ein Paddeltag von gut sechs Stunden liegt hinter uns.

An diesem Nachmittag liegen genau zwei Menschen am Strandsteg von Häljeboda – im Hochsommer. Der Ort besteht aus ein paar weit verstreuten Häusern, einem Fußballplatz und einem Vereinslokal, das nur während der Spiele geöffnet hat. Ein Gasthaus gibt es nicht.

Dafür bereitet uns Jerry schwedische Spinatknödel auf der Veranda eines Cafés zu. Das Abendprogramm: auf dem Steg sitzen und das prachtvolle Wechselspiel der Farben des Himmels und des Sees bis spät in die Nacht auf sich wirken lassen. Ganz dunkel wird es im Hochsommer nie.

Jedermannsrecht

Man kann die Schweden um ihre Ferienhäuser hier am See, den sie fast für sich allein haben, beneiden – oder auch die Norweger in der Grenzregion von Värmland. "Unsere Nachbarn kaufen hier gerade viele Bauernhäuser und machen sie zu Ferienhäusern. In Norwegen wären sie verpflichtet, sie zu bewirtschaften, hier sind sie das nicht."

Die wenig ausgebaute touristische Infrastruktur stört uns Paddler nicht – eher im Gegenteil. Wir duschen im Umkleideraum des Fußballvereins und übernachten in Tipis, die Olsson, ebenso wie die Schlafsäcke, jeden Abend aufs Neue bereitstellt. Die Zelte werden einfach auf einer freien Wiese aufgestellt und am nächsten Morgen wieder abgebaut.

Man benötigt dafür keine Genehmigung, das Allemansrätten oder Jedermannsrecht erlaubt es, fast überall für eine Nacht sein Zelt aufzuschlagen und Feuer machen zu dürfen. Wir werden dieses Recht in den kommenden Tagen noch häufig in Anspruch nehmen auf unserem Weg durch Värmland. (Harald Sager, RONDO, 27.4.2018)